Interview

Politikwissenschaftler von Alemann im Interview "Beck wird langfristig Probleme behalten"

Stand: 02.10.2007 19:52 Uhr

Hitzige Debatte in der SPD um die Agenda 2010: Parteichef Beck will nachbessern, Vizekanzler Müntefering dagegen sagt, er halte sich an die Vereinbarungen der Koalition. Droht der Partei ein Führungsstreit? tagesschau.de sprach darüber mit dem Parteienforscher Ulrich von Alemann.

Hitzige Debatte in der SPD um die Agenda 2010: Parteichef Beck will nachbessern, Vizekanzler Müntefering dagegen sagt, er halte sich an die Vereinbarungen der Koalition. Droht der Partei ein Führungsstreit? tagesschau.de sprach darüber mit dem Parteienforscher Ulrich von Alemann.

tagesschau.de: SPD-Chef Kurt Beck will die Agenda 2010 beim Arbeitslosengeld I nachbessern und gibt sich betont gewerkschaftsnah. Arbeitsminister Müntefering hält dagegen und will nichts an der Agenda ändern. Erwartet uns ein neuer Machtkampf in der SPD?

Ulrich von Alemann: Ein wirklicher Machtkampf ist das nicht. Es ist ein Streit zwischen verschiedenen Funktionen: Auf der einen Seite der Parteivorsitzende, auf der anderen der Vizekanzler. Beck muss derzeit vor allem auf die Seele der Partei achten. Schließlich will die SPD Ende Oktober ein neues Grundsatzprogramm verabschieden.

tagesschau.de: Und Müntefering?

von Alemann: Der ist Vizekanzler und muss zur Regierung stehen. Durch diese Aufgabenteilung ergibt sich der Streit: Beck will den langfristigen Kurs der Partei festschreiben und das Profil der Partei wieder deutlicher in Richtung sozialer Gerechtigkeit formen. Müntefering will dagegen loyal zu den Koalitionsvereinbarungen stehen.

"Die SPD hat keine Alternative zu Beck "

tagesschau.de: Wie stark ist Kurt Beck als SPD-Vorsitzender, dass er sich die wiederholten Querschüsse von Müntefering bieten lassen muss?

von Alemann: Kurt Beck ist als ein Mann, der die Mitte der Partei repräsentiert, recht stark angetreten. In den letzten Monaten ist er nun ziemlich angerupft und angekratzt worden. Aber in der SPD weiß jeder, dass es zu Kurt Beck keine Alternative gibt. Die Partei wäre schlecht beraten, ihn jetzt zu demontieren. Dann würde sie in den Umfragen noch stärker verlieren. Insofern verstehe ich die Kreise in der SPD nicht, die diese Debatte jetzt nach außen treiben.

tagesschau.de: Sie überrascht also das derzeitige Brodeln in der Führungsspitze?

Von Alemann: In der Tat. Denn in der Partei sollten normalerweise vor einem großen Parteitag gerade die Führungsleute darauf bedacht sein, Ruhe ins Spiel zu bringen. Dass sich die Flügelkräfte exponieren, ist zu erwarten. Aber dass nun gerade Beck und Müntefering mehr oder weniger öffentlich aneinander geraten, das ist schon ein starkes Stück. Gerade die müssten jetzt auf Harmonie bedacht sein. Sie sind offensichtlich sehr nervös.

tagesschau.de: Welche strategischen Ziele verfolgt Beck mit seinen Vorschlägen zu Hartz IV?

von Alemann: Zurzeit sind die Ziele von Beck nicht so sehr nach außen gerichtet. Nicht die Koalition und die Öffentlichkeit stehen bei ihm im Fokus, sondern die eigene Partei. Schließlich braucht er auf dem Hamburger Parteitag große Mehrheiten für sein neues Grundsatzprogramm und seine Personalvorschläge. Insofern muss er darauf bedacht sein, die Partei zusammenzuhalten, und das versucht er mit einer Art Re-Traditionalisierung: Er setzt auf Symbolthemen in Richtung sozialer Gerechtigkeit, die ihn als Ausgleicher zwischen den Modernisierungskräften und den Traditionalisten darstellen soll.

"Die SPD verzweifelt an ihrem eigenen Mut"

tagesschau.de: Warum kann die SPD nicht profitieren vom Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt, der ja nicht zuletzt auf die Schrödersche Reformpolitik zurückzuführen ist?

von Alemann: Sie profitiert nicht, weil sie sich als Partei nie mit der Agenda 2010 abgefunden hat. Sie stand immer nur halbherzig hinter Schröders Reformen. Deswegen kann sie sich jetzt auch nicht mit den Erfolgen schmücken. Bei vielen in der Partei sitzt der Argwohn einfach zu tief: Sie glauben, vor allem die Agenda 2010 habe die Linke so stark gemacht. Und auch die Modernisierer in der SPD jubeln eher verhalten, weil sie die Parteilinke nicht noch mehr gegen sich aufbringen wollen. Das ist die Zwiespältigkeit der SPD: Sie verzweifelt an ihrem eigenen Mut, weil sie nie richtig mit Schröders Reformen mitgegangen ist.

tagesschau.de: Und wie kann sich die Partei aus diesem Dilemma befreien?

von Alemann: Sie muss endlich den wirtschaftlichen Aufschwung annehmen und anerkennen, dass er auch von ihr mitbedingt und mit vorbereitet worden ist - und endlich aufhören, ein schlechtes Gewissen zu haben.

tagesschau.de: Ist die offensichtliche Nervosität und das Taktieren Becks auch auf die Erfolge der Linkspartei zurückzuführen?

von Alemann: Das hat schon Einfluss, ist aber nicht überragend. Das größere Problem von Kurt Beck ist, in die Zange genommen zu werden. Von der Linkspartei und Lafontaine auf der einen Seite, auf der anderen von der Union. Und dort von jenen Kräften, die in der jüngsten Vergangenheit gerade das soziale Element ihrer Politik immer stärker betont haben. Rüttgers hat die SPD in der Hartz IV-Debatte sogar links überholt. Die SPD steht also von zwei Seiten unter Druck, und Beck befürchtet, hierbei die Mitte zu verlieren. Deswegen will er die soziale Gerechtigkeit in der Programmatik seiner Partei wieder stärkern.

tagesschau.de: Wird ihm das gelingen?

von Alemann: Da es keine Alternative dazu gibt, wird er sich vordergründig durchsetzen.

tagesschau.de: Das heißt was?

von Alemann: Er wird langfristig Probleme behalten.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de

Zur Person
Ulrich von Alemann ist Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Von Alemann ist außerdem stellvertretender Direktor des Institus für deutsches und europäisches Parteienrecht und Parteienforschung und hat sich in zahlreichen Publikationen mit deutschen und europäischen Parteien befasst.