Bundeswehrsoldaten im Manöver in Munster
Interview

Nach Scheitern von Jamaika Wer kontrolliert die Bundeswehr?

Stand: 21.11.2017 13:59 Uhr

Der Abbruch der Jamaika-Gespräche verurteilt das Parlament dazu, monatelang nicht richtig arbeiten zu können. Der Wehrbeauftragte Bartels fordert im Interview mit tagesschau.de eine zügige Einsetzung wichtiger Ausschüsse. Andernfalls gebe es keine wirksame Kontrolle der Streitkräfte.

tagesschau.de: Herr Bartels, wenn man sich die aktuelle politische Situation ansieht und auch die Auslandseinsätze, die diese Woche im Bundestag verlängert werden sollen, dann ist es offensichtlich nicht ideal, dass es keine handlungsfähige Bundesregierung gibt. Was bringt das mit sich?

Bartels: Eine gewählte Bundesregierung ist das eine, ein handlungsfähiger Bundestag das andere. Der Bundestag ist eben nicht bloß geschäftsführend tätig, solange es noch keine neue Regierung gibt. Er ist gewählt und hat sich zu konstituieren. Punkt. Trotzdem kommt eine provisorische Arbeitsfähigkeit des Parlaments in dieser Woche nur sehr rudimentär mit der vorläufigen Einsetzung eines Hauptausschusses, eines Petitionsausschusses und eines Geschäftsordnungsausschusses zustande. Ich halte das für unglücklich.

tagesschau.de: Was könnte und müsste man aus ihrer Sicht tun, um das zügig zu ändern?

Bartels: Gerade in dieser Situation, wo wir mit einer unabsehbaren Übergangszeit rechnen müssen, sollte die volle Arbeitsfähigkeit des Parlaments so schnell wie möglich hergestellt werden. Es gibt keinen rechtlichen Grund, der den Bundestag daran hindert, das zu tun. Im Übrigen, denke ich, hat auch die Bundeswehr ein Recht darauf, dass ihr für die verfassungsmäßige parlamentarische Kontrolle der vom Grundgesetz Artikel 45a verbindlich vorgeschriebene Verteidigungsausschuss gegenüber steht - und nicht nichts.

tagesschau.de: Ein wesentlicher Bereich, in dem der Verteidigungsausschuss maßgeblich mitwirkt, berät und auch entscheidet, ist ja die Frage der Ausrüstung der Bundeswehr. Ist da jetzt für die kommenden Monate alles auf Eis gelegt und welche Folgen hat das?

Bartels: Wenn es keinen Verteidigungsausschuss und keinen Haushaltsausschuss gibt, dann gibt es wohl auch keine Beschlüsse über Beschaffungsvorhaben. Ich habe jetzt schon die Erwartung, dass der zur Verfügung stehende Haushaltsrahmen für Beschaffungen 2017 nicht voll ausgeschöpft wird. Es dürften voraussichtlich wieder dreistellige Millionenbeträge liegen bleiben.

Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Hans-Peter Bartels
Zur Person
Hans-Peter Bartels ist seit 2015 der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Zuvor war der SPD-Politiker, der seit 1998 im Bundestag sitzt, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses.

In den beiden letzten Jahren hat es zwar geklappt, die Mittel vollständig auszuschöpfen, aber in den Jahren davor hatten wir zum Teil über eine Milliarde Euro nicht abgeflossener Mittel - trotz der riesigen Lücken in der Ausrüstung der Bundeswehr. Damals lag das an der schwerfälligen Beschaffungsorganisation der Regierung. Auch dieses Jahr wird nun vermutlich wieder viel Geld liegen bleiben, und es wird vorerst keine parlamentarischen Gremien geben, die das ändern könnten.

tagesschau.de: Welche weiteren Folgen hat es, wenn es keinen Verteidigungsausschuss gibt? Der muss ja eigentlich auch die Auslandseinsätze kontrollieren.

Bartels: Genau, diese Kontrolle steht im Grundgesetz! Nach Artikel 45a muss es einen Verteidigungsausschuss geben. Das ist nicht ins Belieben von Parlamentsmehrheiten gestellt, ob man einen Verteidigungsausschuss einrichtet oder einen Allround-Ausschuss, der einen Teil der Aufgaben nebenbei miterledigt. Es muss immer einen Verteidigungsausschuss geben, der übrigens auch besondere Rechte hat. Etwa das Recht, Vorgänge in der Bundeswehr aus eigenem Entschluss zu untersuchen, indem er sich selbst zum Untersuchungsausschuss machen kann. Dieses Recht hat kein anderer Parlamentsausschuss, auch der provisorische Hauptausschuss natürlich nicht.

tagesschau.de: Wenn über die Ausschüsse nun über Monate nicht konstituiert werden können, heißt das dann auch, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht fortgeführt werden können?

Bartels: Über Auslandseinsätze der Bundeswehr kann man natürlich beschließen, das tut am Ende sowieso immer das Plenum. Die Frage ist mehr die kontinuierliche parlamentarische Kontrolle - vom Grundbetrieb bis zum Auslandseinsatz. Als die Bundeswehr gegründet wurde, wurde auch das Grundgesetz geändert und mit voller Absicht so eine starke kontinuierliche parlamentarische Kontrolle geschaffen. Die ist nun auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Wir hatten jetzt Sommerpause, dann Wahlkampf, dann die Wahl und die Sondierungen, und jetzt wird mit dem sogenannten Hauptausschuss nur ein schwaches Übergangsgremium eingesetzt.

Bis wann? Bis zu Neuwahlen im Februar oder im April 2018? Das heißt, über ein halbes Jahr wird es das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gremium für die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte nicht geben. Das ist gegenüber der Bundeswehr ungewöhnlich, das ist auch für das Parlament unglücklich. Und es ist mit dem Grundgesetz nur schwer zu vereinbaren.

Das Interview führt Christian Thiels, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 21. November 2017 um 06:21 Uhr.