Deutsche EU-Ratspräsidentschaft Wende in der Agrarpolitik?
Der "Green Deal" soll der große Wurf werden in der EU - inklusive nachhaltiger Landwirtschaft. Doch die Ministerinnen für Landwirtschaft und Umwelt, Klöckner und Schulze, sind sich nicht grün. Gehen Ökologie und Ökonomie zusammen?
Dürren, Unwetter, Insektensterben - das sind Probleme, mit denen die Landwirtschaft weltweit zu kämpfen hat, und für die sie mitverantwortlich gemacht wird. Zu viel Dünger sickert ins Grundwasser, zu viel Pflanzenschutzmittel landet auf den Feldern.
Teile der Gesellschaft fordern eine artgerechtere Tierhaltung und eine Landwirtschaft, die die Natur nicht nachhaltig schädigt. Die Europäische Union will handeln und tut dies mit ambitionierten Plänen.
Green Deal - auch für die Landwirtschaft
Das Ziel der EU-Kommission lautet: Mehr Nachhaltigkeit. Das soll über zwei Strategien laufen, die ein Teil des sogenannten Green Deal sind: Die Biodiversitäts-Strategie und, konkreter auf die Landwirtschaft bezogen, das Konzept "From Farm to Fork", also "Vom Hof auf den Tisch". Die Kommission folgt dem Grundsatz: Das, was wir essen, muss zu den Bedürfnissen der Erde passen.
Ehrgeizige Ziele
Die Ziele in der "Farm-to-fork-Strategie" sind ehrgeizig: Jeweils die Hälfte weniger Pflanzenschutz und Antibiotika in der Tiermast, 20 Prozent weniger Dünger, deutlich mehr Öko-Anbaufläche - und all das innerhalb von zehn Jahren. Ambitionierte Pläne, die bei Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ganz unterschiedlich ankommen.
Bei der konkreten Frage, wie schnell und wie viel sich ändern muss, liegen die beiden Ministerinnen (noch?) weit auseinander.
Unterschiedliche Ansätze von Klöckner und Schulze
Für Klöckner hat eines Vorrang: "Landwirtschaft ist dazu da, damit wir satt werden." Es gehe darum, national und europäisch die Ernährung zu sichern. Umweltschutz ja, aber Landwirte seien primär keine Landschaftsgärtner.
Schulze sieht dagegen andere Probleme: Wetterextreme, ausgelöst durch den Klimawandel, Artensterben, befördert durch Pestizide. Auch die Landwirte hätten "ein Interesse daran, dass auch die Generation nach ihnen noch eine Fläche haben, auf der sie wirtschaften können".
Will der Bauer Geld aus Brüssel…
Mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft - dabei geht es auch um viel Geld. Rund 60 Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus Brüssel an die europäischen Landwirte, etwa sechs Milliarden davon nach Deutschland. Das meiste bekommen die Bauern pro Hektar, unabhängig davon, was darauf wächst. Ein Teil des Geldes ist aber auch jetzt schon an Umweltauflagen geknüpft.
Die Kommission will das ausweiten, und zwar im Rahmen der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Schulze begrüßt das, Klöckner bremst dagegen und fordert eine Folgenabschätzung ein, wie die Bauern wettbewerbsfähig bleiben können. Der Bauernverband klagt, mit Blick auf die "Farm-to-fork"-Pläne: Wir wurden nicht eingebunden. Die EU-Kommission gehe mit ihrer Strategie das Risiko ein, dass die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln aus der EU in Drittstaaten abwandert.
Im Prinzip ja - wenn das Geld stimmt
Dabei ist auch vielen Landwirten klar: Mehr Umweltschutz muss sein. Die Frage ist nur, wer die Mehrkosten trägt. Der Landwirt Sebastian Herbst von der Agrargenossenschaft Fläming in Brandenburg zum Beispiel sagt, "jeder Bauer sollte ein grünes Gewissen haben".
Aber: Er müsse auch von seiner Arbeit leben können, und eine Umstellung gehe auch nicht "von heute auf morgen". Wenn die Gesellschaft einstimmig der Meinung sei, dass sich etwas ändern muss, dann müsse sie auch konkrete Vorschläge bringen, wie sich das wirtschaftlich tragen kann.
Kein Dünger auf zehn Prozent der Fläche
Aus der Wissenschaft kommen Forderungen nach einem grundsätzlichen Umsteuern. Der Kieler Agrarprofessor Friedhelm Taube etwa hält die Ziele der EU "für absolut realistisch". Für eine nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft kann sich Taube zum Beispiel vorstellen, dass Bauern auf zehn Prozent ihrer Fläche weder düngen noch chemischen Pflanzenschutz einsetzen.
Ein aktiver Umweltschutz, der den Ertrag zwar mindern würde - aber das könne der Staat ja dann finanziell ausgleichen. So bekäme man "eine wunderbare Biotopvernetzung in der Landwirtschaft" hin. Ähnliche Vorschläge kommen aus dem Bundesumweltministerium.
Öko-Punkte für Umweltleistungen
Der Kieler Agrarwissenschaftler schlägt außerdem vor, dass Landwirte - egal ob sie konventionell wirtschaften oder biologisch - für ökologische Leistung Punkte sammeln können. Sie würden dann auf Basis dieser Punkte bezahlt und nicht dafür, dass sie eine bestimmte Hektar-Größe haben.
Taube ist der Überzeugung, dass das System eher die Fakten abbilden würde und zudem einen "fantastischen Nebeneffekt" hätte: dass "ein guter Landwirt endlich dafür belohnt wird, dass er gut ist."
Ziele für die EU-Ratspräsidentschaft
Taube hofft, dass sich die Bundesregierung in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 für mehr Tier- und Umweltschutz in Europa einsetzt - und sich Bundeskanzlerin Angela Merkel eher an der Linie der Umweltministerin orientiert. Der Bauernverband setzt dagegen auf die Landwirtschaftsministerin und darauf, dass erst mal die Neuverteilung des Geldes geregelt und die Gespräche über eine nachhaltigere Landwirtschaft auf danach verschoben werden.
Sowohl Klöckner als auch Schulze warnen vor allzu hohen Erwartungen. Klöckner beschreibt die Rolle der Ratspräsidentschaft als "moderierend", da müsse man die eigene Haltung "herunterdimmen". Schulze gibt zu bedenken, dass wegen der Corona-Pandemie viele Sitzungen virtuell stattfinden müssen - und bei denen könne man eben nicht so einfach in "Zweier- oder Dreier-Paaren rausgehen, um Lösungen zu finden". Ob die Ratspräsidentschaft gelinge, hänge auch von der Pandemie ab.