Interview

50 Jahre "Göttinger Erklärung" "Wir sind dem Risiko entgangen, Atommacht zu werden"

Stand: 11.04.2007 21:26 Uhr

Vor 50 Jahren sprachen sich 18 Kernphysiker in der Göttinger Erklärung gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr aus. tagesschau.de sprach mit dem Physiker Eberhard Umbach über die Bedeutung des wissenschaftlichen Protests, aktuelle atomare Gefahrenlagen und die Zukunft der Kernkraft.

Vor 50 Jahren sprachen sich 18 namhafte deutsche Kernphysiker in der Göttinger Erklärung gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr aus. tagesschau.de sprach mit dem Physiker Eberhard Umbach über die Bedeutung des wissenschaftlichen Protests, aktuelle atomare Gefahrenlagen und die Zukunft der friedlichen Kernkraft.

tagesschau.de: Blicken wir 50 Jahre zurück: Die "Göttinger Achtzehn", renommierte Atomforscher wie Otto Hahn, Max Born oder Carl Friedrich von Weizsäcker, protestierten gegen eine atomare Bewaffnung Deutschlands. Wissenschaftler, die sich in die große Politik einmischten - ein Novum in dieser Zeit. Wie kam es dazu?

Eberhard Umbach: Als sich im Jahre 1956 immer mehr herausstellte, dass Deutschland - vor allem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß - eine Atombewaffnung im Rahmen der Nato anstrebte, kam aus Reihen der Wissenschaftler erste Kritik. Strauß war außer sich, drohte einigen Kernphysikern sogar mit dem Landesverratsparagrafen.

tagesschau.de: Wie verhielt sich Bundeskanzler Adenauer in der Kontroverse?

Umbach: Adenauer war ursprünglich noch gegen die atomare Rüstung. Dann aber unterschied er die "großen" von den "kleinen, taktischen" Atomwaffen. Diese seien weit weniger gefährlich, lediglich eine "Weiterentwicklung der Artillerie".

tagesschau.de: Was sehr verniedlichend klingt.

Umbach: Dabei können auch diese Waffen eine Wirkung wie die Sprengsätze von Hiroshima und Nagasaki entfalten. Die Politik hat der Bevölkerung schlicht falsche Tatsachen vorgespiegelt. Und genau das hat die Wissenschaftler auf den Plan gerufen.

tagesschau.de: Mit dem Thema Atomforschung rückte Wissenschaft an sich damals wahrscheinlich enger in den Fokus der großen Politik als je zuvor. Mit Hiroshima und Nagasaki war das Forschungsfeld Kernphysik eng mit ethischen und moralischen Fragen verwoben. War auch das eine Intention für das Manifest der Atomforscher?

Umbach: Sicher. Vor allem die historische Verantwortung aus damals jüngster Vergangenheit spielte vermutlich eine Rolle. Aber es ging vor allem um Aufklärung. Die Erklärung beinhaltet einerseits die wissenschaftliche Analyse der Bomben mit ihrer zerstörerischen Kraft, andererseits die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Das ganze gipfelt in der Aussage, dass keiner der Unterzeichner bereit sei, an der Herstellung, Erprobung oder gar dem Einsatz von Atomwaffen mitzuwirken.

Zur Person:
Eberhard Umbach (59), ist Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Er lehrt als Professor für Experimentalphysik an der Universität Würzburg.

tagesschau.de: Einen jahrzehntelangen Kalten Krieg mit einem beispiellosen atomaren Wettrüsten konnte die "Göttinger Erklärung" nicht verhindern. Hat sie dennoch etwas bewirkt?

Umbach: Für Deutschland hat sie sehr viel bewirkt. Wir sind dem Risiko entgangen, Atommacht zu werden. Dazu haben die Wissenschaftler viel beigetragen. Denn sie haben mit ihrer Kritik erst die öffentliche Debatte auf breiter Ebene entfacht. Alle großen Medien sind damals auf das Thema aufgesprungen.

tagesschau.de: Und Adenauer?

Umbach: Der war im Wahlkampf und hatte ein feines Gespür für die gesellschaftliche Stimmung. Er stellte sich der Diskussion mit einigen der Wissenschaftlern. Das Ergebnis war ein Kommuniqué der Bundesregierung mit der klaren Aussage, dass Deutschland keine eigenen Atomwaffen herstellen werde und dass es deshalb keine Veranlassung gebe, die deutschen Atomwissenschaftler an der Entwicklung nuklearer Waffensysteme zu beteiligen.

"Nicht zu stark von Ängsten leiten lassen"

tagesschau.de: Selbst die friedliche Nutzung der Atomkraft ist in Deutschland heute sehr umstritten - der Ausstieg aus der Kernenergie politisch beschlossene Sache. Die Göttinger Atomforscher sahen das noch anders. Hat die friedliche Nutzung der Atomkraft überhaupt noch Potential für die Zukunft?

Umbach: Ein heikles Thema. Die Ängste, auch vor der friedlichen Nutzung der Kernenergie, sind sehr groß. Aber wir müssen in die Zukunft schauen und uns nicht zu stark von Ängsten leiten lassen. Im Zusammenhang mit der Klimadiskussion wird man die frühzeitige Abschaltung der Kernkraftwerke überdenken müssen. Ich denke, atomare Sicherheit können wir mit technologischen Maßnahmen zumindest hier in Deutschland gewährleisten. Das wird in der Öffentlichkeit etwas unterschätzt. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

tagesschau.de: In manchen Teilen der Welt schielen die Machthaber auf eine Zukunft als Atommacht, der Drang zur Bombe ist groß. Gerade prahlte Irans Präsident Ahmadinedschad damit, sein Land sei nun endlich soweit. Wie groß sehen Sie die Gefahr?

Umbach: Wenn diese Nationen technologisch gut ausgerüstet sind, die Sicherheitsstandards einhalten können und ihre Programme transparent und unter internationaler Beobachtung ausführen, spricht nichts gegen eine friedliche Nutzung der Kernenergie. In Ländern wie Iran und Nordkorea spricht aber leider Vieles für eine schleichende Aufrüstung. Da wird einem angst und bange, ob das jetzt Iran, Nordkorea oder der Konflikt der Atommächte Indien/Pakistan ist. Aber das ist Sache der Politik und der Diplomatie. Die Wissenschaft kann da nichts ausrichten.

Internationaler Zusammenschluss bleibt schwierig

tagesschau.de: Mit Blick auf die "Göttinger Erklärung": Könnten Sie sich heute einen ähnlichen Zusammenschluss von Wissenschaftlern vorstellen - auf internationaler Ebene?

Umbach: Erst vor wenigen Wochen haben 22 Physiker den US-Kongress aufgefordert, die Befugnisse des Präsidenten bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen zu beschneiden. Das war eine echte Fortsetzung von Göttingen und hat auch für viel Resonanz in den USA gesorgt. Auf internationaler Ebene gestaltet sich das allerdings sehr viel schwieriger. Die iranischen Kollegen etwa haben überhaupt keinen Einfluss auf die Politik ihres Landes, und uns wird dort niemand zuhören.

tagesschau.de: Gibt es einen Dialog zwischen deutschen und iranischen Atomforschern?

Umbach: Das ist eine andere Welt. Man kennt nur die Wenigen, die die Möglichkeit hatten im Ausland zu forschen. Aber die, die dort im Stillen und möglicherweise unter Regierungsaufsicht in Labors an Atomprogrammen arbeiten, sind in internationalen Forscherkreisen im Wesentlichen völlig unbekannt.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de