Interview mit Ursula von der Leyen (2) "Mischung aus Pamela Anderson und Magda Goebbels"
Frage: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie selbst unter öffentlicher Beobachtung stehen, seitdem Sie denken können. Haben Sie sich nie gewünscht, es wäre anders?
Von der Leyen: Phasenweise. Aber glücklicherweise gibt es seit meiner Kindheit geschützte Inseln, auf denen ich immer wieder ganz unbehelligt bin: die Familie und meinen Freundeskreis. Außerdem leben wir seit zehn Jahren in einem Dorf, wo wir ein ganz natürliches Umfeld haben – Menschen, die uns so kennen wie wir sind. Wenn ich dieses Umfeld verlasse, bin ich eine öffentliche Person und die Arbeit beginnt.
Frage: Haben Sie im Umgang mit den Medien etwas von Ihrem Vater gelernt?
Von der Leyen: Ja, einiges. Als ich in der Politik anfing, habe ich jeden Halbsatz, der in der Lokalzeitung über mich stand, viel zu ernst genommen. In diesen Situationen hat mein Vater immer gesagt: „Ach, Gott, nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern.“ Das hat mich entspannt. Ich habe von ihm auch gelernt, Journalisten nicht als Gegner zu sehen. Sie sind weder meine Feinde, noch sind sie meine Freunde, sondern sie machen ihren Job, so wie ich meinen mache. Es erleichtert die Sache für beide Seiten, wenn man sich professionell benimmt und sich an die Spielregeln hält.
Frage: Welche Spielregeln meinen Sie?
Von der Leyen: Zum Beispiel die, dass Journalisten mir Zitate zur Autorisierung vorlegen. Und ich dann keine Haarspaltereien über Halbsätze anfange, sondern mich auf die wirklich wichtigen Aussagen konzentriere.
Zu den Regeln gehört auch, dass ich Journalisten Dinge klar und deutlich unter eins oder unter drei sage. Unter eins bedeutet, dass das, was ich erzähle, auch mit meinem Namen als Quelle veröffentlicht werden darf. Unter drei sage ich hingegen die Dinge, von denen ich nicht möchte, dass sie zitiert werden, die aber für das Verständnis wichtig sind, um Dinge einordnen zu können. Oder aber, wenn ich in einem Gespräch mit einem Journalisten entspannt eine Anekdote aus meinem Leben erzähle, über die wir gemeinsam lachen, die ich am nächsten Tag aber nicht in der Zeitung lesen will, dann sage ich: Das ist jetzt aber unter drei. Ähnlich liegen die Dinge, wenn ich einen Zusammenhang erklären will und mir dafür im Augenblick nur umgangssprachliche Worte einfallen, mit denen ich nicht zitiert werden will.
Frage: Ist die Methode unter drei nicht der Versuch, subtil Einfluss zu nehmen? Politiker impfen Journalisten gezielt mit bestimmten Informationen, ohne dass die ihre Quelle nennen dürfen.
Von der Leyen: Es gibt eine regelrechte Legendenbildung um das ‚Unter-drei-Reden’: Demnach reden Politiker erst dann richtig Tacheles. Das ist meiner Meinung nach aber nicht so. Meist geht es lediglich darum, komplexe Sachverhalte zu erklären und damit für die Journalisten den Hintergrund des politischen Tagesgeschäfts auszuleuchten. Manchmal geht es – was ich legitim finde – auch um atmosphärische Störungen zwischen handelnden Politikern. Das läuft unter drei, ändert nichts inhaltlich an der Sache, erklärt aber, warum die beiden Differenzen miteinander haben.
Frage: Wie viele Informationen geben Sie jeweils unter eins und unter drei heraus?
Von der Leyen: 80 bis 90 Prozent unter eins, also nur sehr wenige vertraulich. Auch, weil ich weiß, dass das, was unter drei gesagt wird, eines Tages unbewusst und ohne böse Absicht mit in die Berichterstattung einfließen kann. Journalisten sind auch nur Menschen, und jeder weiß aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn einem etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt wird, die Zeit darüber hingeht und man dieses Detail in der Erinnerung mit anderen vermengt.
Frage: Wer hat Ihnen, der politischen Quereinsteigerin, diese Regeln erklärt?
Von der Leyen: Meine Pressesprecherin. Als ich als Sozialministerin in Niedersachsen anfing, habe ich sie von einem kleinen Kreisblatt geholt. Wir haben damals gemeinsam ganz neu angefangen. Sie kannte als Journalistin die wichtigsten Spielregeln und hat sie mir vermittelt. Das gesamte Geschäft der Kommunikation haben wir uns dann aber selbst erarbeitet, es ist quasi handgestrickt. Ich wusste zu Beginn nur eines, und das hatte mein Vater mir mit auf den Weg gegeben: Dass ich eine entspannte Haltung gegenüber den Medien einnehmen muss. Dass ich lernen muss, kritische Berichte über mich persönlich entweder nicht zu lesen oder schnell abzuhaken.
Frage: Und wie weit sind Sie bei diesem Lernprozess fortgeschritten?
Von der Leyen: Früher hat mich vieles verletzt, weil ich es persönlich genommen habe – es kreiste dann stundenlang in meinem Kopf. Heute habe ich verstanden, dass die Berichterstattung in Phasen verläuft. Es gibt Zeiten, in denen werde ich sehr positiv dargestellt, und es gibt Zeiten, in denen werde ich verrissen – oft ganz unabhängig von meiner Arbeit. Deshalb muss man die Dinge, die über einen als Person geschrieben werden, abhaken, sonst hält man das nicht aus. Was aber nicht heißt, dass ich es ignoriere, wenn die Grenze zur Beleidigung überschritten wird. Und sachliche Kritik nehme ich sehr ernst. Manchmal findet sich in einem Artikel ein Argument, bei dem ich merke: Das habe ich nicht bedacht, der Journalist hat Recht, da muss ich nachjustieren.
Frage: Ist es vorgekommen, dass Sie die Grenze der Beleidigung überschritten sahen?
Von der Leyen: In der "Welt" ist mal ein Porträt über mich erschienen, in dem der Autor geschrieben hat, ich sei eine Mischung aus Pamela Anderson und Magda Goebbels. Da habe ich gedacht: Warum stellt er mich in die nationalsozialistische Ecke? Doch wohl nicht, weil ich Kinder habe. Ich habe kurzzeitig auch rechtliche Schritte erwogen. Aber dann dachte ich: Der Journalist hat sich selber entblödet, und die Leser sollen sich darüber ein Urteil bilden.
Weiter in Teil 3: Welche Frage Ursula von der Leyen tief gekränkt hat und wie sehr sie sich anschließend über ihre Reaktion in der Live-Sendung ärgerte. Klicken Sie hier.