Interview

Interview mit Al-Dschasira-Korrespondent Suliman "Medien werden von allen Seiten benutzt"

Stand: 02.08.2007 11:20 Uhr

Das Auswärtige Amt hat das Video der deutschen Geisel in Afghanistan als "gezielt lanciertes Mittel der Einschüchterung" bezeichnet. Es wurde dem arabischen Sender Al Dschasira zugespielt, der es auch als erster ausstrahlte. Macht sich der Sender damit zum Werkzeug der Entführer? tagesschau.de sprach mit dem Deutschland-Korrespondenten des Senders, Aktham Suliman.

tagesschau.de: Ihr Sender hat gestern ein Video des entführten deutschen Ingenieurs gezeigt. Warum zeigt Al Dschasira diese Entführungs-Videos immer wieder?

Aktham Suliman: Was heißt "immer wieder"? Wir bewerten das von Fall zu Fall neu. Ermordungen und Hinrichtungen zeigen wir gar nicht. Im übrigen würde jeder Sender ein solches Video, wie das von gestern, ausstrahlen. Das ist ein Weltereignis. Hier geht es um Weltpolitik, denn diese Entführungen stehen im Zusammenhang mit dem Anti-Terror-Krieg, mit dem Einsatz in Afghanistan. Für Nachrichtensender ist das eine große Geschichte, und das wissen die Entführer auch. Deswegen schicken sie diese Videos. Sie kennen die Mechanismen der Medien und sie richten sich danach.

tagesschau.de: Aber indem Sie die Videos zeigen, machen Sie sich doch zum Instrument der Entführer.

Suliman: Das glaube ich nicht, es sei denn, es handelt sich um sehr brutale Bilder. Aber die Bilder von gestern sind "normale" Entführungsbilder. Sie zeigen eine Geisel, die an ihre Regierung appelliert. Und Al Dschasira hat ja auch einen Mittelweg gefunden, nämlich diese Bilder nicht mit Originalton auszustrahlen, sondern nur mit einem Kommentar des Moderators, der über die Bilder gelegt wird.

"Alle Medien machen Kompromisse"

tagesschau.de: Sie verzichten nicht auf die bewegten Bilder, aber sie lassen sie ohne Ton laufen. Ist das nicht ein ziemlich fauler Kompromiss?

Suliman: Alles was wir in diesem Zusammenhang machen, ist natürlich ein Kompromiss, aber das gilt für alle Medien. Ob man jetzt ein Standbild zeigt, wie es die Tagesschau tut, und behauptet, das sei weniger emotional, ob man bewegte Bilder ohne Originalton zeigt, ob man die gesamte Aufnahme zeigt oder nur ein Teil davon - das sind alles Kompromisse. Denn die Medien, gerade die Fernsehnachrichtensender, brauchen Bilder. Auf der anderen Seite versucht man, sich nicht zum Werkzeug machen zu lassen. Daher kommen diese Methoden, die manchmal mehr, manchmal weniger gelingen. Aber ich könnte nicht sagen, ob eine Mutter oder eine Ehefrau eines Entführten ein Standbild als weniger berührend empfindet als ein Video.

tagesschau.de: Die Tagesschau zeigt nur Standbilder, um sich nicht zum Büttel der Entführer machen zu lassen, die Emotionen schüren und Stimmung machen wollen. Bewegte Bilder haben im Falle von Geiselnahmen in der Regel eine sehr viel größere Wirkung als Standbilder oder Fotos. Die Bundesregierung bezeichnet das Video denn auch als ein "gezielt lanciertes Dokument der Einschüchterung".

Suliman: Medien sind doch immer in der Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Wenn wir diese Videos nicht zeigen würden, könnte man uns genauso gut vorwerfen, dass wir uns zum Instrument von fremden Regierungen machen lassen würden, die sich nicht unter Druck setzen lassen wollen. Aber nochmal: Man muss bei jedem Fall neu nachdenken, wie man damit umgeht. Und ich wage nicht, mir den Fall vorzustellen, dass Al Dschasira ein Geisel-Video erhält, es nicht ausstrahlt, die Geiselnehmer sagen: 'Okay, auf uns reagiert niemand' und die Geisel dann umbringen.

"Ich sehe die Geisel-Videos als Verhandlungmittel"

tagesschau.de: Aber die Entführer setzen diese Videos doch nicht ein, um das Leben ihrer Geiseln zu retten, sondern um ihre Forderungen durchzusetzen, und sie tun das immer professioneller. Die Geisel-Videos funktionieren mittlerweile als wichtige Waffe im Nervenkrieg um die Entführten.

Suliman: Ich sehe das nicht so sehr als Waffe, sondern als Mittel der Verhandlung. Wenn Sie mich persönlich fragen: Wenn ein Video dazu führt, dass Regierungen darauf reagieren, Geld bezahlen oder - wie in Afghanistan gefordert - Inhaftierte freilassen, dann ist das nicht negativ, eher im Gegenteil. Denn es geht nicht um Regierungen, die seit Jahrzehnten sagen, dass sie nicht erpressbar sind, es geht um dieses eine Menschenleben. Und alles, was hilft, dieses Leben zu retten, ist meiner Meinung nach legitim.

Zur Person
Aktham Suliman ist seit 2002 Korrespondent für den arabischen Sender Al Dschasira in Berlin. Der Syrer mit deutschem Pass studierte Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Publizistik in Berlin. Er schrieb anschließend für eine deutsch-arabische Zeitung und berichtete mehr als vier Jahre für den Arabischen Dienst der Deutsche Welle.

tagesschau.de: Denken die Verantwortlichen bei Al Dschasira daran, welche Gefühle sie in den Angehörigen auslösen, wenn sie solche Videos ausstrahlen?

Suliman: Natürlich. Ich denke nicht, dass man den Familien unrecht tut, wenn man so etwas zeigt. Besonders nicht, wenn es sich, wie gestern, um "normale" Bilder handelt, wo niemand schreit oder weint. Mein Eindruck ist, dass Regierungen und Familien sehen, dass die Terroristen die Medien benutzen, um Botschaften zu schicken. Dann sagen sie: 'Okay, dann benutzen wir sie auch, um unserer Botschaften zu transportieren.' Die Medien werden von allen Seiten als Instrument benutzt.

"Jemand kommt vorbei und gibt ein Band ab"

tagesschau.de: Wie funktioniert das mit den Videos bei Al Dschasira? Schicken Ihnen die Taliban die Bänder zu, mit dem gewünschten Veröffentlichungsdatum darauf?

Suliman: Natürlich nicht! Man muss sich das so vorstellen: Irgendjemand kommt irgendwann in unserem Büro in Kabul oder in Bagdad vorbei und gibt eine Kassette oder eine CD ab. Und das ist natürlich nicht die einzige Kassette oder die einzige CD, die abgegeben wird. Irgendwann später schaut dann jemand von uns rein und entdeckt, dass es ein Geisel-Video ist. Und der, der das Band bei uns abgibt, ist ganz bestimmt nicht einer der Geiselnehmer, sondern eher jemand, der ahnungslos ist und nicht weiß, was auf der Kassette ist. So läuft das ab. Und deshalb bestimmen auch nicht die Terroristen, wann etwas ausgestrahlt wird. Zum einen, wissen sie nicht, wann genau das Material ankommt - es gibt ja meistens eine Kette von Boten - zum anderen wissen sie nicht, ob wir sofort darauf reagieren, weil es sich nicht gleich jemand ansieht oder weil zum Beispiel das Band kaputt ist.

Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de