Rückführung von Georgiern Kaum eine Chance für politisch Verfolgte
Deutschland lehnt fast alle Asylanträge von tschetschenischstämmigen Georgiern ab - so auch den von Surab Changoschwili. Sein Bruder wurde 2019 im Berliner Tiergarten von einem Russen ermordet.
Surab Changoschwili und seine Familie sind nervös. Jederzeit könnte die Polizei auftauchen und sie zum Flughafen bringen. Ihnen droht die Abschiebung nach Georgien, seit das Verwaltungsgericht Potsdam ihre Asylanträge vor einigen Tagen endgültig abgelehnt hat.
Das Gericht begründet in seinem Beschluss nur, warum die Asylentscheidung Bestand haben soll, die in einem anderen Staat getroffen worden war. Keine Berücksichtigung findet das Attentat an Surabs Bruder Selimchan. Der Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin am 23. August 2019 sorgte international für Schlagzeilen. Denn als Täter wurde 2021 ein Russe verurteilt, der nach Feststellung des Kammergerichts Berlin im Auftrag und mit Unterstützung des russischen Staates gehandelt hatte.
Selimchans Asylantrag hatte ebenfalls das Verwaltungsgericht Potsdam abgelehnt, anderthalb Jahre vor seinem Tod. Er habe "ein ins Blaue behauptetes, unüberprüfbares Szenario allein zu dem Zweck, den illegalen Aufenthalt über das Asylverfahren in ein Bleiberecht zu wandeln" präsentiert. Ein ärztliches Attest wies das Gericht zurück. Die Obduktion des Getöteten bestätigte jedoch die angegebenen schweren Herzprobleme. Die Feststellung von Narben am linken Arm stand zudem in Einklang mit Angaben Changoschwilis über ein Attentat in Georgien, bei dem er 2015 schwere Schussverletzungen erlitten hatte.
Weil die georgischen Behörden die Tat nicht aufklärten und er weitere Attentate fürchtete, ging Selimchan nach Deutschland. Auch seinen Bruder Surab drängte er, mit seiner Familie Georgien zu verlassen. Surab hatte wie Selimchan im Zweiten Tschetschenenkrieg gekämpft.
Offene Türen für Russland
Während Selimchans Schwester und Ehefrau mit ihren Familien den Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen haben, fürchtet Bruder Surab um sich und seine Familie, wenn sie jetzt nach Georgien zurückkehren müssen. Noch immer ist der "Georgische Traum" an der Macht. "Solange diese Partei regiert, sehe ich dort keine Sicherheit für uns", sagt Surab. Die Partei handele heute noch stärker im Sinne der russischen Regierung als bei seiner Flucht 2018. Außerdem sei Georgien zu einem Drehkreuz für russische Geheimdienste geworden.
Seit dem Großangriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sind Zehntausende russische Staatsbürger nach Georgien gekommen. Sie können ein Jahr ohne Visum in Georgien bleiben. Gesichtet wurden tschetschenische Geschäftsleute, die dem Machtzirkel von Putins Statthalter Ramsan Kadyrow zugerechnet werden. Die georgische Opposition wirft dem "Georgischen Traum" vor, sich immer wieder dem Willen Putins zu beugen.
Das Potsdamer Verwaltungsgericht sieht jedoch in Georgien keine Gefahr für die tschetschenische Minderheit der Kisten, von denen mehrere Tausend vor allem im Pankisi-Tal leben. "Leider nimmt Deutschland unsere Lage nicht ernst", sagt Surab und bringt damit auch die Verbitterung anderer Tschetschenen zum Ausdruck.
Die Gesamtschutzquote für tschetschenischstämmige Staatsbürger Georgiens sank nach Angabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 4,4 Prozent im Jahr 2017 auf 0,4 Prozent in den ersten acht Monaten 2023. Für alle Asylantragsteller aus Georgien fiel sie von 2,1 auf ebenfalls 0,4 Prozent.
"Prorussische Gesinnung" nur ein Narrativ?
Bei der Bewertung der Asylanträge stützen sich die deutschen Behörden und Gerichte unter anderem auf Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Im aktuellen Bericht vom 26. Mai 2023, den tagesschau.de einsehen konnte, werden die Kisten lediglich als eine von mehreren Minderheiten im Land genannt.
Erwähnt werden "russische und belarussische Kapitalzuflüsse" und die etwa 130.000 russischen Staatsangehörigen in Georgien. Bei der Bewertung des Verhältnisses der Regierungspartei zu Russland ist der Bericht zurückhaltend. Zitiert werden Oppositionsparteien, die ihr eine "prorussische und antiwestliche Gesinnung" vorwerfen.
Dabei pries zum Beispiel der Auswärtige Ausschuss der Staatsduma in Moskau die Behörden Georgiens, weil sie nicht der "antirussischen Hysterie" erlägen und sich nicht den Sanktionen gegen Russland angeschlossen, die Verbindungen sogar noch intensiviert haben.
Einer aktuellen Umfrage zufolge sehen 77 Prozent der georgischen Bevölkerung in Russland weiterhin die größte Gefahr. Die Befragung im Auftrag der den US-Republikanern nahe stehenden Organisation "International Republican Institute" wird regelmäßig erhoben. Demnach würden 29 Prozent auf keinen Fall die Regierungspartei wählen, aber auch 40 Prozent nicht die größte Oppositionspartei "Vereinte Nationale Bewegung" von Ex-Präsident Michail Saakaschwili.
Beide Parteien sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Regierungsweise immer autoritärer wurde, je länger sie im Amt waren. Zudem ist angesichts der Macht der ultrakonservativen Orthodoxen Kirche der Leidensdruck für LGBT-Personen groß.
Sicherer Herkunftsstaat
Anwälte und Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass die Chancen auf Asyl weiter sinken, wenn Georgien als sicherer Herkunftsstaat anerkannt wird. Nach Bundeskabinett und Bundestag muss nur noch der Bundesrat zustimmen. Zwar soll weiterhin jeder Asylantrag gründlich bearbeitet werden, aber Ziel dieser Einstufung ist gerade die Beschleunigung der Verfahren. Es gilt dann eine sogenannte Regelvermutung, wonach keine Verfolgungsgefahr vorliegt. Abgelehnte Asylbewerber müssen Klagen gegen Bescheide dann von Georgien aus einreichen.
Fraglich ist, ob sich bei den Fällen georgischer Staatsbürger viel ändern wird. Denn die Südkaukasusrepublik liegt in den Statistiken bereits jetzt im Bereich der sicheren Herkunftsstaaten Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Etwa bei der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer von Asylverfahren - sie sank im Jahr 2022 bereits auf 2,9 Monate. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag vom März hervor.
Ähnlich sieht es bei der Bearbeitungsdauer bis zu einer vor Gericht unanfechtbaren Entscheidung aus, das heißt, bis alle juristischen Mittel ausgeschöpft sind. Für das erste Halbjahr 2022 gibt die Bundesregierung für Staatsbürger aus Georgien einen Durchschnitt von 13,1 Monaten an. Bei den sicheren Herkunftsstaaten in Südosteuropa schwankt dieser Zeitraum zwischen 19,4 Monaten (Kosovo) und 5,0 Monaten (Bosnien-Herzegowina). Für alle Staaten lag der Durchschnitt bei 21,8 Monaten.
Meiste Abschiebungen nach Georgien
Bei der Rücknahme von Staatsangehörigen ist Georgien geradezu vorbildlich. Unter den 7.861 Abgeschobenen im ersten Halbjahr 2023 hatten mit 705 die meisten die georgische Staatsbürgerschaft, wie aus einer weiteren Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion vom August hervorgeht. 14 Abschiebeflüge hätten in diesem Zeitraum in die Südkaukasusrepublik stattgefunden.
Über die Kooperation mit den georgischen Behörden heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes, sie funktioniere "effektiv und reibungslos". Bei Rückführungen würden überwiegend georgische Polizeibeamte eingesetzt. Die Zusammenarbeit verlaufe "bemerkenswert gut".
Seit 2016 hat Georgien einen Polizeiattaché an seiner Botschaft in Berlin akkreditiert. Aufgabe sei nicht nur die Kooperation bei Rückführungen, sondern auch andere Polizeitätigkeiten wie Verbrechensbekämpfung und Verkehrssicherheit, teilte das Innenministerium in Tiflis auf tagesschau.de-Anfrage mit. Einer penibel geführten Statistik auf der Ministeriumswebsite zufolge nahm Georgien bis Ende Oktober 2.202 Staatsbürger aus Deutschland zurück, weit mehr als aus allen anderen Staaten, deren Zahl insgesamt 3.387 betrug.
Dass die georgische Regierung so kooperationswillig ist, lässt sich mit dem Anreiz der Visaliberalisierung erklären. Seit 2017 können sich georgische Staatsbürger 90 Tage pro Jahr ohne Visum im Schengen-Raum aufhalten. Es ist eine Errungenschaft, die die Menschen in Georgien sehr schätzen. Eine Aussetzung könnte neue Wut auf die Regierung auslösen.
Der Fall Georgien zeigt, dass die Verschärfung der Asylpolitik auch in Kooperation mit dessen Regierung nicht zu einer dauerhaften Verringerung der Bewerberzahlen geführt hat, im Gegenteil. Bewerber mit Angst um ihre Sicherheit wie der tschetschenischstämmige Surab Changoschwili und ihre Anwälte rechnen nun damit, dass ihre Fälle noch schneller abgelehnt werden.