Hilfe für straffällige Jugendliche Isolation, Handyentzug und feste Regeln
In einer Jugendhilfe in Brandenburg leben Jugendliche, die straffällig geworden sind. Es sind schwere Fälle, die keine andere Einrichtung aufnehmen wollte. Doch das Konzept hat Erfolg - was machen sie hier anders?
Schon die Anfahrt lässt erahnen, was auf einen zukommt. Eine lange Straße, die in ein dicht bewachsenes Waldstück führt. Der letzte Ort liegt kilometerweit entfernt, die Straße wirkt, als würde sie nicht enden wollen. Eines wird einem sofort klar: Hier ist man weit weg von allem. Am Ende der Straße steht ein langgezogenes Gebäude, das an ein DDR-Schullandheim erinnert, daneben ein malerischer See. Hier kommen Jugendliche an, die Drogen konsumiert haben und straffällig geworden sind. So wie Maria.
Als sie drei Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Von da an ist ihre Mutter mit zehn Kindern alleinerziehend. "Wir sind eine sehr große Familie, da kann man nicht immer alles nur für eine Person tun", erzählt Maria. Die heute 16-Jährige wurde schon in der Grundschule gemobbt. "Irgendwann wollte ich halt nicht mehr zur Schule gehen, weil ich Angst hatte und ich dachte jetzt kommen wieder irgendwelche Leute und wollen mir eine in die Fresse hauen." Maria ist 13 als sie anfängt Drogen zu nehmen, auch hartes Zeug wie Crystal Meth und Koks. So gerät sie auf die schiefe Bahn.
22 Jugendliche mit ähnlichen Lebensläufen leben im Projekt NEUStart von der Johannesstift Diakonie. Fast alle haben Erfahrungen mit Drogen, falschen Freunden und kommen fast immer aus instabilen familiären Verhältnissen. Aus ganz Deutschland kommen die Jugendlichen hierher an den See in Brandenburg. Hier sind sie weit weg, isoliert von ihrem alten Umfeld und jeglichen Ablenkungen. Handys sind nicht erlaubt. Stattdessen ist der Tag klar strukturiert mit Arbeitseinsätzen, Schulunterricht, Mahlzeiten und Freizeit. Alles hat einen festen Zeitrahmen am Tag.
Vorteile können erarbeitet werden
Wer hier ankommt, bekommt ein spartanisch eingerichtetes Zimmer mit festgeschraubten Möbeln. Denn Gewaltausbrüche gehören vor allem in der Anfangszeit dazu. Wer etwas kaputt macht, muss es in der Werkstatt der Einrichtung selbst reparieren. Wer sich an die Regeln hält, kann sich Punkte erarbeiten, "aufsteigen" und Vorteile erarbeiten. Privilegien sind beispielsweise ein Zimmer mit moderneren Möbeln, auch ein Fernseher auf dem Zimmer oder das Zimmer selbst streichen zu können, sind Dinge, die sich die Jugendlichen erarbeiten können.
Pierre und Maria beim täglichen Arbeitseinsatz
Selbst der Zigarettenkonsum ist klar vorgegeben: Fünf Zigaretten dürfen die Jugendlichen pro Tag rauchen, zu festen Uhrzeiten. Ausgegeben werden sie von Betreuern, die auch das Anzünden übernehmen, denn eigene Feuerzeuge dürfen die Jugendlichen nicht haben. Zu groß ist die Brandgefahr im Zimmer und im Waldgebiet.
Rückschläge gehören dazu
Die 16-Jährige Paloma erzählt von ihrem Start in der Einrichtung: "Am Anfang war das halt sehr, sehr schwer. Ich hab auch meine Mutter heulend angerufen, weil ich dachte alle hassen mich." Paloma kommt aus der Nähe von Dresden und wurde ab der siebten Klasse gemobbt und ging dann aus Angst nicht mehr in die Schule. Sie flüchtete sich in die Drogen, bis ihre Eltern die Reißleine ziehen. Seit mehr als einem Jahr ist sie jetzt hier, noch immer ist ihr anzumerken, wie schwer es ihr manchmal noch fällt.
An Weihnachten, so erzählt sie es, sei sie rückfällig geworden, hat wieder Alkohol und Drogen konsumiert. Das hat Konsequenzen: Erarbeitete Punkte für mögliche Privilegien hat sie dadurch verloren.
Dass sie trotzdem noch nicht aufgegeben hat, liegt auch daran, dass das Team um Einrichtungsleiter Norbert Schröder darauf setzt, trotz aller Regeln, eine Bindung zu den Jugendlichen aufzubauen. "Es geht erstmal darum das Vertrauen der Kids zu gewinnen und sich dann auch als zuverlässigen Partner zu zeigen", so Schröder. Wenn einer nach vier Wochen aufgeben wolle, dann erwidert er: "Du hast dich für diesen Weg entschieden und wir auch und diesen Weg werden wir jetzt gemeinsam gehen." Dranbleiben ist seine Devise.
Anders als normale Wohngruppen
Trotz der Konsequenzen und klaren Regeln: Die Jugendlichen spüren irgendwann, hier laufen manche Dinge anders. Die Abgeschiedenheit, das Handyverbot und Arbeitseinsätze helfen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren erzählen die Jugendlichen. In anderen Einrichtungen haben viele weniger feste Strukturen erlebt.
Farah, die schon seit drei Jahren dort ist, berichtet: "Hier ist das einfach anders und man muss es lernen mit seiner Zeit umzugehen und nicht auf dumme Ideen zu kommen." Maria erzählt: "Es ist komplett anders. Am Anfang dachte ich auch, es wird sowas wie die normale Wohngruppe, aber mit der Zeit, also ich bin ja schon seit fast zwei Jahren hier, hab ich gemerkt, dass es nicht so ist wie alles andere und man die Hilfe bekommt, die man braucht."
Die Jugendlichen werden von einem Team aus drei Psychologen, 20 Pädagogen und zusätzlichen Sozialarbeitern betreut. Unterrichtet werden sie von elf Lehrern in Einzelunterricht, weil alle einen unterschiedlichen Lernstand haben. Außerdem kann dann niemand in der Gemeinschaft der Klasse untertauchen.
Und die Methode hat Erfolg: 60 Prozent der Jugendlichen verlassen die Einrichtung mit einem Schulabschluss und damit mit einer Perspektive für die Zukunft. Das Rüstzeug dafür haben sie sich in Brandenburg hart erarbeitet.