Kampf gegen Rechtsextremismus "Entmutigt und von der Politik im Stich gelassen"
Im Umgang mit Rechtsextremismus gibt es einen Stimmungsumschwung, beobachten Beratungsstellen bundesweit. Die extreme Rechte sei auf dem Vormarsch. Gleichzeitig wackelt die Unterstützung der Initiativen.
Dominik Schumacher wählt deutliche Worte. "Die Lage ist dramatisch: Die extreme Rechte ist in der Offensive", so sagt es der Vertreter des Bundesverbands Mobile Beratung. Die Beratungsstellen im Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sehen vor allem in der AfD die "wesentliche Triebkraft" dieser Entwicklung.
Die in Teilen rechtsextreme Partei sei der parlamentarische Arm eines "großen antidemokratischen Netzwerks, das die politische Landschaft umstürzen will", sagt Schumacher. Im Windschatten der AfD organisierten sich Reichsbürger, Neue Rechte und Neonazis.
Ähnliche Warnungen bereits vor einem Jahr
Schon vor einem Jahr hatten die Beratungsstellen ähnliche Warnungen ausgegeben. Nun beschreibt Schumacher einen tiefgehenden Stimmungsumschwung. Die AfD feiere Wahlerfolge. Unter Jugendlichen bilde sich ein neues "rechtes Selbstbewusstsein" aus, die Zahl organisierter Neonazis wachse. Immer wieder sangen Menschen öffentlich den rechtsextremen Slogan "Deutschland den Deutschen" zu einem eigentlich harmlosen Partyhit.
Der Soziologe Oliver Decker teilt diese Beobachtung. Er verweist auf eine Zunahme sogenannter ausländerfeindlicher Einstellungen in Deutschland. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie, deren Mitautor Decker ist, breiten diese sich in West- wie in Ostdeutschland aus.
"Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus"
Decker sieht Ausländlerfeindlichkeit als eine "Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus" und kritisiert die Reaktion der Politik darauf. Diese suche mit immer neuen Asylgipfeln das Problem wieder dort, "wo es definitiv nicht liegt: bei den sogenannten Ausländern".
Bund und Länder hatten sich zuletzt auf mehrere Verschärfungen der Asylpolitik verständigt, etwa auf Grenzkontrollen, erleichterte Abschiebungen und Bezahlkarten für Geflüchtete und Asylbewerber. Seitens Union und FDP, aber auch AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gibt es aber noch weitere Forderungen, die darüber hinaus gehen. Menschen, die solche Haltungen ablehnen, würden damit politisch "heimatlos", während die AfD stärker werde, warnt Decker.
Die Diskussion um ein AfD-Verbotsfahren begrüßt er. Es gebe gute Gründe, die für ein Verbot sprechen würden, so Decker. Juristisch sei die Lage allerdings unübersichtlich. Er schlägt als Gegenmaßnahmen zu den aktuellen Entwicklungen einen "Demokratiegipfel" und eine stärkere Unterstützung von Engagierten vor.
Demos hallen nicht nach
Diese Engagierten waren mit Hunderttausenden anderen Menschen Anfang dieses Jahres wochenlang gegen extrem rechte Politik und Vertreibungspläne auf die Straße gegangen. Auslöser dafür war eine Correctiv-Recherche. Doch diese Menschen, so Dominik Schumacher, fühlten sich mittlerweile "entmutigt und von der Politik im Stich gelassen".
Das bestätigte Sylvia Spehr vom Bündnis "Nordhausen zusammen". In der thüringischen Kreisstadt wäre ein AfD-Politiker im Herbst 2023 beinahe Oberbürgermeister geworden. Das Bündnis hatte gegen seine Wahl mobilisiert - mit Aktionen in sozialen Medien und in Nordhausen selbst.
Die Ergebnisse der Thüringer Kommunal- und Landtagswahlen in diesem Jahr hätten die Beteiligten dann ernüchtert, sagte Spehr. Bei beiden Wahlen konnte die AfD Zugewinne verbuchen. Es mangele an Unterstützung für Initiativen wie ihrer. "Obwohl wir so viele sind, haben wir dennoch oft das Gefühl, allein zu sein."
Demokratiefördergesetz oder "Rettungsschirm"
Dominik Schumacher sieht vor allem ein Problem in den Arbeitsbedingungen der Beratungsstellen. Derzeit arbeiten bundesweit mehr als 200 Menschen in rund 50 solcher Teams. Ihre Angebote richten sich an Schulen, Institutionen, Unternehmen und Betroffene von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt.
Doch die Berater bekommen wie Mitarbeiter anderer Demokratieprojekte nur befristete Jahresverträge. Die ausstehende Haushaltseinigung im Bundestag schafft weitere Unsicherheit. "Unsere Kollegen wissen nicht, ob sie 2025 weiterarbeiten können", sagt Dominik Schumacher. Die Stimmung sei "so schlecht wie noch nie". Sollten Förderzusagen weiter ausbleiben, müssten Mitarbeiter entlassen und angemietete Räume gekündigt werden.
Sein Verband mahne deshalb, endlich eine gesetzliche Grundlage für die Förderung zu schaffen. Denn, so Schumacher: "Rechtsextremismus ist ein langfristiges Problem."
Diese Absicherung hätte das geplante Demokratiefördergesetz gebracht. Allerdings hat weder die letzte Große Koalition noch die Ampelkoalition das Gesetz durch den Bundestag gebracht. Die Chance dürfte mit einer Unions-geführten Regierung ab dem kommenden Jahr kaum wachsen.
Wie kritisch die Beratungsstellen ihre eigene Lage einschätzen, zeigt sich auch in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Dort forderten die versammelten Stellen nach den Landtagswahlen einen "Rettungsschirm" auf Landesebene für sich, Asyl- und Migrationsberatungen sowie Demokratieprojekte.