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Baden-Württemberg Prozess nach Messerangriff in Mannheim: Wer ist Sulaiman A.?
Im Prozess wegen des mutmaßlichen Mordes an dem Polizisten Rouven Laur steht ein einzelner Mann im Fokus: Sulaiman A.. Ermittler zeichnen ein detailliertes Bild seiner Persönlichkeit.
Am Donnerstag beginnt in Stuttgart der Prozess gegen Sulaiman A.. Ihm wird Mord am Mannheimer Polizisten Rouven Laur sowie fünffach versuchter Mord vorgeworfen. Schon jetzt gibt es umfassende Informationen zu seiner Person.
Es ist der Abend des Anschlags von Mannheim am 31. Mai 2024. Um 18:35 Uhr geht beim Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt ein Notruf ein. Eine Frau ruft an. Sie ist aufgeregt. Sie sagt, sie rufe wegen der Schießerei in Mannheim an. Bekannte hätten ihr gesagt, dass ihr Ehemann auf Videos am Tatort zu sehen sei. Sie habe daraufhin versucht, ihren Mann zu erreichen. Doch der gehe nicht ans Telefon. Offenbar erst Stück für Stück versteht der Polizeibeamte am anderen Ende der Leitung, was ihn die Frau fragen will: Ist ihr Mann der Attentäter von Mannheim? Und: Ist er noch am Leben?
Wie lief die Tat ab? Eine minutiöse Schilderung der Abläufe gibt es in diesem Artikel:
Durchsuchung der Wohnung bringt deutliche Hinweise
Sieben Stunden ist der Anschlag auf dem Mannheimer Marktplatz her, der Polizeibeamte Rouven Laur ist lebensgefährlich verletzt worden, er wird wenige Tage später sterben. Einige Minuten nach dem Telefongespräch mit der Leitstelle wird die Polizei die Wohnung der Anruferin im südhessischen Heppenheim durchsuchen. Die Einsatzkräfte waren bereits auf dem Weg dorthin. Denn bei dem niedergeschossenen Täter haben sich deutliche Hinweise auf seine Identität gefunden: ein Aufenthaltstitel, verschiedene Ausweisdokumente, eine Bankkarte, ein DB-Tagesticket.
Gab es eine MRT-Untersuchung?
Die Polizei durchsucht die Wohnung von Familie A.. Journalisten stehen bereits vor dem Haus. Die Reporter hören von Nachbarn, wie sich der Familienvater Sulaiman A. in den vergangenen Monaten radikalisiert haben soll: Der Bart sei immer länger, sein Verhalten immer abweisender geworden. Er habe Nachbarn Schläge angedroht, wenn sie seiner Frau zu nahe kämen. Auch die eigene Ehefrau sieht offenbar Probleme bei ihrem Mann. Sie berichtet der Polizei schon im ersten Anruf bei der 110 von angeblichen psychischen Problemen ihres Mannes und ärztlichen Untersuchungen deswegen. Vor kurzem erst sei deswegen eine MRT-Untersuchung erfolgt. Belege dafür finden die Ermittler zunächst nicht.
Ermittler zeichnen widersprüchlichen Lebensweg nach
In der Wohnung gibt es aber noch andere Hinweise auf die Tat: Ein Karton, mit dem das Tatmesser per Post gekommen sein könnte. Zubehör zu einer Zwille, die bei Sulaiman A. am Tatort gefunden wurde. Aber auch Unterhaltungselektronik, ein riesiger Fernseher im Wohnzimmer und zwei Drohnen aus dem Hobby-Segment. Sieht so die Wohnung eines Terroristen aus? Stück für Stück versucht die Polizei, in den Wochen und Monaten nach der Tat ein Bild vom Leben des Sulaiman A. zu bekommen. Sie zeichnet einen widersprüchlichen Lebensweg nach. Seit er als Jugendlicher nach Deutschland kam, scheint Sulaiman A. Chancen und Erfolge gehabt zu haben. Er entschied sich aber auch immer wieder gegen Angebote, die ihm gemacht wurden und scheint letztendlich einen eher einsamen Weg gewählt zu haben.
Unbefristeter Aufenthaltstitel - ein Leben in Pflegeeinrichtungen
Er ist Afghane mit tadschikischer Volkszugehörigkeit. Dari ist seine Muttersprache, bis zur 6. Klasse hat er in Afghanistan die Schule besucht. Im Alter von 14 Jahren kommt er 2013 mit seinem Bruder, aber ohne seine Eltern, nach Deutschland. Der Vater habe seine beiden Söhne an die afghanisch-irakische Grenze gebracht und Fluchthelfern übergeben, finden die Ermittler heraus. Seine Reiseroute soll über den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland geführt haben. Erst hier stellen die beiden "unbegleiteten Minderjährigen", ihren Asylantrag. Doch der wird abgelehnt. Das zuständige Bundesamt glaubt ihren Schilderungen nicht. Doch ohne Eltern und Verwandte ist eine Rückführung nicht möglich. Deshalb kommt Sulaiman A. mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel für Deutschland zunächst in Pflegeeinrichtungen unter.
Parallel startet der junge Sulaiman A. eine kleine Karriere in der Kampfsportart Taekwondo, die er wohl schon in Afghanistan praktiziert hat. 2013, im Jahr seiner Einreise, gewinnt er mit dem "Internationalen Rheinland-Pfalz Pokal" einen renommierten Wettbewerb. Sein Trainer soll ihn als sehr motiviert und mit erheblichem Potential beschrieben haben. Kenner der Sportart sagen später, auch die Bewegungsabläufe während des Attentats würden auf Kampfsporterfahrung schließen lassen. Doch A. bleibt dem Sport nicht treu und wechselt auch immer wieder die Pflegeeinrichtung.
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Polizeiauto in Heppenheim (Hessen, Kreis Bergstraße) an der Wohnung des mutmaßlichen Attentäters.
Tätigkeit als Lagerist
Als er 19 Jahre alt ist, beantragt er ein Ehefähigkeitszeugnis. Er will eine Frau heiraten, die er bereits 2014 in der Schule kennengelernt hat. Sie ist ein Jahr jünger als er, wurde in Bensheim (Kreis Bergstraße) geboren und stammt, so notieren die Ermittler, aus einer sehr traditionell geprägten türkischen Familie. Anfangs sind alle gegen die Beziehung der beiden Jugendlichen. Ihre Eltern wollen den Umgang der beiden verbieten. Die Pflegeeinrichtung von Sulaiman erteilt seiner Freundin Hausverbot. Doch nach ihrer Heirat scheinen sich die Wogen zu glätten. In der Schule läuft es nicht so gut, in der 10. Klasse scheitert die Versetzung an schlechten Noten in Deutsch und Englisch. Sulaiman arbeitet gelegentlich als Lagerist bei verschiedenen Firmen. In seinem Lebenslauf gibt er als Hobby "Vorträge anhören" an. Er und seine Frau bekommen zwei Kinder. Das Paar wohnt in Heppenheim (Kreis Bergstraße) in einer Hochhaus-Wohnung, die dem Schwiegervater gehört.
Datenauswertung: Angeklagter konsumierte radikale Inhalte
Offenbar aus dieser Wohnung heraus ruft die Frau am Abend des Attentats die Polizei an und fragt nach ihrem Mann. Der liegt zu diesem Zeitpunkt mit lebensgefährlichen Verletzungen auf der Intensivstation des Theresienkrankenhauses in Mannheim. Als er nach Wochen wieder ansprechbar und vernehmungsfähig ist, macht er keine Angaben. Auch an einer Untersuchung durch einen psychiatrischen Sachverständigen, die der Generalbundesanwalt für notwendig hält, will er zunächst nicht mitwirken.
Die Ermittler interessieren sich in den Monaten nach der Tat vor allem für sein Handy und einige Chats auf der Plattform "Telegram". Immer wieder hat sich Sulaiman A. dort für religiöse Fragen interessiert und radikale Inhalte aufgerufen, ergibt eine Datenauswertung der Polizei. Es finden sich Sätze wie "der Jihad wird uns immer erhalten bleiben" oder "der Wert einer muslimischen Frau im Paradies ist viel besser". Allerdings bleiben bis heute Fragen zu seinem Kommunikationsverhalten offen. Die SIM-Karte seines Handys konnte trotz intensiver Suche bis heute nicht gefunden werden.
Sendung am Do., 13.2.2025 13:25 Uhr, SWR Extra, SWR