Archivbild: Sarotti Fuhrpark im Hintergrund mit Fabrik und Teltowkanal, um 1925 (Quelle: Museen Tempelhof-Schöneberg / Leitner)

Berlin Berliner Schokoladenhersteller: Sarotti und die Kolonialgeschichte

Stand: 15.02.2025 14:53 Uhr

In Tempelhof am Teltowkanal roch es mal nach Kakao. Anfang des 20. Jahrhunderts produzierte Sarotti hier Schokolade. Die Marke war beliebt, doch ihre Geschichte ist auch die des deutschen Kolonialismus und kolonialer Werbemotive. Von Simon Wenzel

Sarotti war mal ein großer Name: Aus Berlin kam vor und nach dem zweiten Weltkrieg einer der größten Schokoladenhersteller Deutschlands. Die Spuren des Unternehmens sind auch heute noch in der Stadt zu finden. Vor allem in den Sarotti-Höfen am Mehringdamm in Kreuzberg: Hier ist überall Sarotti, vom Schriftzug über der Hofeinfahrt und über dem Ladenfenster nebenan, bis hin zu einem riesigen Schriftzug im ersten Innenhof.
 
Bis vor wenigen Jahren war hier auch noch die alte Werbefigur abgebildet, mit der Sarotti in den 1920er Jahren bekannt wurde: der "Sarotti-Mohr". Eine Schwarze Person, die in einem angeblich exotischen Outfit abgebildet, das an einen Diener erinnert. Ein Bild, das vor rassistischen Werbeinszenierungen aus der Kolonialzeit nur so strotzt.

Der Eingang der Sarotti-Höfe am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg.

Eingang zu den denkmalgeschützten "Sarotti-Höfen" am Kreuzberger Mehringdamm.

Am Mehringdamm ist Sarotti groß geworden. 1883 zog es den vormaligen Schokoladenladen aus der Friedrichstraße nach Kreuzberg, hier bekam es auch seinen Markennamen. Der Produktionsstandort wuchs am Fuße des Kreuzbergs bis 1913 auf eine Größe von mehr als 1.000 Mitarbeitern an. Dann zog Sarotti gen Süden, auf die andere Seite des Flughafens Tempelhof: In Tempelhof, am Teltowkanal baute Sarotti eine große Fabrik.
 
Auch wenn ein Teil der Fabrik noch in der Bauphase in den 1920er Jahren ausbrannte: In der Spitze arbeiteten hier rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Belieferung mit Kakao erfolgte über den Teltowkanal, zum Beispiel aus Hamburg, wo viele Güter aus den damaligen deutschen Kolonien per Schiff ankamen. Eines der Hauptgebäude kann man heute noch erkennen, inzwischen ist es zum Bürohaus umgebaut.

Ein ehemaliges Fabrikgebäude in der Teilestraße in Berlin-Tempelhof, hier saß mal die Firma Sarotti.

Hier wurde mal im großen Stil Schokolade produziert: Ein Gebäude der ehemaligen Sarotti-Fabrik in der Teilestraße in Tempelhof heutzutage.

Europäer brachten den Kakao nach Afrika

Denn Kakao war eine Kolonialware. Sarotti bezog den Rohstoff für die Schokoladenproduktion nach allem, was man weiß, zu einem erheblichen Teil aus Kamerun. Das Land war Anfang des 20. Jahrhunderts unter den deutschen Kolonien die mit dem höchsten Kakao-Export. Deutlich weniger, aber immerhin ein bisschen Kakao kam außerdem aus Togo und Samoa nach Deutschland, noch mehr Kakao wurde aus dem heutigen Angola (damals portugiesische Kolonie) und den britischen Kolonien Sierra Leone, Gambia, Ghana und Nigeria importiert.
 
Den Kakaobaum brachten erst die Europäer auf den afrikanischen Kontinent. Ursprünglich wuchs die Pflanze nur in Süd- und Mittelamerika. Die Spanier entdeckten sie nach ihrer blutigen Eroberung Mexikos. Die Azteken hatten die Pflanze bereits verwendet für ein bitteres Getränk. Nachdem Kakao und Schokolade auch in Europa immer beliebter wurden, begannen die Kolonialmächte, die Pflanze in den tropischen Kolonien Afrikas anzubauen. Das geschah unter größtenteils menschenunwürdigen Bedingungen bis zur Versklavung. Auch in den deutschen Kolonien.

Archivbild: Die Tempelhofer Werke der Sarotti A.G. Berlin, vor 1926 (Quelle: Museen Tempelhof-Schöneberg / Leitner)

Ein Blick ins innere der Fabrik aus dem Jahr 1926.

Sarotti profitierte vom Kolonialismus und dem NS-Regime

Auszüge aus mehreren Kolonial-Handelsadressbüchern dieser Zeit dokumentieren, dass die "Sarotti Schokoladen- und Kakaoindustrie Aktiengesellsschaft" aus Berlin unter anderem "Kamerun-Kakao" verwendete. Aufgrund der in Tempelhof verarbeiteten Menge ist es aber wahrscheinlich, dass auch Kakao aus anderen Ländern am Teltowkanal angeliefert wurde.
 
Das Geschäft florierte für Sarotti. Wöchentlich solle in den 1920er Jahren rund 1,5 Millionen Tafeln über die Fließbänder in der Teilestraße gegangen sein. Sarotti-Produkte wurden als edel vermarktet, hatten eine filigrane Prägung und behielten stets ihr "exotisches" Werbebild. Schon 1929 wurde die erfolgreiche Berliner Firma Sarotti dann zu einem Großteil verkauft, an den heutigen Schweizer Großkonzern Nestlé.
 
Auch in der NS-Zeit blieb Sarotti eine der führenden Schokoladen-Marken. Mutmaßlich aufgrund guter Verbindungen zum Nazi-Regime. Das legen Recherchen des Berliner "Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit" und ein firmeneigenes Fotoalbum, welches im Museen Tempelhof-Schöneberg zu sehen, ist nahe. Sarotti durfte selbst während des zweiten Weltkriegs weiter Süßwaren produzieren. Dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zufolge musste Sarotti 1941 zwar rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Rüstungsindustrie abgeben, bekam dafür aber Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und Tschechien. Erst 1943 musste Sarotti die Herstellung für den zivilen Bereich stoppen, produzierte anschließend aber weiter Süßwaren für die Wehrmacht.

Sarotti wechselte mehrfach den Besitzer

Nach dem Krieg verlagerte sich der Hauptsitz schnell von Berlin ins Rheinland. In den 1960er Jahren begann dann der Niedergang Sarottis, als sich der Schokoladenmarkt wandelte und die Firma Trends verpasste. Ende der 1990er Jahre wechselte die Marke den Besitzer erneut, Stollwerck kaufte Sarotti auf, wurde später aber selbst vom weltweiten Schokoladen-Riesen Barry Callebaut geschluckt, welcher Stollwerck samt Sarotti wiederum 2011 an den Süßwarenhersteller Baronie weiterverkaufte.

Die wirtschaftliche Entwicklung Sarottis, der Aufbau von Reichtum aus Kolonialwaren, ist nur ein mögliches Beispiel für die Ausbeutung der Kolonien des frühen 20. Jahrhunderts. Wegen der früheren Größe der Firma ist es ein verhältnismäßig gut dokumentiertes. Das ist ein Grund, wieso sich auch die Museen des Bezirks Tempelhof-Schöneberg der Geschichte der Firma in einer neuen Ausstellung "Schokolonialismus - Sarotti in Tempelhof" widmen.

Besonders an Sarotti ist aber vor allem die außergewöhnlich stark von kolonialen Klischees und rassistischen Bildern geprägte Werbung, die das Unternehmen bekannt machte. Die schon beschriebene Sarotti-Figur ist eines der bekanntesten Beispiele für die Art der Werbung mit der Kolonialwaren wie Kakao jahrzehntelang beworben wurden. Die Strategie, Schokolade mit Motiven und Menschen aus dem Anbauländern zu schmücken entwickelte sich in der Kolonialzeit.
 
Am Beispiel von Sarotti lässt sich diese Symbolik gut erklären. Neben der bekannt gewordenen Figur experimentierte die Firma über die Jahre auch mit anderen. Auch eine Schwarze Frau "Lotti" war zwischenzeitlich ein Werbebild der Marke.

Die Sarotti-Figur ist ein Beispiel für Werbung in der Kolonialzeit

Viele Menschen, die die Sarotti-Figur noch aus ihrer Kindheit kennen, verbinden sie noch heute mit sehr positiven Erinnerungen, sagt Johanna Strunge. Sie ist eine der Kuratorinnen der Ausstellung "Schokolonialismus" im Museum Tempelhof. "Die Figur ist der Freund und Wegbegleiter, der uns die Tafel Schokolade reicht, so die Erinnerung. Das liegt auch daran, dass nie aufgearbeitet wurde, dass das eben genau das Bild ist, was die Werbeindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen hat, um Schwarze Menschen zu verniedlichen und gleichzeitig in eine dienende Rolle zu schieben", sagt Strunge.
 
Genau das soll unter anderem mit der Ausstellung geschehen. Die Aufarbeitung der regionalen Kolonialgeschichte wird vom Land Berlin gefördert. Die Ausstellung Schokolonialismus ist ein Teil davon. Sie soll unter anderem zeigen, wieso solche Rollenbilder aus der Zeit des Kolonialismus problematisch und rassistisch sind.

Die Marke Sarotti nutzt ihre alte Figur offiziell seit spätestens 2004 nicht mehr - zumindest nicht als Hauptlogo. Nach wiederholtem öffentlichen Druck wurde sie damals ersetzt durch einen "Sarotti-Magier", der allerdings immernoch wesentliche Merkmale der ursprünglichen Figur aufweist. Die Kleidung ist dieselbe wie früher, sodass jeder, der die alte, kolonialistisch-rassistische Sarotti-Figur kannte, zwangsläufig Assoziationen zu dieser herstellen wird. Und obwohl die problematische Symbolik der alten Sarotti-Figur der Firma Stollwerck und seinen Dachkonzernen bekannt gewesen zu sein scheint, wird sie später weiter von der Firma genutzt.
 
Noch 2022 war sie auf die Wand in den "Sarotti-Höfen" gemalt. Und sie tauchte über die Jahrzehnte auch immer wieder auf sogenannten "Nostalgie"-Editionen auf. Derzeit findet sich auf der Website von Sarotti noch eine Nostalgie-Pralinenschachtel "Edition 21" mit der Figur im Sortiment. Die Firma Stollwerck und ihr Dachkonzern Baronie reagierten auf eine rbb-Anfrage zum Thema bislang nicht. In Medienberichten aus dem Jahr 2019 über die Diskussion über rassistische Bezeichnungen und koloniale Werbung wurde eine Firmensprecherin damit zitiert, dass es "keine Veranlassung" gebe, "die Marke Sarotti in diese fragwürdige Interpretation zu bringen".

Im Jahr 2025 ist Sarotti längst keine große Marke mehr in der Welt der Süßigkeiten. Und Berlin ist auch kein besonders wichtiger Ort mehr auf dem globalen Schokoladenmarkt. In einem kleinen Werk in Marienfelde wird aber noch immer Schokolade für Stollwerck produziert. Es ist das letzte Überbleibsel der Geschichte von Sarotti in Berlin.
 
 
 
Sendung: Fritz, 13.02.2025, 16 Uhr