Jessica Chastain "Dreams" von Michel Franco  MEX 2025, Wettbewerb  © Teorema

Berlin "Dreams" im Berlinale-Wettbewerb: Toyboy ja, Partner nein

Stand: 16.02.2025 08:58 Uhr

Michel Franco zeigt in "Dreams" ein ungleiches Paar: eine reiche amerikanische Wohltätigkeitsverwalterin und einen deutlich jüngeren mexikanischen Tänzer. Doch soziale Reibungen hat er schon deutlich besser und radikaler abgebildet. Von Fabian Wallmeier

Ein Lkw steht irgendwo im Nichts neben Bahngleisen. Dann ist es Nacht, der Lkw steht immer noch dort, doch jetzt hört man aus dem Inneren Schreie und Hilferufe auf Spanisch, man sieht, wie der Lkw wackelt. Dann schließlich, es ist wieder Tag, öffnet jemand die Türen - und die Menschen, von Schleppern illegal in die USA gebrachte Migrant:innen aus Lateinamerika, werden in ihre ungewisse Zukunft entlassen.

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Fernando (Isaac Hernández) ist einer von ihnen. Er läuft los. Und läuft und läuft und läuft. Hungrig und durstig. In einem Diner wird ihm Wasser verwehrt, er wird unwirsch rausgeworfen. Schließlich kommt er in einem luxuriös eingerichteten Haus an. Er geht zum Kühlschrank und stopft sich gierig mit Blaubeeren voll.
 
Die Kontraste, um die es in Michel Francos Berlinale-Wettbewerbsfilm "Dreams" geht, sind gesetzt. Das Haus, in dem Fernando ankommt, gehört Fernandos Liebhaberin Jennifer (Jessica Chastain), Tochter aus reichem Hause und eine Art hauptberufliche Wohltätigkeitsverwalterin: Sie leitet die üppig ausgestattete Stiftung ihres Vaters. Auch in Mexiko-Stadt hat die Stiftung ein Projekt. Dort hat sie den deutlich jüngeren Tänzer Fernando kennengelernt.

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Toyboy ja, Partner nein

Wann immer Jennifer in Mexiko ist - das zeigt der Film in Rückblenden - treffen sie sich in ihrem dortigen Haus, ein Team von Angestellten steht ihnen jederzeit zur Verfügung. Die Beziehung funktioniert vor allem körperlich. Ihr Sex ist wild und leidenschaftlich, manchmal kinky, mit dem Hauch des Verbotenen.
 
Als sie sich nun ihrem Haus in San Francisco wieder sehen, tun sie dann auch das, was sie am Besten zusammen können: Sie haben Sex. Doch Fernando will mehr - er will sich nicht verstecken, will sich öffentlich mit ihr zeigen. Und noch mehr will er in San Francisco als Tänzer eine Karriere aufbauen.

Ihr hingegen ist das gar nicht Recht. Sie sagt es zwar nicht, aber sie meint es: Als unterdrückter Toyboy, den sie sich weit weg von ihrem gesellschaftlichen Leben und ihrer mächtigen Familie hält, war er ihr lieber. Als gleichberechtigter Partner, der auch noch eigene Wünsche und Pläne hat, kommt er nicht in Frage. Jennifer sagt stattdessen: "Wir waren doch glücklich in Mexiko" - ein Satz, der an dreister Ignoranz kaum zu überbieten ist.
 
Ähnlich hohl wie dieser unverschämte Satz ist in Teilen leider auch, wie Regisseur Franco Jennifers Leben konstruiert: Der Vater als übermächtiger Mogul und Mäzen ist eine ebenso ungenaue Skizze wie ihr Bruder, der dem Vater vielleicht noch etwas höriger ist als sie. Es ist zwar nur folgerichtig, dass er - nach etlichen Filmen, die soziale Ungleichheiten in Mexiko behandeln - das Feld erweitern will zum mächtigen Nachbarn USA. Doch richtig genau trifft er die dortigen Gegebenheiten und Verhältnisse nicht.

Nicht zimperlich

Michel Franco geht mit seinen Figuren selten zimperlich um, vor allem, wenn er wie hier die Konflikte zwischen Privilegierten und weniger Privilegierten aufzeigen will. Schon in seinem Debüt "Daniel & Ana" (2009) wird ein Geschwisterpaar aus gutsituiertem Hause entführt und zum Sex vor laufender Kamera gezwungen. In "New Order" (2020) überfallen Revolutionäre eine High-Society-Hochzeit und nehmen Geiseln.
 
Zuletzt hatte Franco eine gewisse Milde entwickelt. Einen Teil seiner Grausamkeiten verlegte er in die Backstories seiner Figuren und gönnte ihnen Hoffnung, sogar so etwas wie Glück: "Memory" (2023) ist eine geradezu zarte Liebesgeschichte, die Annäherung zweier aus unterschiedlichen Gründen Versehrter. Peter Sarsgaard spielt darin einen Mann, der früh erste Anzeichen von Demenz entwickelt hat Jessica Chastain ist als problembeladene Mutter und trockene Alkoholikerin zu sehen.
 
Mit der Milde, die Franco für diese beiden übrig hatte, ist es in "Dreams" nun vorbei. Auch wenn es nach dem harten Einstieg zunächst ziemlich lange dauert, bis es dann doch noch böse zur Sache geht.

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Gut gespielt, aber es fehlt etwas

Chastain und Hernández spielen dieses ungleiche Paar ziemlich gut. Chastain füllt die zugeknöpfte Selbstverständlichkeit von Jennifers Wohlstands (und den damit verbunden Umgang mit anderen) mit Körperhaltung und kleinen Gesten sehr überzeugend aus - genauso wie die Panik, die sie überkommt, wenn sie Fernando sucht oder er ihren Plänen entgegen wirkt.

Hernández strahlt dagegen eine stärkere Körperlichkeit aus - nicht nur in den Szenen, in denen er Ballett tanzt. Auch die physische Präsenz, mit der er zu Beginn in den Film hereinzieht, ist beachtlich.
 
Trotzdem fehlt letztlich etwas. Was Franco in "Dreams" kritisiert, hat er schon besser, präziser, radikaler kritisiert. Und die Pointe, mit der er den Konflikt am Ende auflöst, ist vorhersehbarer und gröber, als dem Film gut tut.
 
 
 
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.02.2025, 9:10 Uhr