
Berlin Ein Ende zwischen Wehmut, Plünderei und Abfindung: Kleingärten an A100-Baustelle
Weil die A100-Brücke ersetzt wird, müssen mehrere Berliner Kleingärtner weichen. Teilweise enden damit jahrzehntealte Laubenpieper-Traditionen. Groll gegen die Autobahn GmbH gibt es zwar nicht - gegen Plünderer aber sehr wohl. Von Sebastian Schöbel
"Wir können das noch nicht so richtig realisieren." Theresa Hegener steht in ihrem Kleingarten und schaut auf das, was sie in den vergangenen fünf Jahren aufgebaut hat. Die Aussicht könnte sicherlich schöner sein, direkt hinter den Büschen türmt sich das Autobahndreieck Funkturm auf. Den Garten aufgeben wollen sie und ihr Mann dennoch nicht. "Unsere Kinder haben vor vier Wochen zu Hause angefangen, irgendwelche Pflanzen zu säen, die jetzt ins Hochbeet eingepflanzt werden sollten." Ihr zwölfjähriger Sohn Piet hält den weißen Plastikeimer, in dem seine Mutter ein paar Pflanzen retten will – obwohl sie gar nicht weiß, wo sie die einpflanzen soll. "Jeden Morgen, wenn ich die gieße, denke ich mir so: Wofür eigentlich?"

Der Kleingarten von Familie Hegener ist einer von acht, die dem Abriss und Neubau der Ringbahn- und der Westendbrücke weichen müssen. Dass das noch in dieser Woche passieren muss, habe sie erst am Dienstag erfahren. "Das war schon heftig." Irgendwo zwischen Arbeit und Familienleben musste der Kleingarten aufgelöst werden. Den Pachtvertrag unterschrieb Theresa Hegener genau zum Beginn der Coronapandemie, eine Woche bevor die Schulen erstmals geschlossen wurden. "Das war für die Kinder das größte Geschenk überhaupt." Das Virus überstanden sie an der frischen Luft im eigenen Garten. Nun zwingt sie die Autobahn zurück in die Wohnung.
So einen ideellen Wert kann man nicht ersetzen. Hier hängen Generationen dran.
Pächter werden entschädigt
Ein paar Meter weiter ziehen zwei Männer auf einer Sackkarre eine grüne Regentonne über den schmalen gepflasterten Weg zwischen den Kleingärten hindurch. "Schnell weg, hier wird alles abgerissen", ruft Kleingärtner Ilhan Ata. "Wir rennen um unser Leben. Als würden die Leute vor einem Brand wegrennen." Dieter Kobinger schaut den beiden stumm hinterher. Der 78-Jährige muss ebenfalls seinen Kleingarten aufgeben, nach vierzig Jahren. "1965, als die Autobahn fertig war, hat meine Mutter den Garten bekommen", erzählt Kobinger, "weil sie bei der Bahn war". Auf einem Tor aus Maschendraht hängt bis heute ein Schild mit der Aufschrift "Bahn-Landwirtschaft Bezirk Berlin e.V. Unterbezirk Charlottenburg". Kobingers Sohn Björn packt die letzten Habseligkeiten zusammen. "So einen ideellen Wert kann man nicht ersetzen. Hier hängen Generationen dran."

So emotional der Abschied für die acht betroffenen Kleingärtner am Autobahnkreuz ist, so friedlich geht er vonstatten. Was wohl auch mit dem Auftreten der Autobahn GmbH zu tun hat. "Es lief alles okay", lobt Lutz Mittelstädt, Mitglied im Vorstand in der Kleingartenkolonie. In kleiner Runde hätten hochrangige Vertreter der Autobahn GmbH den Gärtnern ein Angebot gemacht, das die nicht ausschlagen konnten. "Ein goldener Handschlag", sagt Mittelstädt, und meint das gar nicht despektierlich. Man sei sich schnell einig geworden, "die betroffenen Pächter sind gegangen ohne ein böses Wort". Einige von ihnen berichten dem rbb, die Autobahn GmbH habe ihnen sogar beim Abtransport ihrer Sachen geholfen. Über die Höhe der Entschädigung will allerdings niemand reden. Mittelstädt verrät nur so viel: "Es wurde nicht nur der Wert der Parzelle bewertet, sondern auch das, was draufsteht."
Gegenstände aus Gartenhütte gestohlen
Sorgenfrei sei die Kleingartenkolonie mit der Aufgabe von acht Parzellen aber nicht, sagt Mittelstädt. Er holt einen Bebauungsplan aus der Tasche: Darauf zu sehen ist die Neuplanung des Autobahndreiecks Funkturm, das in den kommenden Jahren zum Teil komplett umgebaut und neu konzipiert werden soll. "Da werden eine Menge Parzellen wegfallen", sagt Mittelstädt. Rund 270 Kleingärten hat die Kolonie. Wie viele von ihnen am Ende übrigbleiben, ist ungewiss. "Das ist das Damoklesschwert, das über uns hängt", sagt Mittelstädt.
Für Dieter Kobinger war es das mit der Laubenpieperei. "Will ick nich' mehr", sagt er etwas resigniert. "Das war hier mein Hobby, mein Garten." Theresa Hegener hingegen ist wütend – allerdings nicht so sehr auf die Autobahnbaustelle. Verärgert ist sie darüber, dass ihr Garten seit der Ankündigung der Räumung von Fremden regelrecht geplündert wurde. Aus der roten Gartenhütte wurden Gegenstände gestohlen, Unbefugte hatten sich Zutritt verschafft. Dass sie eine Entschädigung bekommt, ist nur ein kleines Trostpflaster. "Ja, wir kriegen Geld", sagt die dreifache Mutter. "Wir hätten lieber einen Garten."
Sendung: rbb24 Abendschau, 04.04.2025, 19:30 Uhr