Symbolbild:Eine Pflegerin reicht einer Patientin ein Glas mit Kaffee und Strohhalm.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Skolimowska)

Berlin Interview | Heimleiter Seniorenresidenz:

Stand: 28.10.2024 06:12 Uhr

Wegen steigender Kosten melden einige Pflegeheime in Berlin Insolvenz an. Andere heben die Preise an, wie die Seniorenresidenz von Matthias Küßner. Er muss noch einen drastischeren Schritt gehen, sagt er im Interview.

Deutschlandweit steigen die Zuzahlungen für Pflege in Heimen. Waren es 2017 noch rund 1.750 Euro, sind es mittlerweile weit mehr als 3.000 Euro. Grund sind laut Heimbetreibern steigende Löhne, teurere Lebensmittelpreise und Anschaffungen durch die Inflation sowie steigende Kosten für Instandsetzungen und Investitionen.
 
Auch in Berlin müssen viele Heime die Preise erhöhen. Im Seniorenheim Bölschestraße in Friedrichshagen sind es ab kommenden Jahr 400 Euro - im Schnitt erhöhen die Heime um bis zu 1.000 Euro. Der Heimleiter Matthias Küßner erklärt im Interview, was das im Alltag der Bewohner für Folgen hat - und was sich aus seiner Sicht an dem System ändern müsste.

rbb|24: Herr Küßner, warum steigen die monatlichen Kosten für die Pflege in Ihrer Einrichtung um 400 Euro?
 
Matthias Küßner: Da spielen viele Aspekte eine Rolle. Die Inflation ist gestiegen, die Lebensmittelpreise sind für uns ein wichtiger Posten in den vergangenen Monaten geworden. Hinzu kommen die gestiegenen Kosten für die Instandhaltungen, alle Firmen haben die Preise angezogen.
 
Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir bereits um 500 Euro erhöht, wegen der Einführung des sogenannten Tariftreuegesetzes. Dadurch haben unsere Mitarbeiter in der Pflege eine anständige Lohnerhöhung bekommen. Das gab allerdings auch sofort Probleme im Haus. Denn alle, die nicht pflegen, von mir angefangen, über Verwaltung, Sozialdienste, Reinigung und Küche haben nichts bekommen. Die meisten von denen laufen auf Mindestlohn.
 
Wenn die auch irgendwann mit in die Tariftreue reinfallen, wird das noch ein weiterer großer Batzen, den die Bewohner aufbringen müssen.

Von den öffentlichen Pflegekassen bekommen Sie trotz der gestiegenen Kosten nicht mehr Geld?
 
Nein. Es gibt eine ganz klare Summe, die wir pro Pflegegrad bekommen. Diese Summe ist weder im vergangenen Jahr gestiegen, noch soll sie meines Wissens im nächsten Jahr steigen. Die extrem steigenden Kosten bekommen wir also nicht erstattet.
 
Und man darf auch mal sagen: Wir müssen noch ganz viel Geld von der Corona-Zeit zurückbezahlen. Der Senat hat uns damals Tests und Masken zur Verfügung gestellt. Anderthalb Jahre später haben wir eine Rechnung von 9.000 Euro erhalten. Das Geld muss irgendwo herkommen. Wir sehen ganz viele Pflegeheime, die jetzt Probleme bekommen. Wir müssen jetzt bei jeder Anschaffung und Instandsetzung ganz genau überlegen.

Odetta Bereska schiebt Gilda Bereska in einem Rollstuhl.(Quelle:rbb)
Pflegeheim-Kosten überfordern immer mehr Familien

Wer im Alter nicht mehr selbstständig leben kann, muss oft in ein Pflegeheim ziehen. Doch nicht nur der Verlust der Autonomie schmerzt, sondern auch die enormen Kosten: Die liegen in Berlin jetzt schon bei rund 3.000 Euro – und steigen weiter. Von Jenny Barke und Anja Herrmehr

An welcher Stelle können und müssen Sie sparen?
 
Bereits abgeschafft haben wir die Wasserflaschen, früher hatten wir Wasserkästen. Jetzt regeln wir das über die Trinkwasserleitung, mit einem Sprudelautomaten.
 
Wir bieten unseren Bewohnern dieses Jahr eine Lichterfahrt mit einem Busunternehmen in Berlin an. Ob wir uns das nächstes Jahr erlauben können, ist die große Frage. Außerdem sind wir eine Einrichtung, und darauf bin ich sehr stolz, die immer noch frisch kocht. Ob wir das bei den Preissteigerungen lange durchhalten, kann ich auch nicht garantieren.
 
Wie geht es Ihren Bewohnern mit der Situation?
 
Das ist schon heftig. Einige werden jetzt zusätzlich abhängig von der Sozialhilfe, weil sie den Eigenanteil für das Pflegeheim nicht mehr zahlen können. Unsere Bewohner haben ihr ganzes Leben gearbeitet, manche länger als 45 Jahre, auch in hohen Jobs, die haben nicht schlecht verdient. Jetzt müssen sie zum Sozialamt.
 
Wir haben inzwischen einen Bewohner, das ist mir gestern erst bekannt geworden, bei dem die Kinder überlegen, den alten Herrn hier rauszunehmen, weil die Sozialhilfebeantragung zu lange dauert und die einfach die finanziellen Mittel nicht haben, um das jetzt zu überbrücken.

Die Kinder eines Bewohners überlegen, den alten Herrn hier aus dem Heim zu nehmen, weil die Sozialhilfebeantragung zu lange dauert und sie nicht die finanziellen Mittel haben.

Wie viele Bewohner:innen bekommen inzwischen bei Ihnen Sozialhilfe?
 
Insgesamt haben wir 106 Bewohner. 14 Prozent davon bekommen nun Sozialhilfe, seitdem die Preise erhöht wurden. Eingezogen sind sie noch als Selbstzahler. Aber diese 14 Prozent sind bei uns im Verhältnis wenige. Das hat auch damit zu tun, dass wir keine Sozialhilfeempfänger einziehen lassen. Das ist ganz schlimm, menschlich ist das ein Wahnsinn, was wir da machen.
 
Aber das Sozialamt zahlt an uns pro Bewohner und Tag 4,50 Euro weniger als Selbstzahler. Und wenn man das aufrechnet, dann ist das eine immense Summe, die ich mir einfach nicht erlauben kann. Hinzu kommt, dass bei uns 15 Menschen auf der Warteliste stehen. In Berlin gibt es einfach viel zu wenig Pflegeplätze.
 
Wir haben auch absurde Fälle erlebt, dass Menschen so viel Rente bekommen, dass sie nicht mehr in die Sozialhilfe fallen. Aber die Rente reicht nicht, um diese 4,50 Euro pro Tag extra zu zahlen. Das heißt, für uns wären sie wieder Sozialhilfeempfänger. Das Sozialamt sagt nein und wir als Betreiber bleiben auf dem Geld sitzen.

Symbolbild:Eine ältere Frau liegt krank auf einem Sofa, während ihr eine Person beim Trinken hilft.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Brichta)
"Man kann sehr plötzlich in die Rolle des pflegenden Angehörigen rutschen"

Wenn die Eltern älter werden, unterstützen oft die erwachsenen Kinder. Einige übernehmen nach und nach immer mehr Hilfe, andere geraten über Nacht in die Rolle des Pflegenden. Die Berliner Soziologin Ulrike Ehrlich erklärt, wen es besonders häufig trifft und wo die Probleme liegen.mehr

Was bedeutet das für den Alltag der Pflegebedürftigen?
 
Erst einmal ist es eine ganz lange Odyssee, Sozialhilfe zu beantragen. Solange der Antrag nicht durch ist, bleiben wir im Minus. Im Moment schuldet uns das Sozialamt noch 35.000 Euro von den letzten Monaten. Das müssen wir erst einmal als Firma selbst aufbringen.
 
Für die Bewohner heißt Sozialhilfe, dass sie nur ein kleines Taschengeld haben, von bis zu 150 Euro. Von diesem Geld müssen sie den Friseur bezahlen, die Fußpflege, oder auch mal die Vitaminchen, die sie schon ihr ganzes Leben nehmen, sowie eigene Kosmetik. Das heißt, der Enkel, der eigentlich ein Geschenk zu Weihnachten haben könnte, geht oft leer aus, weil das Geld nicht da ist.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?
 
Ich denke, wir brauchen ganz dringend eine Reform. Erst einmal verstehe ich überhaupt nicht, warum wir den Bewohnern einen so hohen Betrag abnehmen müssen. Zum Beispiel: Unsere Bewohner bezahlten täglich 6,60 Euro für einen Ausbildungsfonds. Egal, ob ich Auszubildende habe. Das wäre in keiner anderen Firma so.
 
Und die Pflege, so wie sie jetzt läuft, ist nicht mehr finanzierbar. Hier muss ganz deutlich Steuergeld mitbenutzt werden, denn die Leute können es sich nicht mehr leisten. Dabei reden wir von einer Generation, die noch eine gute Rente bekommt. Wir alle, auch ich, werden das nicht mehr bezahlen können. Und dann brauchen alle Sozialhilfe, dann bezahlt der Staat ja auch. Das ist wie so ein Ball, den können wir immer weiter rollen, es kommt doch kein Ende. Es muss reformiert werden. Punkt.
 
Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Jenny Barke und Anja Herr.
 
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.10.2024, 19:30 Uhr