
Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Mein Ramadan: Weniger haben - mehr spüren
Bis zum 30. März dauert in diesem Jahr der Ramadan. Wie fühlt sich das an, einen Monat lang tagsüber auf Essen, Trinken und mehr zu verzichten? Antworten einer jungen Muslima.
Ramadan verändert alles. Meinen Tagesrhythmus, meine Gedanken, meine Wahrnehmung. Es ist, als würde die Welt für einen Moment langsamer drehen, als würde der Lärm des Alltags gedämpft, damit Raum für etwas Tieferes entsteht. Tagsüber fordert das Fasten meinen Körper heraus, abends erfüllt mich mit jedem Bissen beim Fastenbrechen eine tiefe Dankbarkeit.
Es ist eine Zeit der Klarheit, des Innehaltens, der Rückbesinnung auf das Wesentliche. Die ersten Tage sind ein sanftes Ringen mit den eigenen Gewohnheiten, doch dann setzt eine besondere Ruhe ein – eine, die ich jedes Jahr aufs Neue in meinem Herzen spüre.
Der Start in den Tag: Stille vor dem Sonnenaufgang
Die Welt schläft noch, wenn mein Wecker klingelt. Draußen ist es still und dunkel, nur das leise Summen des Kühlschranks erfüllt den Raum. In der Küche bereite ich Suhoor vor, die Mahlzeit vor Sonnenaufgang. Es sind keine üppigen Schlemmereien, sondern einfache, nährstoffreiche Speisen, die mich durch den Tag tragen sollen: Eier, ein bisschen Käse, ein bisschen geschnittenes Obst und Gemüse, Nüsse, so viel Wasser, wie irgend möglich in mich reinpasst. Manchmal auch ganz unspektakulär das Essen vom Vorabend. Ich versuche, auf zu salzige und fettige Speisen zu verzichten, weil ich weiß: mein Durst dankt es mir nachher.
Während ich esse, genieße ich die Ruhe dieses Moments. Es ist, als gehöre die Welt nur mir – keine E-Mails, keine Verpflichtungen, kein Stress. Nur ich, das leise Klingen des Löffels in meiner Schüssel und das Bewusstsein, dass mit dem nächsten Gebetsruf ein neuer Fastentag beginnt.

Suhoor - die Mahlzeit vor Sonnenaufgang im Ramadan
Der Tag: Herausforderungen und kleine Wunder
Es geht los. Ab jetzt heißt es: kein Essen, kein Trinken, kein Kaffee, keine Kippe, kein Fluchen, kein Sex – keine Ablenkung bis zum Sonnenuntergang. Die ersten Stunden sind leicht, doch wenn der Nachmittag kommt, beginnt die eigentliche Herausforderung. Mein Kopf fühlt sich schwerer an, die Energie sinkt in den Keller, und ich ertappe mich dabei, wie meine Gedanken immer wieder zu einer kühlen Wassermelone oder einer sprudelnden Apfelsaftschorle wandern. Durchhalten. Weitermachen.
Es ist ein Reset für Körper und Seele. Ein sanftes Erinnern daran, dass das wahre Leben nicht im Überfluss liegt, sondern in den kleinen, bewussten Momenten. Meltem Yurt
Denn genau in diesen Momenten entfaltet Ramadan seine wahre Magie. Es ist nicht nur der Verzicht, sondern das Bewusstwerden. Wie oft schenke ich mir aus Langeweile meinen vierten Kaffee ein, einfach nur, weil er da steht? Wie oft fülle ich meine Tage mit Schnickschnack, anstatt wirklich im Moment zu sein? Jetzt kann ich nichts von außen zufügen – also wende ich mich nach innen. Ich spüre mich selbst intensiver, erkenne meine Grenzen, aber auch meine Stärke. Und ich merke: Mein Körper mag sich schwach anfühlen, aber mein Geist wird klarer.
Das Fastenbrechen: Ein Fest der Dankbarkeit
Der Abend naht, und mit ihm die ersehnte Erleichterung. Die letzten Minuten ziehen sich, die Düfte aus der Küche sind so verdammt verführerisch, das Verlangen nach dem ersten Schluck Wasser wächst mit jeder Sekunde. Dann erklingt endlich der Gebetsruf – und der Moment, in dem ich die erste Dattel in den Mund nehme, fühlt sich wie eine Liebesszene im Film an. Die Süße breitet sich auf meiner Zunge aus, das kühle Wasser rinnt in Slow-Mo meine Kehle hinunter, genau wie in diesen übertriebenen Tafelwasserwerbungen.
Gemeinsam mit der Familie zu essen, macht diesen Moment noch wertvoller. Wir lachen, teilen Geschichten des Tages, genießen jede Speise bewusster. Meist beginnt es mit einer warmen Suppe, gefolgt von herzhaften Gerichten – duftender Reis, Fleisch oder Fisch, würzige Eintöpfe, saftige Salate. Trotz des Hungers spüre ich schnell: Ich brauche viel weniger, um satt zu sein, als ich dachte. Ramadan lehrt Mäßigung – nicht nur im Verzicht, sondern auch im Genuss.
Die Bedeutung von Gemeinschaft
Einer der schönsten Aspekte dieses Monats ist das Miteinander. Ob im Familienkreis, mit Freunden oder in der Moschee – Ramadan bringt uns näher zusammen. Das gemeinsame Fastenbrechen verbindet uns, das nächtliche Tarawih-Gebet erfüllt den Raum mit einer einzigartigen Spiritualität. Selbst Fremde fühlen sich in dieser Zeit wie Brüder und Schwestern.
Besonders in der Moschee ist die Atmosphäre magisch. Die Stimmen der Betenden verschmelzen zu einem harmonischen Klang, die Wärme der Gemeinschaft liegt spürbar in der Luft. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit – mit den Menschen um mich herum, mit meiner Spiritualität, mit mir selbst.
Tränen, Trost und tiefe Verbundenheit
Mein absolut schönstes Ramadan-Erlebnis? 2017, in einer marokkanischen Moschee in Amsterdam. Nach dem kollektiven Fastenbrechen und während des Gebets, inmitten der drückenden Hitze und der Enge des überfüllten Raums, überkam mich auf einmal eine Welle aus Emotionen. Tränen liefen – und ohne ein Wort reichten mir fremde Hände Taschentücher, tätschelten meinen Rücken. Keine Fragen, kein Zögern, nur Mitgefühl. Ein Augenblick, der mich total überwältigte und mir zeigte, wie tief die Verbundenheit in diesem Monat wirklich geht.
Ramadan als innere Reise
Für mich ist Ramadan weit mehr als der Verzicht auf Essen und Trinken. Es ist eine Reise zu mir selbst. Eine Zeit, in der ich bewusster lebe, achtsamer mit meinen Worten, Gedanken und Handlungen bin. Ich lerne Geduld, Dankbarkeit, Mäßigung – und jedes Jahr aufs Neue spüre ich, wie sehr mich dieser Monat verändert.
Es ist ein Reset für Körper und Seele. Ein sanftes Erinnern daran, dass das wahre Leben nicht im Überfluss liegt, sondern in den kleinen, bewussten Momenten. Im ersten Schluck Wasser nach einem langen Tag. In der Wärme eines gemeinsamen Essens. In einem geteilten Lächeln, wenn sich hungrige Blicke am Tisch treffen – wissend, dass das Warten sich gelohnt hat.
Ramadan ist nicht einfach. Aber genau das macht ihn so wunderschön.
Zur Person: Meltem Yurt (31) lebt in Stuttgart und ist unter anderem Host beim Instagram-Format "migra_toechter" des SWR.