
Rheinland-Pfalz Wie funktioniert der Notbremsassistent bei Lkw, seit wann ist er Pflicht?
Immer wieder kommt es auch auf Autobahnen in RLP zu schweren Auffahrunfällen mit Lkw. Ließen sich diese vermeiden oder abmildern, wenn noch mehr Notfbremsassistenten installiert wären?
Ein Sattelzug auf der A61 bei Bingen ist in ein Polizeifahrzeug gerast, das einen Lkw abgesichert hat, der eine Reifenpanne hatte. Dabei kam ein Lkw-Fahrer ums Leben. Immer häufiger kommt es zu schweren Auffahrunfällen mit Lkw.
Wie funktionieren die Notbremsassistenten in Lkw, seit wann müssen sie verbaut werden? Gibt es auch Nachteile?
- Wie funktioniert der Notbremsassistent bei Lkw?
- Kombination mit weiteren Assistenz-Systemen
- Wetterbedingungen können Systeme beeinträchtigen
- Ist der Notbremsassistent Pflicht bei Lkw?
- Verfügen die meisten Lkw über Notbremsassistenten?
- Darum schalten einige Fahrer das System ab
- Werden die Fahrer ausreichend geschult?
- Kann man Notbremsassisten in Lkw nachrüsten?
- Maßnahmen gegen Missbrauch des Notbremsassistenten
- Unfälle durch Ablenkung und Übermüdung der Fahrer
- Sind Notbremsassistenten auch für Pkw geplant?
- ADAC-Test stellt Notbremssystemen gutes Zeugnis aus
Wie funktioniert der Notbremsassistent bei Lkw?
Der Notbremsassistent vollzieht nicht gleich bei jedem kleinen Hindernis eine Notbremsung. Das System berechnet über mehrere Sensoren während der Fahrt dauernd die Geschwindigkeit und die Abstände zu anderen Fahrzeugen. Unterschreitet der Fahrer den notwendigen Sicherheitsabstand so weit, dass eine Bremsung einen Auffahrunfall nicht mehr verhindern würde, registriert das System dies und errechnet den entscheidenden Zeitpunkt, an dem eine unfallfreie Bremsung noch möglich wäre.
Viele Systeme warnen den Fahrer über den Bordcomputer akustisch oder optisch vor der kritischen Situation. Nimmt der Fahrer dann nicht den Fuß vom Gas oder tritt nicht selbst auf die Bremse, wird der Notbremsassistent aktiv. Der technische Helfer drosselt dann entweder das Tempo, indem er die Zufuhr an Kraftstoff reduziert oder er leitet direkt eine Vollbremsung ein, wenn dies erforderlich ist. Er kann den Fahrer auch nur beim Bremsen unterstützen. Dazu misst der Notbremsassistent durchgehend die Beschleunigung des Wagens sowie die Pedalstellungen und die Lenkwinkel des Wagens.
Kombination mit weiteren Assistenz-Systemen
Oftmals kommt der Notbremsassistent nicht allein, sondern in Kombination mit einem Bremskraftverstärker (BAS) zum Einsatz. Dieser ermöglicht eine stärkere Bremsung bei gleicher Kraft. So kann ein Auto mit Notbremsassistent einen Fußgänger als Hindernis erkennen und das Tempo rechtzeitig vor einem Zusammenstoß reduzieren.
Sollte ein Unfall einmal nicht mehr vermeidbar sein, weil der Fahrer beispielsweise nicht auf die akustischen oder optischen Signale seines Helfers reagiert, kann der Notbremsassistent in modernen Autos die Sicherheit trotz Auffahrunfall weiter erhöhen, indem er die Kopfstützen und Rückenlehnen optimal ausrichtet und die Sicherheitsgurte anspannt. Die körperlichen Unfallschäden sollen damit so gering wie möglich gehalten werden. Viele neue Fahrzeuge sind daneben in der Lage, einen eCall, also einen automatischen Notruf abzusetzen, damit schnell ärztliche Hilfe erscheint.
Wetterbedingungen können Systeme beeinträchtigen
Allerdings kann der Notbremsassistent auch durch bestimmte Umstände beeinträchtigt werden. Dazu gehören Nebel, Regen, Schnee und Vereisungen am Auto. Auch die Reifen sollten den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Experten empfehlen eine Mindestprofiltiefe von 3 bis 4 mm. Nur dann gebe es eine ausreichende Bodenhaftung auch bei Regen und Schnee.
Ist der Notbremsassistent Pflicht bei Lkw?
Ja. Für alle Lkw, die ab 2015 zugelassen wurden und mehr als acht Tonnen wiegen, besteht eine Einbaupflicht. Allerdings gibt es hier Unterschiede. Bis Ende Oktober 2018 musste der Assistent die Geschwindigkerit lediglich um 10 Kilometer pro Stunde reduzieren, seit November 2018 dann um 20 km/h.
Künftig soll es eine weitere Verschärfung geben. Die Notbremssysteme müssen bis zu einer Geschwindigkeit von 90 km/h funktionieren. Die maximale Aufprallgeschwindigkeit darf nicht mehr als 42 km/h betragen - und zwar ohne, dass der Fahrer eingreift.
Darüber hinaus schränkt die neue Regelung auch die Abschaltbarkeit deutlich ein. So kann der Fahrer das System zwar nach wie vor abschalten, es aktiviert sich jedoch automatisch nach 15 Minuten erneut. Als weitere Vorgabe müssen die Assistenzsysteme erstmals auch auf Fußgänger reagieren und Unfälle bis zu einem Tempo von 20 km/h vermeiden können. Dies ist vor allem in Städten wichtig.
Wie die Zeitschrift "Auto, Motor und Sport" berichtet, müssen die Vorhaben aber noch in EU-Recht umgesetzt werden. Alle Änderungen sollen für neu entwickelte Fahrzeuge ab September 2025 gelten, ab September 2028 dürfen demnach keine Fahrzeuge mehr neu zugelassen werden, die diesen Bestimmungen nicht entsprechen.
Verfügen die meisten Lkw über Notbremsassistenten?
Dieter Schäfer ist Sprecher der Präventionsinitiative "Hellwach mit 80 km/h". Das ist ein Zusammenschluss von Transportunternehmen und Versicherern, der sich um die Prävention von Lkw-Unfällen kümmert. Er sagt dem SWR, dass es keine Statistik zum Verbau von Bremsassistenten in Lkw gibt. Im Fernverkehr würden Lkw jedoch spätestens nach vier Jahren ausgetauscht, sodass mittlerweise in allen Fernverkehrsfahrzeugen ein wirksamer Bremsassistent verbaut sei, so Schäfer.
Viele Altfahrzeuge kämen vor allem im Regional- und Nahverkehr zum Einsatz. Sie verfügten oft noch über keinen Bremsassistenten oder nur über ältere Systeme, die weniger wirksam seien.
Darum schalten einige Fahrer das System ab
Zahlreiche Berufskraftfahrer empfinden das System als lästig und wollen dieses abschalten. Das Problem ist zumeist, dass sich nicht immer alle Straßenverkehrsteilnehmer an den erforderlichen Mindestabstand halten. Scheren diese beispielsweise nach einem Überholvorgang zu dicht vor einem Lkw ein, könnte sich der Notbremsassistent aktivieren und das Fahrzeug abbremsen. Das überrascht viele Fahrer, die in diesem Moment nicht mit der Bremsung rechnen. Das abrupte Abbremsen kann außerdem eine Gefahr für einen eventuell unaufmerksamen Hintermann sein, der vielleicht keinen Notbremsassistenten in seinem Fahrzeug verbaut hat. Wie Dieter Schäfer dem SWR sagt, stören sich einige Fahrer auch am Warnton bei Gefahrenmeldungen.
Nach seinen Angaben gilt seit November 2024 für das Abschalten der Vorrichtung ein Bußgeld von 100 Euro. Allerdings könne dies die Polizei kaum kontrollieren. Laut einer Studie aus Niedersachsen kommt es in 25 Prozent der Fälle trotz eingeschaltetem Notbremsassistenten zu Auffahrunfällen. Ein Grund sei der sogenannte Fluchtreflex beim Ertönen des Warntons. Einige Lkw-Fahrer reißen dann das Lenkrad herum, übersteuern die Bremsung und krachen versetzt ins Stauende.
Werden die Fahrer ausreichend geschult?
Käufer und Abholer der Lkw erhalten eine Einweisung in die Nutzung des Notbremsassistenten. Wie Dieter Schäfer kritisiert, werden die Fahrer allerdings oftmals nicht geschult. Nach Schäfers Angaben hat der Verein "Hellwach mit 80 km/h" hier europaweit ein Defizit bei der Ausbildung der Fahrer festgestellt - mit oft tödlichen Folgen, wie oben geschildert.
Kann man Notbremsassistenten in Lkw nachrüsten?
Ein Notbremsassistent lässt sich in Lastkraftwagen nicht so einfach nachrüsten. Dazu müssten die nötigen Sensoren und Kameras mit dem Bremssystem verbunden werden. Das wäre aufwendiger Eingriff, der unverhältnismäßige Kosten auslösen würde und zum Teil technisch unmöglich sei.
Maßnahmen gegen Missbrauch des Notbremsassistenten
Einige Notbremsassistenten haben ein beschränktes Kontingent an Bremsungen. Sind diese verbraucht, muss das System in einer Kfz-Werkstatt erneut konfiguriert werden. Die Hersteller wollen damit verhindern, dass der Notbremsassistent als Ersatz für die normale Bremsung missbraucht wird. Es handelt sich um ein Notfallsystem, das nur für brenzlige Situationen und nicht für jede Bremsung im Alltag verwendet werden sollte.
Unfälle durch Ablenkung und Übermüdung der Fahrer
Fast alle tödlichen Unfälle passieren mit Anlauf und ungebremst. Laut Dieter Schäfer sind in über 90 Prozent der Fälle Ablenkung durch die Nutzung des Smartphones oder aber der so genannte Sekundenschlaf die Unfallursachen. Jüngste Untersuchungen sehen den Anteil des Sekundenschlafs bei 25 Prozent. Dieser habe seine Ursachen in Schlafstörungen durch körperlichen Stress bei entsprechenden Arbeitsbedingungen oder durch Hitze und Lärm am Arbeitsplatz. Hier seien auch die Unternehmen gefordert, ihre Arbeitsabläufe kritisch zu überprüfen und anzupassen, verlangt Schäfer.
Sind Notbremsassistenten auch für Pkw geplant?
Eine Pflicht für den Verbau in Pkw besteht bislang nicht. Es gibt aber Bestrebungen in Japan und in der EU, einen Notbremsassistenten einzuführen, der speziell im Stadtverkehr Fußgänger und Radfahrer erkennen kann. Auch dieser soll den Plänen zufolge nur in neuen Fahrzeugen verbaut werden. Weitere Informationen zum Thema Notbremsassistenten gibt es auch beim Online-Portal "Bussgeldkatalog.org".
ADAC-Test stellt Notbremssystemen gutes Zeugnis aus
2021 hat der ADAC die Notbremssysteme für Lkw getestet. Er kam zu dem Schluss, dass alle getesteten Fahrzeuge mehr leisten als vom Gesetzgeber gefordert.
Die Lastzüge kamen bei einer Geschwinidigkeit von 80 km/h hinter einem stehenden Hindernis automatisch und vollständig zum Stehen. Teilweise verfügten die getesteten Fahrzeuge noch über weitere Assistenzsysteme, die ebenfalls typische Lkw-Unfälle vermeiden können, wie etwa Abbiegeassistenten, die Fußgänger und Radfahrer beim Rechtsabbiegen erkennen.
Des Weiteren zeigte sich, dass sich der automatische Notbremsassistent (AEB) bei normalen Fahrten nicht bemerkbar macht – lediglich der Abstandsregeltempomat (ACC). Ein Abschalten des Notbremssystems AEB sei aus diesem Grund unwahrscheinlich und absolut unnötig. Der ADAC kritisierte allerdings, dass die gesetzlichen Anforderungen immer noch deutlich unter den technischen Möglichkeiten liegen.
Sendung am Di., 11.3.2025 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4