Thüringen Bodo Ramelow auf "Mission Silberlocke" und was das für Thüringen bedeutet
Mit der "Mission Silberlocke" wollen drei Linken-Urgesteine bei der Bundestagswahl Direktmandate für ihre Partei holen. Einer von ihnen ist Bodo Ramelow. Wir haben den geschäftsführenden Ministerpräsidenten von Thüringen gefragt, was aus seinem MP-Posten wird, ob er seine Arbeit als Landtagsmitglied mit dem Bundestagswahlkampf vereinbaren kann und was er überhaupt damit erreichen will.
Herr Ramelow, Sie kandidieren für den Bundestag, sind derzeit aber geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen. Was machen Sie, wenn bis zur Bundestagswahl am 23. Februar kein Ministerpräsident in Thüringen gewählt ist?
Erst mal gehe ich davon aus, dass die drei Parteien heute oder morgen ihren Koalitionsvertrag finalisieren, damit der Fahrplan zur Ministerpräsidentenwahl steht. Ich orientiere mich im Moment an einem Datum - 14., 15., 16. Dezember - zur Ministerpräsidentenwahl. Und dann werden von meiner Seite her das Amt des Ministerpräsidenten und die Staatskanzlei ordnungsgemäß an Professor Mario Voigt übergeben. Von daher muss ich mich damit nicht beschäftigen.
Aber um es juristisch zu sagen: Es hat schon einmal drei Ministerpräsidenten gegeben, die Bundestagsabgeordnete waren. Es wäre also gar nichts Neues, sondern es wäre etwas, was schon mehrfach in der Bundesrepublik Deutschland passiert ist.
Aber es ist nicht mein Ziel. Ich möchte auch nicht als geschäftsführender Ministerpräsident eine Endlosschleife drehen. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Koalition zwischen CDU, BSW und SPD zustande kommt und dann die Wahlen auch stattfinden, damit die neue Regierung die Arbeit aufnimmt.
Der Landtagswahlkampf der Linke in Thüringen war stark auf Ihre Person ausgerichtet. Geht Ihrer Partei mit Ihrer Kandidatur für den Bundestag nicht das entscheidende Zugpferd in Thüringen verloren?
Ich gehe nicht verloren, sondern ich werde für Thüringen im Bundestag arbeiten und wirken. Meine Rolle ist dann als Vertreter des Direkt-Wahlkreises Erfurt-Weimar-Weimarer Land II genau diese Spezifik aus Ostdeutschland, aus Thüringen, mit in den Bundestag einzubringen, aber es auch zu verbinden mit den Themen, die mir immer wichtig waren: Bildung und Betreuung beitragsfrei. Oder zum Beispiel, wenn es um die Gesundheitsreform geht, an dem Beispiel Schwester Agnes etwas für ganz Deutschland zu lernen.
Oder die Kindergartenbetreuung, die in Thüringen vorbildlich ist, als ein bundesweites Projekt zu thematisieren. Dass wir 96 Prozent aller Kinder im Kindergarten haben und der Kindergarten in der Regel zehn Stunden Servicezeit anbietet, das kennt man ja in den alten Bundesländern überhaupt nicht. Insoweit haben wir etwas einzubringen, was wir in der gesamtdeutschen Diskussion eben auch nochmal deutlich machen wollen, damit dieses Naserümpfen über den Osten einfach mal aufhört.
Das heißt, Sie wollen besonders ostspezifische Themen einbringen oder Themen aus Thüringen? Können Sie das präzisieren?
Ich möchte, dass die Realität, die Lebensrealität der Menschen aus den neuen Bundesländern, viel stärker als eine Bereicherung für ganz Deutschland, also als gesamtdeutscher Veränderungsprozess wahrgenommen wird: Längeres gemeinsames Lernen, Polyklinik oder Polytechnik, die Frage von Landambulatorien, Gemeindeschwestern, Kindergartenbetreuung.
All diese Dinge sind normale Wahrnehmungen, bei denen die Bürger in Thüringen einfach sagen: "Das war doch immer schon so". Wenn ich dann sage, aber in Westdeutschland ist das nicht so, dann merkt man, dass wir 35 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch in verschiedenen Lebenswelten sind.
Ich sehe mich da als einen Übersetzer und Transporteur. Ich sehe mich da als jemand, der Themen so aufsetzt, dass sie lebenspraktisch für Menschen wahrnehmbar werden. Um zu sagen, das könnte ja eine gesamtdeutsche Diskussion werden, die uns allen hilft, damit dieses "Wir reden über den Westen" oder "Wir reden über den Osten" endlich aufhört.
Ich möchte aus den Unterschieden unsere Stärke entstehen lassen für ein Gesamtdeutschland. Und den Beitrag will ich schon leisten.
Für den Wahlkampf selbst bleibt jetzt nicht so viel Zeit. Die Wahl ist bereits am 23. Februar. Wie wollen Sie das zeitlich vereinbaren mit Ihrer derzeitig noch geschäftsführenden Ministerpräsidententätigkeit? Sie sind ja auch gewähltes Landtagsmitglied in Thüringen.
Ja, das bin ich, und das fülle ich auch kraftvoll aus. Ich kümmere mich um die Belange des Landes, nehme an allen wichtigen Entscheidungsprozessen teil und die Kabinettssitzung wird jeden Dienstag von mir geleitet. Am Mittwoch ist die Fraktionssitzung, in der wir die jeweiligen Landtagssitzungen vorbereiten.
Ich habe die ganze Zeit als Ministerpräsident eine Wochenstundenzahl von manchmal 120 und mehr Stunden gehabt. Im Moment ist es so, dass ich eher spüre, dass ich zum allerersten Mal seit zehn Jahren wieder mal einen freien Tag habe. Der füllt sich jetzt automatisiert mit dem, was an beginnendem Wahlkampf da ist.
Klar ist: Es bedarf eines guten Managements. Das muss ich jetzt neu organisieren, aber ich halte das alles für machbar und für lösbar.
Es wird also der Aufgabe als geschäftsführender MP nichts verlorengehen. Und in der Landtagsdebatte sowieso nicht, weil die Themen, die ich im Bundestag ansprechen will, die gleichen sind, die ich auch im Landtag schon angesprochen habe oder im Bundesrat immer wieder thematisiert habe.
Sie sagten auf der Bundespressekonferenz, dass Sie eigentlich etwas anderes vorhatten in den nächsten Jahren. Jetzt kommt etwas völlig Neues: Sie werden vielleicht in den Bundestag wechseln. Haben Sie Lust darauf? Ist eine Aufbruchsstimmung da?
Es ist tatsächlich so: Ich hatte für mich eine innere Entscheidung getroffen, dass ich mit dem Landtagsmandat, dass ich kraftvoll ausführen will, so ausgelastet bin, dass ich keine zusätzlichen Aufgaben in der Bundesrepublik mehr übernehmen wollte.
Insoweit war die Frage "Werde ich für den Bundestag kandidieren?" für mich vor ein paar Wochen nicht einmal relevant. Aber durch die Ergebnisse, die jetzt eingetreten sind, die Ampel, wie sie zerbrochen ist, die Art, wie die FDP und Herr Lindner sich aus der Verantwortung gestohlen haben: Das sind alles Dinge, die mich so fassungslos machen, dass ich sage, ich habe Sorge, wenn im Deutschen Bundestag keine Stimme mehr da ist, die sich über Themen wie Kinderarmut oder Altersarmut erregt. Die nicht mehr thematisiert, dass es doch nicht sein kann, dass Milliardäre permanent reicher werden und die breite Masse der Bevölkerung ständig mehr und mehr verarmt. Und dass diese Armut mittlerweile ausgrenzend ist, also uns Chancen für die Gesellschaft nimmt.
Deswegen braucht es tatsächlich wieder ein höheres Maß an Zusammenhalt. Mit meinen zwei Mitstreitern habe ich vor 20 Jahren schon einmal erfolgreich einen Wahlkampf gemanagt. Da war ich Bundeswahlkampfleiter für die PDS und habe ab 2005 die PDS erfolgreich wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag gebracht.
Mein Ziel ist es jetzt, mit Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, unserem neuen Team, unseren neuen Parteivorsitzenden und den beiden, die die Bundestagsgruppe leiten, dafür zu sorgen, dass die Linke als Fraktion im Bundestag 2025 aktiv weiter das Wort ergreift.
Mit ihrer "Mission Silberlocke" mit Dietmar Bartsch und Gregor Gysi kokettieren Sie ja auch ein bisschen mit ihrem Alter. Was sagen die Jungen in der Partei dazu? Und die Frauen?
Das ist tatsächlich ein spannender Vorgang. Dadurch, dass immer nur diese drei Männer zu sehen sind, gab es berechtigterweise immer den Hinweis: Achtung, wir brauchen eine Ausgewogenheit. Damit klar wird, dass die Linke in ihrer Satzung geregelt hat, dass immer abgewechselt wird: Frau, Mann, Frau, Mann. Das kommt jetzt optisch in der Wahrnehmung zu kurz, weil tatsächlich diese drei Personen als Personen Unikate sind, die in ihrem Wahlkreis um das Grundmandat kämpfen.
Grundmandat heißt: Wenn eine Partei droht, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, würden drei Mandate deutschlandweit reichen, um eine Fraktionsstärke zu bekommen. Das hat die Partei schon einmal geschafft. Da hat sie 1994 vier Grundmandate erreicht.
Jetzt sollten die Grundmandate gestrichen werden. Gregor Gysi hat in Karlsruhe dagegen geklagt und Recht bekommen. Aus dieser Perspektive heraus haben wir gesagt: Jawoll, jetzt machen wir uns auf, die Gesamtpartei wieder stärker in den Vordergrund zu bringen.
Da haben wir bei der Aufstellung von Listen eine klare Vorgabe, dass auf einen Mann, der Spitzenkandidat wäre, als allererstes zwei Frauen gesetzt werden, damit der weibliche Anteil in unserer Ausstrahlung, im Miteinander, im Zuhören untereinander nicht unter die Räder kommt.
Das sollte keine Ältere- weiße-Männer-Debatte werden. Ich erlebe jetzt junge Leute im Wahlkampfteam in Erfurt und Weimar, die sagen, sie finden das toll, dass wir mit unserer Lebenserfahrung und mit ihren Hoffnungen und Erwartungen gemeinsam in diesen Wahlkampf gehen.
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MDR (caf)