Ein Hund an der Leine schaut zu seiner Halterin auf.

Thüringen Nach Beißvorfällen: Was könnte ein Hundeführerschein bringen?

Stand: 19.11.2024 18:39 Uhr

Vor einer Woche beißen im Eichsfeld zwei freilaufende Hunde einen Dackel tot. Seine Besitzer werden verletzt. Der Vorfall heizt die Debatte über den richtigen Umgang mit Hunden wieder an. Die Erfurter Grünen wollen einen freiwilligen Hundeführerschein einführen. Emanuel Beer findet das im Interview grundsätzlich sinnvoll. Beer ist Hundepsychologe in Gotha und vom Freistaat Thüringen als Sachverständiger für gefährliche Hunde berufen.

Von David Straub, MDR THÜRINGEN

Fangen wir ganz von vorne an, Herr Beer: Zwei Hunde beißen einen Dackel tot und verletzen dessen Besitzer. Wer trägt da aus Ihrer Sicht die Schuld? Die Halter oder die "bösen" Hunde?

Ach, die Schuldfragen sind immer so schwer zu beantworten. Verantwortung trifft es da besser. Ich bin mit den Details nicht komplett vertraut, aber da spielen oft ganz viele Faktoren eine Rolle. Oft sozusagen im soziologischen Bereich. Möglich ist, dass ein Hund krank ist und sich deshalb so verhält.

Ich finde es in der Debatte wichtig, nicht mit so populistischen Dingen um sich zu werfen oder so einen Vorfall so schnell zu bewerten. Weil letztlich wissen wir alle ziemlich wenig darüber, was da abgelaufen ist, welche Erfahrungen die Hunde gemacht haben oder wie sie aufgewachsen sind. Wir fangen sehr schnell an und bewerten das. Und dann ist es ein böser Hund oder ein Problem. Und das wird der Sache in aller Regel überhaupt nicht gerecht.

Aber würden Sie sagen, dass sich solche Vorfälle - Hunde beißen andere Hunde, Hunde beißen Menschen - in der Regel vermeiden lassen?

Also, ich bin nicht das Orakel von Delphi. Ich glaube aber schon, dass sich viele Vorfälle vermeiden ließen. Es fängt mit Wissen an. Das heißt: Der Hund hat auf sein Leben sehr wenig Einfluss, weil das im großen Teil der Mensch organisiert. Und die Fragen - Welche Erfahrungen macht der Hund? Wie wächst er auf? In welcher Umwelt bewegt er sich? - das entscheidet der Mensch. Und diese Entscheidung basieren ganz maßgeblich darauf, was der denkt. Wovon er überzeugt ist.

Ich glaube aber schon, dass sich viele Vorfälle vermeiden ließen. Emanuel Beer |

Wenn wir es schaffen, da ein bisschen mehr verhaltensbiologisches Wissen zu transportieren und die Leute damit auszustatten, dann glaube ich, dass sich viele Dinge vermeiden lassen.

Sie haben zu tun mit Hunden, die schon einmal in Beißvorfälle verwickelt waren. Wie laufen solche Vorfälle ab?

In den allermeisten Fällen sind ja keine fremden Menschen betroffen. Das heißt, das Risiko, von einem fremden Hund gebissen zu werden, ist relativ gering. Aber gerade da, wo eigentlich eine Beziehung zwischen Mensch und Hund da ist, erschüttert ein Beißvorfall natürlich das Vertrauen. Und wo Vertrauen weg ist, wird es noch schwieriger - vor allem für den Hund. Weil Hunde sind ja nicht nachtragend. Für die ist es meist erledigt.

Also Sie sagen, es werden in der Regel nicht fremde Menschen gebissen?

Also "nicht" wäre ein bisschen zu pauschal. Aber es gibt verschiedene Studien, laut denen zwischen 70 und 90 Prozent eher die Bekannten gebissen werden - also die, mit denen Hunde regelmäßig Kontakt haben. Und dann muss man gucken, warum der Hund das gemacht hat. Hatte er Angst, hat er sich bedroht gefühlt? Ist er überfordert mit seiner Umwelt? Und Aggression ist auch erstmal nur Kommunikation - das ist ja keine Krankheit. Man kann es auch nicht heilen. Es gehört zum normalen Verhaltensrepertoire.

Darüber wird in Erfurt diskutiert

Bereits vor zwei Jahren wurde im Stadtrat ein Antrag der Grünen beraten - und abgelehnt. Nun versucht es die Fraktion erneut und will einen freiwilligen Hundeführerschein einbringen, damit Halter ihre "Erfahrung mit Hunden verbessern" können. "Wir hoffen, dass der neue, jüngere Stadtrat mehr Interesse an einer offenen Debatte dazu aufbringt", sagt Grünen-Stadtrat Jasper Robeck. Er beruft sich auf etwa 45 Beißvorfälle pro Jahr. Im Gegenzug soll es eine "finanzielle Würdigung" geben. Sprich: Wer den Schein macht, soll ein Jahr von der Hundesteuer befreit werden. Der Vorteil laut Grünen: Weitergebildete Hundehalter reduzierten den "städtischen Aufwand" und die Risiken im Stadtverkehr. Außerdem würden sich die Lebensbedingungen der Hunde verbessern und die Tiere seltener ins Tierheim abgegeben. Die Grünen wollen den Antrag rechtzeitig einbringen, damit er im Januar im Ordnungsausschuss beraten werden kann und damit der Stadtrat am 12. Februar darüber abstimmen kann. Die SPD im Stadtrat begrüßt auf MDR-Anfrage den Vorschlag generell und freut sich, ihn im Stadtrat zu diskutieren. Es müsse allerdings besprochen werden, wie der Schein trotz Entlastung bei der Steuer nicht zulasten von Menschen mit niedrigen Einkommen fallen würde. Die CDU erkennt zwar an, dass Beißvorfälle ein Problem seien. Ihr Stadtrat Michael Panse bezweifelt jedoch, "dass man das über eine steuerliche Regelung macht". Das führe außerdem zu zu hohen Mindereinnahmen. Die Linke und die AfD im Erfurter Stadtrat äußerten sich nicht auf MDR-Anfrage.

Die Grünen im Erfurter Stadtrat fordern jetzt einen freiwilligen Hundeführerschein. Und nennen als Vorbild die Stadt München. Sie schlagen vor: Wenn man einen Hundeführerschein macht, muss man ein Jahr die Hundesteuer nicht zahlen. Finden Sie das eine gute Idee?

Das Prinzip finde ich durchaus sinnvoll: Menschen mit mehr Wissen auszustatten über die Bedürfnisse der Hunde. Freiwillig finde ich aber schwierig.

Ich finde schon, dass jeder, der sich entschieden hat einen Hund aufzunehmen und mit ihm zusammenzuleben, bestimmtes Wissen erwerben sollte. Damit es ihm gut geht mit dem Hund - und damit es auch dem Hund gut geht. Und wir brauchen keine Kontrolle oder noch mehr Bürokratie. Für mich sollte es Voraussetzung sein: Wenn ich mir einen Hund anschaffe - vom Tierschutz oder vom Züchter oder privat - sollte das nur gehen, wenn ich dieses Wissen erworben habe.

Hundeführerschein ist für mich nicht das passende Wort. Emanuel Beer |

Aber Hundeführerschein ist für mich nicht das passende Wort. Das klingt so nach Maschinenbediener. Ich denke vom Konzept eher an so etwas wie einen Erste-Hilfe-Kurs. Oder so ein "Kompetenzkurs Hund". Das fände ich super. Da braucht man auch keine Prüfung. Wir wollen ja niemanden prüfen, ob er gut auswendig lernen kann. Sondern wir wollen die Leute überzeugen und ihnen sagen: So schön kann das Leben mit Hund sein.

Niedersachsen hat ja einen Hundeführerschein. Ich frage mich, warum das nicht so gehen sollte. Es ist auch eine Rechtsfrage, wie ich das formuliere. Wir hatten auch schon in Thüringen Rasselisten und so weiter, obwohl es Quatsch war. Warum soll nicht auch so etwas Sinnvolles gehen? Niedersachsen hat es ja vorgemacht.

Was gilt in Niedersachsen?

Seit 2013 gilt in Niedersachsen die Führerschein-Pflicht. Oder, wie das in Behördendeutsch heißt, die Pflicht zum Nachweis der Sachkunde. Hundehalter müssen für ihr neues Tier "den Nachweis der Sachkunde über eine theoretische und praktische Prüfung erbringen".

Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Was sollte man denn eigentlich konkret in so einem Kurs lernen?

Wichtig ist, dass wir dort über die neueste Forschungslage reden. Viel ist zum Beispiel überholt - das Rudelkonzept zum Beispiel. Also die landläufige Meinung, dass Hunde in Rudeln leben und sich deshalb eine Hierarchie bildet. Das ist Quatsch und hat sich in der Beobachtung freilebender Hunde herausgestellt. Wir reden stattdessen von sozialen Gruppen: Von Hierarchie haben Hunde relativ wenig Ahnung. Menschen können sowieso nicht dazugehören. Wir sind eine völlig andere Art. Also, Hunde wissen nicht, dass wir Menschen sind - sie wissen aber, dass wir keine Hunde sind.

Ich fände es wichtig, dass dafür Experten zusammenkommen, die einen Kanon von Inhalten erarbeiten - zu den Themen Verhaltensbiologie, Verhaltensauffälligkeiten, zu Kommunikation und Ausdrucksverhalten. Und ganz wichtig: zum Thema Bedürfnisse. Auch ein Hund hat Bedürfnisse. Und dass man das auch verbindet im Kurs mit einem praktischen Teil. Also Theorie und dann aber sofort in die Praxis übersetzen und Erfahrungen machen.

Jetzt habe ich den Erfurter CDU-Stadtrat Michael Panse im Kopf, der sagt: Wenn wir als Bonus für den Hundeführerschein ein Jahr Hundesteuer streichen und das hochrechnen, dann können wir uns als Stadt das nicht leisten. Also das Argument, dass uns das zu viel kostet.

Ja, klar kostet es. Aber die Frage ist, wie hoch der Nutzen ist. Also ob das nicht vielleicht auch der Stadt zugutekommt, wenn ich Menschen habe, die verantwortungsvoll mit den Hunden umgehen. Wenn es den Hunden gut geht und sie sich weniger auffällig verhalten.

Wenn ich einen Hund habe, nimmt er auch am sozialen Leben teil - mit allen Vor- und Nachteilen. Emanuel Beer |

Vielleicht haben die Ordnungsämter weniger zu tun, die Veterinärämter - wir bräuchten weniger Wesenstests oder Sachkundeprüfungen. Ich finde es auch schwierig zu sagen: Wir haben ziemlich viele Hunde, aber das soll nichts kosten. Die Leute haben so viel Geld für alles Mögliche. Auch wenn ich den Führerschein mache, kostet er Geld - weil ich Auto fahren will. Und wenn ich einen Hund habe, nimmt er auch am sozialen Leben teil - mit allen Vor- und Nachteilen. Ich finde, das sollte auch etwas wert sein. Der Hund kostet im Laufe des Lebens ja auch Geld, und das fängt an der Stelle schon an.

Viele haben wahrscheinlich die Meldungen aus der Pandemie-Zeit im Kopf, als sich viele ein Tier angeschafft haben. Haben Sie über die vergangenen Jahre vermehrt Verwahrlosungen beobachtet - oder mehr aggressive Tiere?

Das will ich so pauschal nicht sagen. In der Corona-Zeit war es natürlich so, dass sich viele Menschen einen Hund angeschafft haben. Man hatte zu Hause viel Zeit und es wurde schwierig, als sich das Leben wieder normalisiert hat. Vor allem für die Hunde.

Ich würde sagen, dass es durchaus zu Problemen bei den Hunden geführt hat. Die Bedürfnisse des Hundes werden nicht mehr so erfüllt, und daraufhin kommt es beim Hund zu einem Ungleichgewicht. Zu mehr Stress, Angst oder aggressivem Verhalten.

Über ein Thema möchte ich noch mit Ihnen reden: Es gibt immer wieder Züchtungen, unter denen die Tiere eigentlich leiden. Sind bestimmte Hundezüchtungen Faktoren, die aggressives Verhalten bei den Tieren begünstigen?

Also, Aggression ist erstmal, wie gesagt, völlig normal. Es spielen verschiedene Faktoren - genetisch gesehen - dort rein. Das ist natürlich ein bisschen rassespezifisch. Aber es kann natürlich immer auftreten: Ein Chihuahua beißt genauso wie ein Pitbull…

Nur beißt der Pitbull ein bisschen anders…

Ja, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das auftritt, kann man jetzt nicht nur auf die Rasse herunterbrechen. Das wäre zu einfach. Da rollen sich jedem Genetiker die Fußnägel hoch.

Dort, wo der Mensch eingreift, ist der Hund erstmal schlechter an seine Umwelt angepasst. Emanuel Beer |

Grundsätzlich ist Zucht aber natürlich schwierig, weil es Einfluss auf das Wohlbefinden des Hundes haben kann. Wir haben viele Hunde, die keine Luft kriegen, die nicht richtig kommunizieren können, weil sie keine Rute mehr haben. Oder weil sie irgendwie kein Fell haben. Das treibt ganz absurde Blüten. Dort, wo der Mensch eingreift, ist der Hund erstmal schlechter an seine Umwelt angepasst, weil wir das so machen, wie wir wollen.

Sie sind auch als Sachverständiger für gefährliche Hunde des Freistaats Thüringen berufen worden. Was macht denn so ein Sachverständiger für gefährliche Hunde?

Das ist ganz pragmatisch: Wenn ein Hund verhaltensauffällig geworden ist, dann kann die Behörde einen Wesenstest anordnen. Das heißt, der Hund wird in verschiedenen Situationen getestet. Wie reagiert er in verschiedenen Szenarien? Und es kann auch eine Sachkundeprüfung des Halters angeordnet werden. Der muss dann bestimmte Fragen beantworten und das Wissen wird geprüft. Das muss jemand abnehmen, der geschult ist und der das einschätzen und die Beurteilung an das zuständige Amt weiterleiten kann.

Zum Abschluss noch: Was wünschen Sie sich für den Umgang zwischen Mensch und Hund für die Zukunft?

Ich wünsche mir einen verantwortungsvollen Umgang. Und dass die Menschen ihren Hunden mehr zuhören und ihr Verhalten weniger bewerten. Sondern versuchen, das als eine sehr gewinnbringende Gemeinschaft zu sehen. Und so ein "Kompetenzkurs Hund" wäre für mich da ein guter Anfang.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit.

MDR (dst)