Streit um die Energiewende Keine Trassen auf bayerischem Boden
Zeitweise fand der CSU-Chef die Energiewende mal wichtig. Doch davon ist nicht mehr viel zu merken: Trassen wie der "SuedLink", der Windstrom nach Bayern bringen soll, findet Seehofer jetzt überflüssig. Ein Affront gegen die Bundesregierung.
Dutzende Meter hohe Stahlmasten, faustdicke Kabel - so soll eine Stromautobahn aus dem windreichen Norden in die Industriegebiete im Süden und Südwesten der Republik aussehen. Und so stellt sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Energiewende vor. Dort, wo Bürgerinitiativen und Naturschützer zu viel Widerstand leisten, könnten die Leitungen streckenweise auch unterirdisch verlaufen. Doch aus Sicht der Experten im Bundeswirtschaftsministerium steht fest: Der Windstrom aus dem Norden muss in den Süden.
Spätestens wenn 2022 die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, sollte die Stromautobahn stehen. Nur so dürften die langfristigen Ziele der Energiewende zu schaffen sein. Damit alles seine deutsche Ordnung hat, legen die Bundesnetzagentur, die Übertragungsnetzbetreiber und das Wirtschaftsministerium in einem Netzentwicklungsplan den Verlauf der Strecke fest. Die wichtigste Verbindung zwischen Norden und Süden ist der "SuedLink", der sich von der Nordsee bei Hamburg bis nach Grafenrheinfeld in Unterfranken ziehen soll.
Dass diese Trasse nötig ist, war bisher Konsens zwischen Bund und Ländern. Doch Horst Seehofer, Allzeitrebell aus Bayern, lässt keine Chance verstreichen, um den Preußen - wie auch Berliner Politiker aller Couleur im Münchner Jargon gerne mal genannt werden - Paroli zu bieten. Erst vor einer Woche hat Seehofer bei der CSU Klausur in Banz den Landtagsabgeordneten seiner Partei noch einmal dargelegt, dass die Stromtrassen auf bayerischen Boden noch längst keine abgemachte Sache seien und erneut umfangreich diskutiert werden müssen.
Bayerische Verzögerungstaktik
Nur wenige Tage später lässt der bayerische Ministerpräsident seine Wirtschaftsministerin Ilse Aigner verkünden, dass es vorerst keinen Bedarf an Nord-Süd-Stromtrassen gebe. Denn bis 2021 sei die Versorgung Bayerns gesichert. Außerdem müsse in einem umfassenden Dialog mit Experten und Betroffenen, also Netzbetreibern, Wirtschaft, Energieagentur, Bund Naturschutz und Bürgerinitiativen gesprochen werden, so Aigner gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Das klingt alles ziemlich nach Verzögerung.
Jedoch kollidiert die bayerische Strategie frontal mit den Vorstellungen Sigmar Gabriels. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministers stellt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio schriftlich fest: "Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat wiederholt klargestellt, dass der Netzausbaubedarf nicht infrage gestellt wird und dass wir beim Netzausbau deutliche Fortschritte brauchen, um den vor allem im Norden und Osten produzierten Windstrom zu den Verbrauchsschwerpunkten nach Süden und Westen zu transportieren."
"Noch Klärungsbedarf"
Wie verfahren der Streit zwischen Seehofer und Gabriel in Sachen Stromtrassenbau ist, zeigt auch eine Pressemitteilung des Übertragungsnetzbetreibers Tennet. Das Unternehmen soll den "SuedLink" bauen und führt deshalb bürgeroffene Diskussionsforen durch, bei denen vom Leitungsbau Betroffene ihre Einwände vorbringen können.
Ein für den 29. September geplantes Forum wurde letzte Woche abgesagt. Dazu schreibt Tennet in der Pressemitteilung: "Der ursprünglich für Montag geplante Infomarkt in Schweinfurt entfällt: Nach Gesprächen mit der Politik hat Tennet den Eindruck gewonnen, dass zwischen Bayern und dem Bund noch abschließender Klärungsbedarf über das 'Ob' des Netzausbaus im Rahmen der Energiewende besteht." Selten kommentiert ein Unternehmen politische Meinungsverschiedenheiten in einer Pressemitteilung so deutlich. Es knirscht und kracht zwischen München und Berlin. Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht.
Das gesamte Stromnetz in Deutschland umfasst nach Zahlen der Bundesnetzagentur rund 1,79 Millionen Kilometer. Das Netz gliedert sich gemessen an der Stromkreislänge wie folgt:
- Höchstspannung (380 Kilovolt): 35 270 Kilometer;
- Hochspannung (110 oder 60 kV): 95 425 Kilometer;
- Mittelspannung (30 bis 3 kV): 507 953 Kilometer;
- Niederspannung (400 oder 230 Volt): 1 149 973 Kilometer.
Es gibt vier Betreiber von Höchstspannungsleitungen in Deutschland: Tennet, Amprion, 50Hertz und TransnetBW. Sie speisen den Großteil des Stroms ein und verteilen ihn über lange Distanzen. Hinzu kommen 806 Verteilnetzbetreiber, darunter viele Stadtwerke, die den Strom über niedrigere Spannungsebenen zum Verbraucher bringen.
Um den zunehmenden Windstrom von Nord- und Ostdeutschland in den Süden zu transportieren, sollen nun drei große Stromtrassen mit insgesamt 2800 Kilometern Länge gebaut werden. Zudem sollen im bestehenden Höchstspannungsnetz 2900 Kilometer für die je nach Wetter schwankende Ökostrom-Einspeisung optimiert werden. Planungs- und Bauzeiten sollen dabei von zehn auf vier Jahre verkürzt werden. Die Kosten für die 36 Projekte betragen rund zehn Milliarden Euro - ohne die Zusatzkosten für Erdverkabelungen auf einzelnen Trassenabschnitten.
Aus der Branche heißt es, Seehofer wolle in Bayern Gaskraftwerke bauen um unabhängig zu sein und wartet auf Finanzierungsvorschläge aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Seehofers Problem: Investoren für defizitäre Gaskraftwerke sind derzeit nirgends zu finden. Gasstrom ist viel teurer als subventionierter Ökostrom und nachgefragt wird er nur, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Die Preise an der Strombörse entstehen aber vor allem durch den Ökostrom, der derzeit im Überfluss in die Netze drückt.
Folglich hofft Seehofer darauf, dass Gabriel ein Gesetz ins Leben ruft, das einen Neubau von Gaskraftwerken rentabel macht. Doch der Bundeswirtschaftsminister trägt auf Konferenzen zum Thema Energiewende schon seit Monaten sein Mantra vor, mit ihm werde es "kein Hartz IV" - also keine Subventionen - für konventionelle Kraftwerke geben. So droht mit dem Stromtrassenbau ein wichtiger Baustein der Energiewende zwischen Berlin und München zerrieben zu werden.