Captagon-Handel Drogenbande kommt vor Gericht
Das Landgericht Aachen verhandelt ab Ende Juli eine Anklage gegen vier Syrer. Die mutmaßliche Drogenbande wollte Captagon im Wert von etwa 60 Millionen Euro schmuggeln. Die Pillen werden vor allem in Saudi-Arabien konsumiert.
Im Herbst vergangenen Jahres schlugen Zollfahnder zu. In einem Garagenkomplex bei Aachen entdeckten sie ein Drogenlager mit mehr als zwei Millionen Captagon-Tabletten, versteckt in Sandsäcken und einem Koffer. Vier tatverdächtige Syrer sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Am 24. Juli 2024 beginnt am Landgericht Aachen der Prozess gegen die Männer.
In drei Fallkomplexen hat die Staatsanwaltschaft Aachen Klage erhoben. Dabei geht es um etwas mehr als 480 Kilogramm Captagon - wovon gut drei Viertel sichergestellt werden konnten. Die Staatsanwaltschaft geht hierbei von einem Straßenverkaufswert von rund 60 Millionen Euro aus.
Drogen für den Nahen Osten
Es ist der bislang größte Captagon-Fall auf deutschem Boden. Die angeklagten Männer zwischen 33 und 46 Jahren wollten die illegalen Aufputsch-Tabletten nach Saudi-Arabien, Katar, Bahrain sowie Australien schmuggeln, so die Pressestelle des Landgerichts Aachen auf Anfrage von BR, MDR, RBB, SWR, der F.A.Z. und der Mediengruppe Bayern. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor. Im Fall einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft.
Beamte des Zollfahndungsamts Essen hatten bereits Ende 2022 mit den Ermittlungen begonnen. Ausgangspunkt war eine Kontrolle von mehreren Paketen mit Bremszylindern am Flughafen Köln/Bonn. Da die Kontrolleure diese nicht durchleuchten konnten, schraubten sie die Zylinder auf und fanden darin gut zehn Kilogramm Captagon.
"Tarnwaren": Drogen in Duftkerzen versteckt
Weitere Ermittlungen führten zu den mutmaßlichen Tätern, die nach Erkenntnis der Ermittler bereits seit Oktober 2021 den Rauschgiftschmuggel geplant haben sollen. In mehreren angemieteten Lagerräumen im Raum Aachen sollen sie Captagon-Tabletten in und unter legalen Versandprodukten, sogenannten Tarnwaren, versteckt haben: Dazu zählten unter anderem Duftkerzen, ein Elektrokamin oder ein Raumluftreiniger.
Woher die Tabletten stammten, ist nach Auskunft der Pressestelle des Landgerichts Aachen unklar. Nach gemeinsamen Recherchen von BR, MDR, SWR, RBB, F.A.Z. und der Mediengruppe Bayern hat mindestens einer der Angeklagten seine Beteiligung gestanden und mit den Ermittlern kooperiert. Der Aachener Strafverteidiger Björn Hühne betont, dass die Dimension des Handels, die sich erst im Laufe der Ermittlungen zeigte, selbst seinen Mandanten überrascht habe. "Den Rest muss die Hauptverhandlung zeigen", so Hühne.
Die Ermittler konnten wohl durch einen Kronzeugen und Handyauswertungen auch bis dato unbekannte Lieferungen nachweisen. Bereits im Juli 2022 soll laut Anklage eine Sendung Tabletten im fünfstelligen Bereich ins australische Sydney gegangen sein. Außerdem soll es im Aachener Fall eine Vielzahl weiterer Verdächtiger im In- und Ausland geben.
Katja Schlenkermann-Pitts, die Sprecherin der Aachener Staatsanwaltschaft, bestätigte, "dass die Ermittlungen im Hintergrund weitergeführt werden". Unklar ist, ob es Verbindungen zu weiteren Fällen in Deutschland gibt.
Weitere Captagonfunde in Deutschland
Bereits wenige Monate vor der Razzia im Raum Aachen hatte das Bundeskriminalamt in Regensburg eine Produktionsstätte ausgehoben, das "bislang größte bekannte Drogenlabor für Captagon-Tabletten in Deutschland". In einer Autowerkstatt konnte das Bundeskriminalamt gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Bayern im Juli 2023 mehr als 300 Kilo Tabletten und Rohstoffe für weitere drei Tonnen sicherstellen. Der Straßenwert der sichergestellten Tabletten lag bei rund 35 Millionen Euro. Zwei Syrer wurden festgenommen und im März dieses Jahres vom Landgericht Ellwangen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Deutschland wird, das zeigen Recherchen, offenbar immer mehr zum Transitland im internationalen Captagon-Schmuggel - um durch die Herkunft der Lieferungen aus Europa die Gefahr von Kontrollen in den Zielländern zu minimieren. Gut 800 Kilogramm Captagon wurden alleine im Jahr 2023 sichergestellt, laut dem jüngst veröffentlichten "Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität" des Bundeskriminalamtes entspricht dies einem großen Anteil der gesamten Amphetamin-Beschlagnahmung. Ermittler gehen allerdings davon aus, dass die tatsächliche Menge an geschmuggelten Pillen zehnmal so hoch ist.
Captagon - Aufputschmittel für Dschihadisten?
Captagon, das hauptsächlich aus Amphetamin besteht, wird neben Syrien oft auch im Libanon in illegalen Produktionsstätten hergestellt und überwiegend in den arabischen Raum geschmuggelt. Das syrische Regime steht im Verdacht, an diesem milliardenschweren Geschäft beteiligt zu sein. In vielen Fällen erreicht die Ware Europa auf dem Land- oder Seeweg, wo die Drogen umgepackt und per Schiff oder Flugzeug weitergeschickt werden. Tatverdächtig in Deutschland sind in den bislang aufgedeckten Fällen meist Syrer.
Der Islamwissenschaftler Caspar Schliephack hat sich intensiv mit dem syrischen Captagon-Schmuggel befasst und zeigt sich alarmiert. Der milliardenschwere illegale Handel syrischer Drogenkartelle mit Captagon fülle "auch die Kassen des international geächteten Assad-Regimes". Viele Nachbarländer Syriens würden seit Jahren eine regelrechte Captagon-Schwemme mit vermutlich Hunderttausenden Konsumenten und Abhängigen erleben. "Neben der Droge drohen auch Konsumgewohnheiten aus dem Mittleren Osten nach Europa zu gelangen", so Schliephack.
Anfang Oktober geriet die Droge weltweit in die Schlagzeilen, nachdem israelische Medien berichteten, Hamas-Terroristen hätten bei dem Überfall auf Israel am 7. Oktober Captagon-Tabletten bei sich gehabt. Captagon unterdrückt Müdigkeit und Ängste, wirkt aufputschend und macht hochgradig abhängig. Auch die Terrororganisation "Islamischer Staat" steht im Verdacht, ihren Kämpfern Captagon zu geben.