Nordrhein-westfälisches Polizeifahrzeug (Symbolbild)
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Ndrangheta-Razzia in Münster Das geheime Mafia-Gremium um Francesco A.

Stand: 27.06.2023 14:02 Uhr

Ein mutmaßliches Mitglied der 'Ndrangheta ist nach Informationen von MDR und FAZ in Münster festgenommen worden. In den vergangenen Wochen gab es bereits zahlreiche Razzien gegen die italienische Mafia-Organisation.

Von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR

Punkt vier Uhr begann die Operation gegen die Ndrangheta, der offensichtlich jahrelange Ermittlungen vorausgegangen waren. In Deutschland klickten die Handschellen in Münster-Hiltrup. Dabei wurde nach Informationen von MDR und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) Francesco A. festgenommen. Auch der "Spiegel" berichtet über die internationale Mafia-Operation.

In dem Verfahren gibt es insgesamt 123 Beschuldigte. Gegen 41 von ihnen sind Haftbefehle vollstreckt worden, teilte die Staatsanwaltschaft im italienischen Catanzaro mit. Einigen von ihnen wird Mitgliedschaft in der Mafia vorgeworfen. Im Zentrum des Verfahrens: Der Clan der "Papaniciari", aus dem kalabrischen Dorf Papanice in der Provinz Crotone. Zudem geht es um Betrug, unlauteren Wettbewerb und Erpressung. Auch ein Mord ist Teil des umfangreichen Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft Catanzaro und ihr Chef, der bekannt Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, führt.

Francesco A. seit Jahren im Visier

Francesco A., den das Bundeskriminalamt im Auftrag der italienischen Behörde festnahm, wird unter anderem die Mitgliedschaft in der Mafia vorgeworfen. Sein Anwalt teilte MDR und FAZ mit, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einem offenen Verfahren keine Stellungnahme abgeben könne. Sowohl deutsche als auch italienische Mafia-Fahnder haben A. seit Jahren im Visier. Nach Informationen von MDR und FAZ zählen ihn deutsche Ermittler zu den wichtigsten Köpfen der 'Ndrangheta in Deutschland.

So tauchte A. vor einigen Jahren in einer internen BKA-Analyse in einer Liste von insgesamt neun mutmaßlichen Mafiosi auf. Sie sollen zum sogenannten Crimine di Germania gehören. Dabei handelt es sich um ein Aufsichtsgremium, dessen wichtigste Aufgabe es ist, zwischen den Interessen der einzelnen Familienclans in Deutschland zu vermitteln. Außerhalb von Italien hat die 'Ndrangheta laut Ermittlern in keinem anderen europäischen Land solch ein Gremium. 

 

Bestens vernetzt

Im Rahmen der Ermittlungen sprachen die Fahnder mit verschiedenen Kronzeugen. Mehrere von ihnen sollen erzählt haben, A. sei Mitglied der 'Ndrangheta. Außerdem sollen sie zu A.s mutmaßliche Nähe zu Nicolino Grande Aracri ausgesagt haben. Er ist ein mächtiger 'Ndrangheta-Boss mit engen Verbindungen nach Deutschland.

A., der bereits seit den 1970er-Jahren in Deutschland lebt, soll laut einem Kronzeugen von mehreren Clans als Stützpunkt in Deutschland vor allem in Sachen Geldwäsche eingesetzt worden sein. Das soll bereits seit den 1990er-Jahren der Fall sein. Ein weiterer Kronzeuge soll ihn als jemanden beschrieben haben, der in Deutschland bestens vernetzt war: mit Steuerberatern, Notaren, Bänkern und Anwälten. 

 

Verurteilter sagt gegen A. aus

Wichtige Hinweise zu A. soll auch ein Mann geliefert haben, der erst seit Kurzem mit der Justiz kooperiert: Gaetano Aloe. Er ist der Sohn des ermordeten Clan-Bosses Nicodemo Aloe, mächtiger Chef der 'Ndrangheta im Dörfchen Cirò - bis ihn seine Widersacher 1987 umbrachten. Gaetano Aloe trat in die Fußstapfen seines Vaters, bis er selbst 2018 im Rahmen der "Operation Stige" festgenommen und zu rund 13 Jahren Haft verurteilt wurde. Seither sitzt er im Gefängnis.

Irgendwann muss er sich entschlossen haben auszupacken. Seit März 2023 steht er der italienischen Staatsanwaltschaft als Kronzeuge Rede und Antwort. "Mein Vater hat die 'Ndrangheta in Cirò geschaffen, ich werde sie zerstören", zitierten kalabrische Medien aus den ersten Vernehmungsprotokollen.

 

Einblicke in die Strukturen der Mafia

Aloe gab den Ermittlern Einblicke in die Strukturen und Geschäfte der Mafiaclans. Er erzählte von dem Mord an einem Mitglied, dem sie vorwarfen, die "Bacinella", die gemeinsame Kasse, nicht ordentlich geführt zu haben, weshalb sie ihn in einem Restaurant erschossen.

Außerdem soll Aloe von Francesco A. erzählt haben. So berichtete der Kronzeuge von einer gemeinsamen Fahrt nach Belgien, bei der sie ein Kilogramm Kokain gekauft haben sollen. Das Kokain soll schließlich von Deutschland mit einem Bus nach Kalabrien gebracht worden sein. Im aktuellen Verfahren wird A. aber keine Beteiligung an Drogengeschäften vorgeworfen. 

Verbindungen in diesem Verfahren gibt es aber auch zur Operation "Eureka", bei der Anfang Mai europaweit mehr als 130 Tatverdächtige festgenommen wurden. Die Operation gilt als eine der umfangreichsten im Kampf gegen die kalabrische Mafia bislang.

Komplexes Geldwäsche-Netzwerk

So stand A. schon vor gut 20 Jahren in engem Kontakt mit Domenico G., der damals in Erfurt lebte. Die beiden telefonierten regelmäßig, wie aus den Akten eines Verfahrens hervorgeht, das Anfang der 2000er-Jahre geführt wurde: die Operation "Fido". Die zwei Männer informierten sich gegenseitig über die Restaurants, Cafés und andere Geschäfte, in die sie jeweils investierten. Anfang Mai 2023 wurde Domenico G. in Portugal festgenommen, wo er ebenfalls etliche Firmen und Restaurants eröffnet hatte. Ermittler werfen ihm vor, Strippenzieher in einem weitläufigen Geldwäsche-Netzwerk zu sein.

Im Verfahren taucht auch die Figur eines deutschen Mannes auf, den italienische Ermittler als "Experte für Banktransaktionen und Online-Betrüge" bezeichnen. Gemeinsam mit A.s Bruder soll er Clan-Gelder investiert haben. Es soll dabei um ein komplexes Betrugssystem gehen, das sich unter anderem über Banktransaktionen abspielte. Auch gegen A.s Bruder, der in Deutschland und in Italien gelebt haben soll, haben italienische Ermittler einen Haftbefehl erlassen.