Spahns Maskenkäufe Bund drohen Milliarden-Zahlungen
Ein neues Urteil im Streit über Corona-Masken-Geschäfte gibt den Lieferanten Recht. Die Kosten, die noch auf die Steuerzahler zukommen könnten, haben sich enorm erhöht. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ beträgt der Streitwert nun 2,3 Milliarden Euro.
Das Gesundheitsministerium hat heute vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln eine empfindliche Niederlage im Rechtsstreit um die Bezahlung von Corona-Schutzmasken kassiert. Ende März 2020 hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein sogenanntes Open-House-Verfahren gestartet und allen Unternehmern garantiert, für jede FFP2-Maske 4,50 Euro zu bezahlen. Das Ministerium wurde daraufhin von Angeboten derart überschüttet, dass die Angebotsfrist auf wenige Tage verkürzt wurde.
Doch mehr als 700 Lieferanten hatten bereits angekündigt, Masken an den Bund zu liefern. Die Bedingung des Bundes war damals allerdings, dass die Masken bis 30. April 2020 angeliefert werden müssten - kämen sie nur einen Tag später, sei das ganze Geschäft ungültig und die Lieferungen müssten nicht bezahlt werden.
Diese Klausel hat das OLG Köln heute in einem Urteil für ungültig erklärt. Sie hätte die Lieferanten "unverhältnismäßig benachteiligt", erläutert Richter Daniel Lübcke als Sprecher des Gerichts auf Anfrage. Demnach hätte das Ministerium, wenn die Lieferanten nicht fristgerecht anliefern oder die Qualität der Masken unzureichend sei, den Lieferanten eine Nachfrist setzen müssen.
Urteil könnte Signalwirkung haben
In beiden Fällen hat das Gesundheitsministerium das nicht getan. Stattdessen ist es in Dutzenden Fällen von dem Vertrag zurückgetreten, hat die Rechnungen für Corona-Masken nicht bezahlt, die Annahme zu später Lieferungen verweigert oder in einigen wenigen Fällen auch eine Rückzahlung gefordert, aufgrund schlechter Qualität.
Dass das OLG die Klausel des Ministeriums in den Open-House-Verträgen für unwirksam hält, könnte große Auswirkungen auf die anderen Verfahren haben, sagt Richter Lübcke. Zwar seien andere Senate des OLG, bei denen ebenfalls Verfahren laufen, frei in ihren Entscheidungen. Aber sollten sie zu einer anderen Ansicht gelangen, müsste wohl der Bundesgerichtshof entscheiden.
Kosten könnten noch weiter steigen
Dem Bund drohen mit der heutigen Gerichtsentscheidung neue Milliardenkosten. Hatte das Ministerium den Streitwert in den Verfahren gegen die Maskenlieferanten im Oktober vergangenen Jahres gegenüber dem Bundestag noch mit 988 Millionen Euro beziffert, beläuft sich die Summe nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung inzwischen auf 2,3 Milliarden Euro. Hanno Kautz, Sprecher von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, bestätigt die Zahl auf Anfrage.
Doch selbst diese Summe könnte noch deutlich größer werden, denn zu dem Streitwert kommen noch die Zinsen seit dem Jahr 2020 hinzu, außerdem Anwalts- und Gerichtskosten. Wie viel von dem Streitwert auf Rückzahlungsforderungen des Bundes gegenüber Lieferanten entfallen, beantwortete das Gesundheitsministerium auf Nachfrage nicht.
"Nach unserer Schätzung geht es um Gesamtkosten von rund 3,5 Milliarden Euro", sagt der Unternehmer Joachim Lutz aus Offenburg, der als Maskenlieferant ebenfalls gegen das Ministerium klagt.
In vier Wochen wird ein weiterer Fall entschieden
Das Ministerium zeigt sich nach der Entscheidung enttäuscht, weil das OLG der Auffassung sei, es habe für die Lieferanten "keinen fixen spätesten Liefertermin gegeben und bei mangelhaften Lieferungen hätte dem jeweiligen Lieferanten die Möglichkeit einer Nacherfüllung eingeräumt werden müssen". Das Ministerium halte dagegen "an seiner anderslautenden Rechtsauffassung ausdrücklich fest" und wolle nun "in Betracht kommenden Rechtsmittel prüfen". Einfach wird dieser Versuch nicht, denn das OLG hat eine Revision nicht zugelassen.
Bereits in vier Wochen wird das Gericht in Köln in einem weiteren Fall entscheiden. Dabei geht es um den Lieferanten ILTS, der den Bund wegen Nichtzahlung von Corona-Masken auf 85 Millionen Euro verklagt hat. Der Anwalt der Firma, Till Veltmann, berichtet, dass in der mündlichen Verhandlung das OLG schon die gleiche Ansicht vertreten habe wie im heutigen Urteil: Dass den Lieferanten eine Nachlieferung hätte zugestanden werden müssen und die Fixgeschäft-Klausel unwirksam sei. Mit allen Zinsen fordert ILTS deshalb vom Bund inzwischen 118 Millionen Euro.
Schutzmasken für 5,9 Milliarden Euro
Die Beschaffung von Corona-Masken durch das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn gilt in großen Teilen als chaotisch und exzessiv. Der Bundesrechnungshof hatte in einem erneuten Bericht im März dieses Jahres die "massive Überbeschaffung" kritisiert.
Während es in der kritischen Phase der Pandemie nur einen Bedarf von 275 Millionen Corona-Masken gegeben habe, habe das Spahn-Ministerium über verschiedene Beschaffungswege insgesamt 5,7 Milliarden Schutzmasken eingekauft und dafür 5,9 Milliarden Euro ausgegeben.
Bis Anfang dieses Jahres sei mehr als die Hälfte dieser Masken vernichtet worden, weil sie nicht gebraucht wurden, berichtet der Bundesrechnungshof. Die Beschaffung des Ministeriums habe sich insgesamt als "ineffizient und unwirtschaftlich" erwiesen.