Der Frachter "Eventin".
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Russische Schattenflotte Milliardengeschäft für westliche Reeder

Stand: 04.02.2025 06:00 Uhr

Mehr als 200 ehemals westliche Tanker fahren in der russischen Schattenflotte. Den Eigentümern der Schiffe brachte der Verkauf Milliarden ein. Auch deutsche Reeder profitierten davon, wie ein internationales Rechercheprojekt zeigt.

Von Lennart Banholzer, Alexa Höber, Antonius Kempmann, Benedikt Strunz, NDR, Petra Blum, Jana Heck, WDR

Mitte Januar 2025 trat genau das Szenario ein, vor dem Experten lange Zeit gewarnt hatten: Ein Tanker, 18 Jahre alt, havarierte in der Ostsee, genau vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Das Schiff wird der russischen Schattenflotte zugerechnet. In schwerem Sturm versuchten Schlepper, den manövrierunfähigen Tanker "Eventin" zu stabilisieren.

An Bord der "Eventin" befanden sich zu diesem Zeitpunkt 99.000 Tonnen Rohöl aus Russland. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock fand für den Vorfall klare Worte: "Mit dem ruchlosen Einsatz einer Flotte von rostigen Tankern umgeht Putin nicht nur die Sanktionen, sondern nimmt auch billigend in Kauf, dass der Tourismus an der Ostsee zum Erliegen kommt."

Seither sind die Tanker der russischen Schattenflotte im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch, weil ein anderes der Schiffe im Verdacht steht, Ende 2024 absichtlich das Unterseekabel Estlink 2 im Finnischen Meerbusen beschädigt zu haben. Militär, Nachrichtendienste und auch Politiker betrachten die Schiffe inzwischen als eklatantes Sicherheitsrisiko.

Viele Schiffe von westlichen Reedern

Nun zeigt eine internationale Recherche, an der in Deutschland Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) beteiligt waren: Das Problem der russischen Schattenflotte ist offenbar zu einem guten Teil hausgemacht. So zeigt eine umfassende Datenauswertung, dass 230 Tanker der insgesamt mehr als 650 Schiffe von US-amerikanischen und von europäischen Reedern in die Schattenflotte verkauft wurden - offenbar zu sehr hohen Preisen. Dies entspricht etwa einem Drittel aller Schiffe, die der ukrainische Think Tank Kyiv School of Economics Institute der russischen Schattenflotte zurechnet.

Alle Schiffe wurden nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verkauft - und damit zu einem Zeitpunkt, als die Preise für gebrauchte Tankschiffe sich im Vergleich zum Vorkriegsjahr teilweise verdoppelt hatten. Den Recherchen zufolge verdienten auch mehrere deutsche Reedereien und Schiffseigner an den umstrittenen Geschäften.

Insgesamt wurden den Recherchen nach zwischen 2022 und 2024 elf Tanker aus der deutschen Handelsflotte verkauft, die heute in der russischen Schattenflotte fahren. Die Reeder und Eigner der Schiffe dürften mit den Geschäften etwa 200 Millionen Euro eingenommen haben.

Verkauf der Tanker nicht illegal

Die Nachfrage nach alten Tankern stieg nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rasant an und ließ den Markt für alte in die Jahre gekommene Tanker heiß laufen. Michelle Bockmann vom Branchendienst Lloyds List Intelligence geht davon aus, dass allen Verkäufern klar gewesen sein muss, wohin ihre Schiffe letztlich gingen. Der Verkauf der Tanker in die Schattenflotte ist nicht illegal.

In Deutschland gingen den Recherchen nach unter anderem Schiffe aus der Flotte der beiden Traditionshäuser Schulte, der Chemikalien Seetransporte GmbH aus Hamburg und der Reederei Salamon AG aus Dortmund in die Schattenflotte. Die Reedereien haben die Schiffe zu diesem Zeitpunkt gemanagt und waren Miteigentümer - gemeinsam mit Investorengesellschaften.

Der Rohöltanker "Cup" aus der Flotte der Salamon AG ging den Recherchen zufolge im April 2022 an eine türkische Firma. Einige Monate später, im Juni 2022 verkaufte die Hamburger Schulte-Gruppe - gemeinsam mit den Miteignern des Schiffes - den Rohöltanker "Angelica Schulte" an eine Firma aus Hongkong. Beide Schiffe wurden zweieinhalb Jahre nach dem Verkauf von den USA auf eine Sanktionsliste gesetzt, weil sie Teil der russischen Schattenflotte sein sollen.

Reedereien verteidigen Verkauf

Beide Reedereien erklärten, dass die Verkaufsverhandlungen für die Schiffe bereits vor dem Krieg begonnen hätten, und dass die Überprüfung der Käuferseite keine Auffälligkeiten gezeigt habe. Die Salamon AG führte außerdem an, sie habe an eine griechische Firma, nicht an eine türkische Firma verkauft.

Die Chemikalien Seetransport GmbH gehört zu der Hamburger Reederfamilie Krämer. Das Unternehmen ist nicht zuletzt für sein gemeinnütziges Engagement bekannt. Den Recherchen zufolge gingen gleich fünf Schiffe der Krämer-Flotte in die russische Schattenflotte. Die Chemikalien Seetransport GmbH managte die Schiffe und war auch finanziell an ihnen beteiligt.

Auffällig ist, dass vier der Tankschiffe erst nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Teil der Krämer-Flotte wurden, um dann nach kurzer Haltedauer wieder verkauft zu werden. So wurde beispielsweise das Tankschiff "Chemtrans Carolina" im Oktober 2022 Teil der Krämer-Flotte. Mehrheitseigner des Schiffes war zu diesem Zeitpunkt eine norwegische Investmentgesellschaft. Reeder Christian Krämer war einer der Geschäftsführer.

Im Januar 2024 wurde das Schiff dann an ein chinesisches Unternehmen verkauft, das laut öffentlich einsehbarer Unterlagen erst zwei Monate zuvor gegründet worden war. Bis heute besitzt das chinesische Unternehmen offenbar lediglich ein Schiff, nämlich den ehemaligen Krämer-Tanker, der heute "Sino Prosperity" heißt und vor allem russische Häfen ansteuert.

Reederverband: "Besorgniserregende Entwicklung"

Nach Ansicht von Experten von Lloyds List Intelligence sind dies gleich mehrere Warnsignale, die schon damals darauf hingedeutet haben, dass der Tanker nach dem Verkauf als Teil russischen Schattenflotte fahren könnte. Heute kategorisiert Lloyds List die "Sino Prosperity" als Teil der russischen Schattenflotte.

Die Reederei Chemikalien Seetransport wollte nicht auf die Frage antworten, ob man bereits beim Erwerb der Schiffe auf steigende Preise in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine spekulierte. Vom Unternehmen hieß es, dass alle Käufer zuvor geprüft worden seien, es hätten sich allerdings "keine Auffälligkeiten" gezeigt.

Insgesamt lege man Wert darauf, dass die Chemikalien Seetransport Reederei "ihre weltweiten Aktivitäten zu jeder Zeit im Einklang mit internationalen Gesetzen und Vorschriften durchgeführt hat, durchführt und auch weiterhin durchführen wird."

Der Verband deutscher Reeder (VDR) erklärte, dass ehemalige Schiffe der deutschen Handelsflotte inzwischen Teil der Schattenflotte seien, sei "eine besorgniserregende Entwicklung". Gerade auch im Kontext geopolitischer Spannungen müssten Schiffsverkäufe verantwortungsvoll gestaltet werden. Der Verband erkenne an, dass "wirtschaftlicher Gewinn im Falle eines Verkaufs von Tankern nicht auf Kosten von Sicherheit, Compliance oder ethischen Grundsätzen erzielt werden" soll.

EU-Bestimmungen sind vage

Die deutlichen Worte des VDR können dabei auch als Mahnung für künftige Verkäufe angesehen werden. Derzeit sind 89 Tankschiffe Teil der deutschen Handelsflotte, die 15 Jahre und älter sind. Dies geht aus Daten des Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) hervor. In diesem Alter werden Tanker häufig abverkauft. Seit Dezember 2023 besteht zwar europaweit eine Meldepflicht für den Verkauf von Tankschiffen an Drittländer. Zudem ist ein Verkauf von Tankern nach Russland oder zur Verwendung in Russland seither untersagt. Doch die Bestimmungen der EU sind vage.

Aus Regierungskreisen heißt es, dass das Sanktionsregime gegen Russland "regelmäßig überprüft und wenn nötig angepasst" werde. So sei derzeit beispielsweise die direkte Sanktionierung weiterer Tankschiffe in Vorbereitung.


Mehr zum Rechercheprojekt "Shadow Fleet Secrects" heute um 21:15 Uhr bei Panorama 3 im NDR Fernsehen und in der ARD Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Februar 2025 um 08:47 Uhr.