Nancy Faeser

Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan Faeser will Finanzierung um fast 90 Prozent kürzen

Stand: 17.07.2024 16:21 Uhr

Die Bundesregierung wollte einst mit dem Bundesaufnahmeprogramm von den Taliban verfolgte Afghaninnen und Afghanen retten. Nun plant Bundesinnenministerin Faeser, die Finanzierung fast gänzlich zu streichen.

Von Andrea Brack Peña und Armin Ghassim, NDR

Bundesinnenministerin Faeser will die Mittel für Aufnahme- und Resettlementprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm im kommenden Jahr um fast 90 Prozent kürzen. Das geht aus dem Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums vor, der dem ARD-Magazin Panorama vorliegt. Der Entwurf soll heute im Zuge der Haushaltsberatungen im Bundestag vorgestellt werden.

Mit dem Bundesaufnahmeprogramm sollten seit Oktober 2022 monatlich bis zu 1000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgenommen werden. Dies war ein Versprechen an diejenigen, die sich gemeinsam mit Deutschland und den westlichen Verbündeten für die Demokratie in Afghanistan eingesetzt hatten. "Wir handeln und erfüllen unsere humanitäre Verantwortung", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Start des Programms. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ die Grünen) ergänzte damals: "Ihnen wollen wir ein Stück Hoffnung zurückgeben und die Chance auf ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Sicherheit".

533 Personen eingereist

Bisher hätten also 20.000 Personen aufgenommen werden sollen. Tatsächlich sind erst 533, also weniger als drei Prozent, nach Deutschland eingereist. Das liege laut Bundesinnenministerium (BMI) auch daran, dass die Sicherheitsmaßnahmen seit dem Start des Programms noch einmal deutlich erhöht wurden. Bundesinnenministerin Faeser erklärte gegenüber Panorama: "Über das Bundesaufnahmeprogramm speziell sind nicht so viele gekommen wie gedacht. Da geht es aber auch darum, dass nach der Sicherheitsüberprüfung entschieden wird. Ich verantworte die Sicherheitslage in Deutschland, das ist natürlich prioritär weiterhin."

Konkret zur Finanzierung und dazu, welche Bereiche betroffen wären, äußerte sich das BMI auf Nachfrage in der heutigen Regierungspressekonferenz nicht und ließ die Zukunft des Programms offen: "Inwiefern wir das weiter finanzieren können, ist offen und Gegenstand von Beratungen mit dem Auswärtigen Amt", sagt ein Sprecher.

Etwas anders klingt es aus dem Auswärtigen Amt. So beteuert ein Sprecher, es sei bisher keine Entscheidung getroffen worden, das Programm kurzfristig zu beenden. 

Kritik von zivilgesellschaftlichen Organisationen

Das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt kooperieren mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Koordination der Aufnahmen. Diese haben sich nun mit einem Brandbrief an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern die Fortführung der Finanzierung. Sollten die Mittel gekürzt werden, bedeute dies "das Ende" des Bundesaufnahmeprogramms, kritisieren sie. "Dies wäre fatal und ein voreiliges Ende eines elementaren Menschenrechtsprogramms", heißt es in dem Schreiben, das Panorama vorliegt. Zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unterschrieben haben, gehören etwa Amnesty International, Kabul Luftbrücke und der Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD).

Insbesondere die Zustände in Pakistans Hauptstadt Islamabad würden sich danach durch die Kürzungen dramatisch verschlimmern. Gefährdete Afghaninnen und Afghanen durchlaufen bisher in der deutschen Botschaft dort das Aufnahmeverfahren mit anschließender Sicherheitsüberprüfung. Aktuell halten sich dort mehr als 3.700 Personen auf, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben. Weitere rund 15.000 Menschen, die sich zum großen Teil noch in Afghanistan befinden, wurden von der Bundesregierung als schutzbedürftig anerkannt und kontaktiert - und warten auf Rückmeldung zum Aufnahmeverfahren. Gerade diese Menschen wären von den Kürzungen besonders betroffen, betonen die NGOs.

"Wir haben unser Schutzversprechen gebrochen"

Die Hamburgerin Elaha Hakim von der Nichtregierungsorganisation "Kabul Luftbrücke" unterstützt in Pakistan und Afghanistan mehrere Hundert als gefährdet anerkannte Menschen, besonders allein reisende Frauen mit Kindern. Sie sieht das Vorgehen der Bundesinnenministerin als sicherheitsgefährdend an.

"Sollten die Finanzierungen ausbleiben, würden die Menschen in Pakistan und Afghanistan ihrem Schicksal überlassen. Ich kenne Familien, denen eine Aufnahme versprochen wurde, die alles verkauft und aufgegeben haben, um nach Deutschland zu kommen. Jetzt sind sie in Pakistan besonders durch Abschiebung zurück zu den Taliban bedroht. Wir haben unser Schutzversprechen gebrochen", sagt Hakim.



Auch innerhalb der SPD sieht man es teilweise anders als die Bundesinnenministerin. "Das Programm sollte nicht so drastisch gekürzt werden", sagt der SPD-Abgeordnete und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu Afghanistan, Ralf Stegner. Auch andere in der SPD sähen es so. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen", betont er. Der Entwurf müsse vom Bundestag noch abgesegnet werden, die Abgeordneten könnten Änderungsanträge einreichen, so Stegner. Er kündigt an: "Es muss und es wird Änderungen geben."

Das parlamentarische Verfahren beginnt im Herbst. Bis dahin sollen den Parlamentariern genaue Informationen vorliegen und Änderungsanträge eingereicht werden können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Panorama" im Ersten am 04. Juli 2024 um 21:45 Uhr.