Geld von Wohnungseigentümern Fragwürdige Geschäfte mit Millionen-Rücklagen
Wohnungseigentümer in Deutschland vertrauen Hausverwaltern Milliarden Euro an. Ein Unternehmensnetzwerk steckte mehr als 30 Millionen Euro in offenbar riskante Anleihen - teils ohne das Wissen der Eigentümer. Das zeigen Recherchen von BR und hr.
Es war ein böses Erwachen, als Günter Hormann Anfang 2022 auf das Konto seiner Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) Heidering in Hannover schaute. Der 83-Jährige musste feststellen, dass der ehemalige Hausverwalter rund 180.000 Euro von dem WEG-Gemeinschaftskonto abgebucht hatte. Die WEG benötigt das Geld dringend für die Instandhaltung des mehr als 100 Eigentumswohnungen umfassenden Häuserblocks. Die in die Jahre gekommenen Aufzüge müssen demnächst erneuert werden.
Das Geld floss vom früheren Hausverwalter, der Consigma München GmbH, an die DR Deutsche Rücklagen GmbH. Die investiert nach eigenen Angaben WEG-Gelder in Anleihen zur Finanzierung von Bauprojekten und Immobilien. Wo genau das Geld steckt, wusste Hormann lange Zeit nicht.
Rücklagen von Eigentümern stehen unter besonderem Schutz
Der Gesetzgeber will riskante Geschäfte mit Rücklagen von Wohnungseigentümern verhindern. Sie sollen "mündelsicher" angelegt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass den WEG ihr Erspartes für die Instandhaltung ihrer Immobilien erhalten bleibt. Es geht dabei um viel Geld. Der Verband Wohnen im Eigentum schätzt, dass Hausverwalter bundesweit rund 72 Milliarden Euro treuhänderisch verwalten.
Die Deutsche Rücklagen hat nach eigenen Angaben mehr als 30 Millionen Euro WEG-Gelder in Anleihen investiert. Nach Recherchen von BR und hr spielt dabei die Consigma-Gruppe eine Rolle: Sie hat ihren Sitz in Wiesbaden und seit 2017 zahlreiche Hausverwaltungen in Deutschland aufgekauft. Laut den Recherchen sind die Deutsche Rücklagen und die Consigma-Gruppe personell und organisatorisch miteinander verbunden. Im Zentrum stehen die Hausverwaltungen der Consigma-Gruppe.
Hausverwalter investieren WEG-Gelder in Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH, die bis Mitte November in München registriert ist. Von dort fließen die Gelder über einen Treuhänder an Projektgesellschaften, die damit Bauprojekte und Immobilien finanzieren sollen. Ein hochrangiger Consigma-Manager wirbt 2021 mehrfach bei WEG für die Anleihen. Auf Anfrage schreibt er, dies sei nicht korrekt. BR und hr liegen Werbeschreiben mit der Unterschrift genau dieses Managers vor. Auf erste Anfragen hin antworten Verantwortliche der Deutsche Rücklagen und der Consigma-Gruppe zwar, wollen aber nicht, dass BR und hr ihre Namen nennen.
Nach Widerspruch gab es Geld zurück
Auch in Bayern buchte die Consigma München bei einer WEG kurz vor einem Wechsel des Verwalters eine sechsstellige Summe ab – ohne Zustimmung aller Eigentümer. Auch dieses Geld wurde zur Anleihe bei der Deutsche Rücklagen. Nach Widerspruch durch den neuen Verwalter hat die WEG inzwischen ihr Geld zurück. Und es gibt Hinweise, dass weitere WEG in Bayern und Baden-Württemberg betroffen waren.
Die Deutsche Rücklagen biete Hausverwaltungen die Möglichkeit, "für ihre WEG-Kunden Rücklagengelder gesetzeskonform anzulegen", heißt es schriftlich von ihr. Das ursprünglich exklusiv für Consigma-Kunden gedachte Angebot werde mittlerweile "auch von anderen Hausverwaltungen" genutzt.
Deutsche Rücklagen fällt durch Unstimmigkeiten auf
Im Laufe der Recherchen verändert die Deutsche Rücklagen ihre Homepage: Zunächst heißt es, sie sei 2021 gegründet worden, nun steht dort 2014. Auch Angaben zu Anleihen werden verändert. Laut Impressum und Handelsregistereintrag sitzt die Deutsche Rücklagen Anfang November in München. Vor Ort stoßen Reporter von BR und hr lediglich auf einen Briefkasten, auf dem insgesamt neun Firmen stehen. Das Schild der Deutsche Rücklagen ist mit Tesafilm aufgeklebt.
Die Deutsche Rücklagen ist verzogen: Wenige Tage später ist sie in Tauberbischofsheim registriert, als Untermieter einer Tochterfirma der Volksbank Main-Tauber. Die Bank führt Depots für Anleihen der Deutsche Rücklagen. Die Bank verweist auf das Bankgeheimnis und will sich nicht äußern.
Anlegerschützer ist alarmiert
Daniel Bauer ist Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Er schätzt die Anleihe als Risikopapier ein. Dass die WEG Heidering in Hannover nicht über die Anleihe informiert wurde, hält er für alarmierend. Auch dass das Geld der Finanzierung von Bauprojekten dienen soll, hält er für schwierig. Zumal die Baubranche aufgrund gestiegener Energiepreise und höherer Zinsen derzeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Als heikel bewertet Bauer auch den Aufbau des Unternehmensnetzwerks: Die Verbindungen zwischen den Hausverwaltungen der Consigma-Gruppe, dem Anleihengeschäft der Deutsche Rücklagen und den Projektiergesellschaften sehen für ihn nach einem System aus, um Gelder von Wohnungseigentümern "abzugreifen": "Aus meiner Sicht müsste sich das die Staatsanwaltschaft mal anschauen."
Auf Anfragen schreiben Manager des Netzwerks, das Geschäftsmodell sei juristisch überprüft. Es bestünden keine Interessenskonflikte und unfreiwillige Anleger gebe es nicht.
Günter Hormann und seine WEG in Hannover haben ihr Geld im Oktober zurückgefordert. Von der Deutsche Rücklagen heißt es, es dauere in der Regel fünf Werktage. Doch das Warten hat für die Eigentümer erst nach rund vier Wochen ein Ende. Als BR und hr zum konkreten Fall nachfragen, gibt es von verantwortlichen Managern der Consigma-Gruppe und der Deutsche Rücklagen keine Antwort. Kurz danach hat die WEG in Hannover ihr Geld zurück.
Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde am 15.1.2024 aktualisiert. In der ursprünglichen Fassung hieß es, die Consigma München GmbH habe ohne Wissen der WEG Heidering 180.000 Euro in Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH investiert. Tatsächlich hatte die Consigma München GmbH drei Beiräten der WEG in einer E-Mail angekündigt, das Geld transferieren zu wollen. Dass das Geld dort tatsächlich angelegt wurde, erfuhren die Beiräte nach eigenen Angaben erst bei einer Belegprüfung nach dem Verwalterwechsel im Frühjahr 2022. Zugestimmt haben sie der Transaktion demnach nie.