Steuerskandal Cum-Ex-Kronzeuge attackiert Staatsanwaltschaft
Den Auftakt zum Strafprozess gegen Kai-Uwe Steck nutzte seine Verteidigung für eine Abrechnung. Die Staatsanwaltschaft habe Steck "schäbig" behandelt, falsche Hoffnungen geweckt - ein Widerspruch zu früheren Aussagen.
Als Kai-Uwe Steck im Saal S 0.11 des Landgerichts Bonn erscheint, betritt er bekanntes Terrain. Der Kronzeuge im Cum-Ex-Skandal hat hier in mehreren Gerichtsprozessen ausgesagt. Dutzende Stunden lang hat er mit seinen Aussagen frühere Geschäftspartner belastet - und teils mit dazu beigetragen, dass diese für lange Zeit hinter Gittern mussten.
Seit dem heutigen Vormittag findet sich der Rechtsanwalt nun selbst auf der Anklagebank wieder. Dieses Mal geht es um die Frage, ob auch Steck wegen seiner maßgeblichen Beteiligung am größten deutschen Steuerskandal ins Gefängnis muss.
Laut Anklage zweistelligen Millionenbetrag hinterzogen
Steck erscheint im grauen Anzug, hellblaues Hemd, keine Krawatte. Vor Prozessbeginn schnauft er tief durch, als die Staatsanwaltschaft Köln in den folgenden drei Stunden die Anklage verliest. Die Strafverfolger werfen dem 53-Jährigen besonders schwere Steuerhinterziehung in acht Fällen vor. Zwischen 2007 und 2015 sollen sich Steck und weitere Akteure mit Cum-Ex-Geschäften Steuern erstatten lassen haben, die nie jemand gezahlt hat.
Allein die Steck zur Last gelegten Cum-Ex-Geschäfte sollen die Staatskasse um 428 Millionen Euro gebracht haben. Steck selbst soll sich laut Staatsanwaltschaft 28 Millionen Euro in die eigene Tasche gesteckt haben - Millionensummen, die in der Staatskasse fehlen. Steck hat die Taten gestanden und angekündigt, auch in diesem Prozess sein Geständnis zu wiederholen.
Schwere Vorwürfe der Verteidiger
Doch um 15.34 Uhr geht Stecks Strafverteidiger Gerhard Strate in die Offensive. Der Auftakt gerät zur Abrechnung. Die Staatsanwaltschaft Köln habe sich Steck gegenüber "schäbig" verhalten, ihn "vor den Bus geschubst". Konkret hätte die damalige Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker dem Geständigen im Frühjahr 2017 "die Einstellung des Verfahrens in absehbarer Zeit" in Aussicht gestellt.
Die damaligen Verteidiger hätten daraufhin sogar schon auf Sonderhonorare gehofft. Doch dazu gekommen war es letztlich nicht. Einen Beweis für die konkrete Zusage blieb die Verteidigung allerdings bislang schuldig. "Statt ihm ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewähren, wurde er zum Spielball taktischer Überlegungen der Anklagebehörde", sagte Strate in seinem "Opening Statement".
Ankläger weisen Behauptungen zurück
Die Staatsanwaltschaft Köln widersprach gemäß einem Vermerk dieser Darstellung, den der Richter vorgelesen hat. Und auch Steck selbst hatte in der Vergangenheit als Zeuge in anderen Cum-Ex-Verfahren die Frage, ob es Absprachen mit der Staatsanwaltschaft gegeben habe, verneint.
Zum Auftakt des Strafverfahrens ist damit ein Zeichen gesetzt. In Saal S 0.11 wird es wohl nicht nur harmonisch zugehen in den kommenden Monaten. 24 Verhandlungstage hat die zwölfte große Staatskammer für den Prozess angesetzt. Der Ausgang des Verfahrens gilt auch für weitere Fälle als wegweisend.
Zahlreiche weitere Verfahren anhängig
Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln in Sachen Cum-Ex gegen rund 1700 weitere Beschuldigte. In zahlreichen Bankentürmen dürfte das Verfahren mit Interesse beobachtet werden: Darf der geständige Steck auf eine Kronzeugenregelung nach Paragraf 46b des Strafgesetzbuches hoffen - und damit auf eine milde Strafe?
Um seine Reue zu bekunden, hatte Steck bereits in einem früheren Verfahren angekündigt, die Beute zurückzahlen zu wollen. So sagte er 2022 vor Gericht: "Ich habe 50 Millionen Euro verdient, ich bin leistungsfähig und leistungsbereit, diese zurückzuzahlen." Wenige Wochen später, am 6. Dezember 2022, kündigten Stecks damaligen Verteidiger dann auch Stecks Bereitschaft an, einen ersten Betrag in Höhe von 13,7 Millionen Euro zu begleichen.
Zweifel an tätiger Reue
Nur, das Geld ist offenbar bis heute noch nicht in Gänze geflossen. Laut Richter Sebastian Hausen hat Steck bislang lediglich elf Millionen Euro seiner Schuld beglichen. Stecks Strafverteidiger, Gerhart Strate, äußerte sich auf Anfrage hierzu nicht.
Die Posse um die Cum-Ex-Beute dürfte Wasser auf die Mühlen von Stecks Kritikern sein. Mit seinen Aussagen hat sich der Kronzeuge nicht nur Freunde gemacht. So verlangen an Cum-Ex beteiligte Banken und Finanzfirmen nach früheren Angaben des Angeklagten rund eine Milliarde Euro Schadensersatz von Steck. Weitere Cum-Ex-Akteure bezichtigen ihn der Falschaussage.
Privatbankier Christian Olearius, dessen Cum-Ex-Prozess wegen gesundheitlicher Probleme unlängst eingestellt worden war, erstattete Strafanzeige gegen Steck. Die Staatsanwaltschaft Bonn sah jedoch keinen Anfangsverdacht. Stecks Anwälte ließen eine Anfrage zu den Vorwürfen unbeantwortet.
Vom "Ziehsohn" zum Gegner
Und auch ein weiterer Mann haderte sichtbar mit Stecks Aussagen: "Mr. Cum-Ex" Hanno Berger. Untrennbar ist Stecks mutmaßlich kriminelle Karriere mit der des Steueranwalts verbunden.
Anfang der 2000er-Jahre lernte der damalige Jungjurist Steck den Staranwalt Hanno Berger bei einer US-Kanzlei kennen. Es folgten weitere gemeinsame Stationen, bis sie schließlich die Frankfurter Kanzlei "Berger, Steck und Kollegen" gründeten. Eines ihrer Spezialgebiete: Cum-Ex.
Arbeitsteilung in der Kanzlei
Um die Milliardendeals gemeinsam mit Investmentbankern und Aktienhändlern aufzusetzen, bespielten sie die juristische Klaviatur vierhändig. Der eine, Berger, war im Steuerrecht eine Koryphäe. Sein jüngerer Kollege, Steck, indes brachte seine Expertise im Investmentsteuerrecht ein - und setzte eigenen Aussagen zufolge komplexe Fondsstrukturen auf. Vorbei an ihren Kanzleikollegen vereinnahmten die beiden Anwälte Millionengewinne und teilten 50:50. Vielen galt Steck als Bergers "Ziehsohn".
Erste Risse erfuhr die Zusammenarbeit, so schilderte es Steck später, 2012, als Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt die Kanzlei durchsuchten. Berger setzte sich daraufhin in die Schweiz ab. 2014 heftete sich zudem die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker mit einer weiteren Razzia an ihre Fersen. Zunächst hielten die Cum-Ex-Beschuldigten wie eine "Phalanx" zusammen.
Aussage gegen Ex-Partner
Doch Steck scherte aus, erschien am 7. November 2016 beim Landeskriminalamt in Düsseldorf - und sagte aus. Es folgten zahlreiche Vernehmungen, über zwei Jahre hinweg. Zudem überzeugte Steck auch weitere Akteure, vor der Staatsanwaltschaft auszupacken. Schließlich sagte Steck auch als Zeuge vor dem Landgericht Bonn aus.
Mit seiner Aussage belastete er auch seinen einstigen Mentor Hanno Berger. Das Urteil gegen Berger von acht Jahren Gefängnis ist inzwischen rechtskräftig. Der ehemalige Generalbevollmächtigte der Hamburger Warburg Bank musste für fünfeinhalb Jahre hinter Gitter, ein Londoner Investmentbanker wurde zu viereinhalb Jahren verurteilt.
Überraschender Wechsel der Verteidiger
Acht Jahre lang war Steck den Weg des Kronzeugen gemeinsam mit seinen Strafverteidigern Alfred Dierlamm und Tido Park gegangen, bevor er sich vor wenigen Wochen überraschend von ihnen trennte und nun vom Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate vertreten wird.
Die Hintergründe dieses Wechsels und die Frage, ob der Angeklagte seine Strategie ändern wird, werden die kommenden Wochen im Landgericht Bonn zeigen. Die ersten Duftmarken sind gesetzt.