NATO-Gipfel Die Allianz hat ein Führungsproblem
Die NATO kann sich keinen Oberbefehlshaber leisten, der nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Joe Biden hat den Zeitpunkt für einen würdevollen Abschied verpasst. Auch die Europäer gaben beim Gipfel kein Glanzbild ab.
So richtige Feierstimmung kam beim Jubiläumsgipfel in Washington nicht auf. Das liegt am Führungspersonal der Allianz, an der Spitze Joe Biden. Drei lange Gipfeltage ging es um seine geistige Fitness. Rätselraten war die Beschäftigung von Diplomaten und Journalisten, Rätselraten, ob er die Treppenstufen wohl allein schaffen werde und wann sein nächster Blackout vor dem Mikrofon kommt.
Der kam. Biden wollte den ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit großem Tamtam ankündigen, hatte aber gerade seinen Namen nicht parat. Was vielleicht noch verzeihlich wäre. Aber dann sprach er Selenskyj als Wladimir Putin an. Ja, wirklich. Biden sagte Putin zum Präsidenten des Landes, das seit mehr als zwei Jahren von Putin bombardiert wird.
Und das ist eben nicht mehr verzeihlich. Die NATO kann sich keinen Oberbefehlshaber leisten, der nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Biden hat den richtigen Zeitpunkt für einen würdevollen Abschied verpasst, er gefährdet damit sein eigenes Vermächtnis.
In Erinnerung werden nicht seine transatlantischen Verdienste bleiben, in Erinnerung wird sein Altersstarrsinn bleiben.
Auch die Europäer glänzen nicht
Das alles ist nicht nur eine persönliche Tragödie, es ist auch ein politisches Desaster. Weil Europas Sicherheit auch vom Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl abhängt. Wenn die zugunsten von Donald Trump ausgeht, dann können die Europäer sich nicht mehr darauf verlassen, dass Washington schon helfen wird, wenn Putin seine Panzer in Bewegung setzt.
Leider haben aber auch die Europäer beim Gipfel in Washington kein Glanzbild abgegeben. Emmanuel Macron, Giorgia Meloni und Pedro Sánchez - die Spitzen von Frankreich, Italien und Spanien pflegen den schönen Schein längst vergangener nationaler Größe.
Aber wenn es um Hilfe für die Ukraine geht und um konkrete Maßnahmen gegen die russische Expansion, dann halten sie sich vornehm zurück.
Eine gute Nachricht vom Gipfel
Es gibt aber auch eine gute Nachricht vom Washingtoner Gipfel: Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte sich bereit, in dieser schwierigen Situation Führung zu übernehmen. Erstaunlich genug, aber Scholz sagte das gestern ganz offen und für seine Verhältnisse auch ungewöhnlich klar und deutlich.
Der Kanzler ließ ebenso durchblicken, um welche Ziele es ihm dabei geht. An erster Stelle die Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO - das ist wichtig und nötig. Und an zweiter Stelle eine gerechtere Lastenverteilung unter den Europäern. Deutschland kann das nicht allein schultern, da hat Scholz Recht.
Alle müssen ihren Beitrag zur Sicherheit des Kontinents leisten, am besten gemäß ihrer Wirtschaftskraft. Das funktioniert ganz gut in der EU, warum eigentlich nicht auch in der NATO?
Es fällt ja schwer, Donald Trump Recht zu geben, aber er hat eine richtige Frage gestellt: Warum sollen amerikanische Steuerzahler mehr für Europas Sicherheit ausgeben, als europäische Steuerzahler?
Es gibt keinen Grund dafür. Und weil die Kosten für Europas Sicherheit in den nächsten Jahren noch dramatisch steigen, wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass die Lasten gerecht verteilt sind. Auf alle Länder der Europäischen Union, egal, wie weit sie von der russischen Grenze entfernt sind.