Tarifverhandlungen Wie die IG Metall mit ihrer Lohnforderung dasteht
Die Gewerkschaft IG Metall fordert offiziell sieben Prozent mehr Lohn für die 4,6 Millionen Beschäftigten der Branche. Wie ist die Höhe einzuordnen und wie sieht es in anderen Industriezweigen aus?
Der Vorstand der IG Metall hat die intern schon lange abgestimmte Forderung für die kommende Tarifrunde in Essen offiziell erhoben: die Industriegewerkschaft will sieben Prozent mehr für Angestellte. "Unsere Forderung wird der Lage von Beschäftigten und Unternehmen gerecht und ist dringend geboten", sagte die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner. "Die Inflationsrate mag sinken, aber dennoch bleiben für die Menschen die Preise an der Kasse weiter hoch."
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall erinnerte daran, dass Unternehmen und auch die IG Metall einen Abbau der Industrie in Deutschland befürchteten. "Und dann stellt die IG Metall eine der höchsten Entgeltforderungen der jüngeren Vergangenheit auf", sagte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf in Berlin. Es seien Anstrengungen von Politik, Unternehmen und Gewerkschaft nötig, um die De-Industrialisierung aufzuhalten. "Die Arbeitskosten in dem Ausmaß, wie sich die IG Metall das vorstellt, weiter nach oben zu treiben, würde das Gegenteil davon bedeuten."
Wie viele Beschäftigte sind betroffen?
Die deutsche Metall- und Elektroindustrie ist mit 4,6 Millionen Beschäftigten die mit Abstand größte Industriebranche. Der zu verhandelnde sogenannte "Flächentarifvertrag" betrifft mit theoretisch 3,9 Millionen Beschäftigten den Großteil der Branche.
Diese Zahl ist theoretisch, weil nicht alle Unternehmen tarifgebunden sind. Zudem schließen einige Arbeitgeber sogenannte Haustarifverträge ab. Doch sowohl die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber als auch die Unternehmen mit Haustarifen orientieren sich am Flächentarifvertrag.
Wie steht es in anderen Branchen?
In den vergangenen Monaten haben mehrere wichtige Branchen ihre Tarifverhandlungen beendet: Bauwirtschaft, Chemieindustrie und Einzelhandel. Oft werden Tarifabschlüsse verglichen, indem gestaffelte Lohnerhöhungen zusammengezählt und gegeneinander gestellt werden. Das führt zu keinen vernünftigen Ergebnissen. Zumindest muss die Laufzeit eines Tarifvertrages berücksichtigt werden. Es ist ein großer Unterschied, ob die Lohnerhöhung in einer bestimmter Höhe für ein Jahr oder für drei Jahre vereinbart wird.
Im ersten Fall wird nach einem Jahr neu verhandelt - mit neuen Lohnerhöhungen. Wenn ein Tarifvertrag dagegen lange läuft, gibt es lange keine Chance für Neuverhandlungen und mehr Geld. Nach gängiger Tarifpraxis werden üppig klingende Erhöhungen für die Arbeitgeberseite durch längere Laufzeit verdaulich gemacht.
Im Handel hatte die Gewerkschaft ver.di zunächst 15 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr verlangt. Abgeschlossen wurde schließlich für drei Jahre mit jährlichen Steigerungen von 5,1 Prozent, fünf Prozent und zwei Prozent.
Diese Werte zusammenzuzählen, wäre rechnerisch falsch. Denn schon die zweite Erhöhung geht von einer durch die erste Erhöhung größeren Basis aus. Die korrekte Erhöhung beträgt 12,6 Prozent - aber eben über mehrere Jahre verteilt.
Drei Jahre Laufzeit in der Baubranche
Auch in der Bauwirtschaft wurde ein dreijähriger Tarifvertrag abgeschlossen. Nach zwei Jahren sollen die Löhne in Ostdeutschland denen in Westdeutschland entsprechen. Bis dahin sind drei Steigerungen vorgesehen, die in Westdeutschland auf 9,6 Prozent mehr Geld hinauslaufen.
In der Chemieindustrie ist vorletzte Woche eine Tariflaufzeit von 20 Monaten vereinbart worden mit zwei Steigerungen, die 6,9 Prozent ergeben. Wenn man die jüngsten Tarifabschlüsse auf einheitliche Steigerungsraten zurückrechnet, ergeben sich Lohnsteigerungen zwischen drei und vier Prozent pro Jahr für die nächsten anderthalb bis drei Jahre.
Worauf es noch ankommt
Die IG Metall verlangt sieben Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von einem Jahr. "Mit unserer Forderung respektieren wir die unterschiedliche Lage der Unternehmen", erklärte Nadine Boguslawski, Tarifchefin der IG Metall. "Im Gegenzug erwarten wir Respekt der Arbeitgeber für die Lage und die Lebensrealität der Beschäftigten."
Neben der Laufzeit und den Prozentzahlen sind die Nebenleistungen wichtig. Mal werden einmalige Pauschalbeträge gezahlt, mal gibt es mehr freie Tage, mal bekommen Niedriglohngruppen besonders hohe Erhöhungen. Die Chemiegewerkschaft hat jüngst sogar einen Bonus für eingetragene Gewerkschaftsmitglieder ausgehandelt. Solche Nebenleistungen machen korrekte Vergleiche nahezu unmöglich.
Auch die IG Metall geht mit wichtigen Nebenforderungen in die Verhandlungen: 170 Euro mehr für Auszubildende etwa verlangt die Gewerkschaft. Die in der Branche seltenen niedrigen Einkommensgruppen sollen einen besonderen Zuschlag bekommen. Die Möglichkeiten, Gehalt gegen Freizeit zu tauschen, sollen erweitert werden.
Warum ist es so kompliziert?
Tarifverhandlungen sind knifflig. Einerseits sind die Verhältnisse und die Ansprüche in Branchen und Regionen verschieden. Andererseits ist die Wirtschaftslage der Branchen unterschiedlich. Dem Handel geht es schlecht, die Chemie kämpft mit Energiekosten und De-Karbonisierung.
Allgemein gilt allerdings: Derzeit mühen sich Arbeitgeber, Arbeitskräfte zu finden und zu halten. Das gibt Gewerkschaften auch in schwächelnden Branchen Macht. Arbeitgeber müssen Geld drauflegen, wenn sie ihre Leute halten wollen. Schließlich sind einfache Abschlüsse weder im Interesse von Gewerkschaften noch von Arbeitgeberverbänden.
Wenn die Ergebnisse etwas kryptisch und schwer vergleichbar sind, können Gewerkschaften mit den Teilen werben, die nah an ihrer ursprünglichen Forderung liegen. Arbeitgeberverbände können die Abschlüsse umgekehrt intern kleinrechnen und sie so ihren Mitgliedsunternehmen verkaufen.