Ein Hinweisschild mit Bundesadler und dem Schriftzug Bundesverfassungsgericht, aufgenommen vor dem Gericht.

Arbeitsrecht Verfassungsgericht stärkt die Tarifautonomie

Stand: 19.02.2025 16:34 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben. Es ging dabei um unterschiedliche Bezahlung von Nachtarbeit.

Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Urteile aufgehoben, die zuvor das Bundesarbeitsgericht gesprochen hatte. Sie befassten sich mit der Frage, wie Nachtarbeit bezahlt wird. In den konkreten Fällen ging es um Arbeitnehmer aus der Getränke- und Lebensmittelindustrie. In diesen Branchen fällt regelmäßig Nachtarbeit an, etwa weil Öfen oder Befüllungsanlagen rund um die Uhr bedient werden müssen.

Unterschiedliche Bezahlung für Nachtarbeit

Die Tarifverträge, die den Klagen zugrunde liegen, sehen vor, dass die Arbeitnehmer für ihre nächtliche Arbeit Zuschläge erhalten. Allerdings gibt es dabei Unterschiede in der Höhe: Schichtarbeiter, die regelmäßig und fest eingeplant nachts arbeiten, bekommen dafür nur 25 Prozent mehr Gehalt. Diejenigen aber, die ausnahmsweise und sporadisch nachts ran müssen, bekommen dafür laut Tarifvertrag 50 Prozent mehr Gehalt. So war es zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt aber sah in dieser Ungleichbehandlung einen Verstoß gegen das Grundgesetz und gab einer Klage von Schichtarbeitern gegen ihre Arbeitgeber auf mehr Geld statt. Die obersten Arbeitsrichter in Erfurt ordneten an: Auch Schichtarbeiter bekommen einen Zuschlag in Höhe von 50 Prozent. Denn es gebe keine ausreichenden Gründe dafür, zwischen ihnen und den anderen Arbeitern bei der Bezahlung zu unterscheiden, wenn beide nachts arbeiten.

Auch diejenigen, die nicht im festen Schichtdienst sind, hätten nämlich laut Tarifvertrag einen Anspruch darauf, dass ihre privaten Belange bei der Einteilung berücksichtigt würden. Der Unterschied zu den Schichtarbeitern, die ihre Nachtarbeit immer fest planen können, sei daher hier nicht so groß, dass man unterschiedlich bezahlen dürfe.

Tarifvereinbarung nur eingeschränkt überprüfbar

Das Bundesverfassungsgericht aber hat diese Urteile aus Erfurt nun aufgehoben und den Verfassungsbeschwerden der betroffenen Arbeitgeber stattgegeben. Der Grund: Wenn die Parteien des Tarifvertrags das so vereinbart hätten, sei das grundsätzlich zu akzeptieren. Denn die Tarifautonomie sei vom Grundgesetz geschützt. Sie besagt, dass die Tarifvertragsparteien Regelungen treffen können, ohne dass der Staat sich einmischt.

Gerichte dürften Tarifverträge zwar überprüfen, aber eben nur mit einem sehr eingeschränkten Maßstab. Lediglich wenn willkürlich gegen andere Grundrechte verstoßen werde, dürften sie einschreiten. Eine reine Willkür sei in der unterschiedlichen Bezahlung von Nachtarbeit aber nicht ersichtlich gewesen. In den konkreten Fällen stünden den Schichtarbeitern - anders als ihren Kollegen - etwa bezahlte Pausen oder Schichtfreizeiten zu. Es mache auch im sozialen Umfeld einen Unterschied, ob man sich als Schichtarbeiter auf nächtliche Arbeit einstellen könne oder eher kurzfristig und unregelmäßig damit konfrontiert werde. Das alles könne durchaus eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen.

Bundesarbeitsgericht muss erneut prüfen

Außerdem hätte das Bundesarbeitsgericht auch nicht einfach selbst die Höhe der Zuschläge anpassen dürfen. Selbst in Fällen, in denen eine rechtswidrige Ungleichbehandlung vorliege, sei es zunächst Sache der Tarifvertragsparteien, diese zu korrigieren. Dass das Bundesarbeitsgericht also selbst eine Anpassung nach oben für die Vergütung der Schichtarbeiter vorgenommen hat, sei ein weiterer Grund, die Urteile aufzuheben. Nun muss das BAG die beiden Fälle noch mal prüfen - mit dem eingeschränkten Maßstab, den das Verfassungsgericht heute unterstrichen hat.

Die Entscheidung aus Karlsruhe hat weitreichende Bedeutung, denn tariflich vereinbarte unterschiedliche Bezahlung für vergleichbare Arbeit gibt es häufig. Viele Fälle speziell zur Vergütung von Nachtarbeit liegen schon bei den Gerichten. Alleine am Bundesarbeitsgericht sind es derzeit etwa 400. In den unteren Instanzen sollen es rund 4.000 sein.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zeigte sich überrascht von der Entscheidung aus Karlsruhe und spricht von einer "Kehrtwende" des Bundesverfassungsgerichts im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung des BAG.

Az. 1 BvR 1109/21 und 1 BvR 1422/23

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 19. Februar 2025 um 15:13 Uhr.