Bauarbeiten zwischen Berlin und Hamburg Wichtige ICE-Strecke monatelang gesperrt
Nirgendwo pendeln mehr Menschen zwischen zwei deutschen Städten: Fast 30.000 Reisende nutzen täglich die Bahn zwischen Berlin und Hamburg. Ab heute Abend müssen Züge vier Monate lang einen Umweg fahren.
Stefan Hoch ist ein Mensch, dem das Lachen nicht so schnell vergeht. Doch bei dem, was auf Pendlerinnen und Pendler wie ihn und seine Frau in den nächsten zwei Jahren zukommt, friert selbst ihm das Lächeln ein. Er wird täglich bis zu anderthalb Stunden länger brauchen, rechnet er für seinen Arbeitsweg zwischen Wittenberge in Brandenburg und Berlin aus: "Die Zeit schenkt einem keiner zurück. Meine Arbeitstage werden länger. Und abends, wenn ich um 19 Uhr zu Hause bin, geht das auf die Freizeit."
Stefan Hoch ist einer von fast 30.000 Menschen, die täglich die Fernzüge zwischen Hamburg und Berlin nutzen. Nirgendwo pendeln mehr Menschen zwischen zwei Städten in Deutschland.
Ab heute Abend um 22 Uhr wird für vier Monate auf der Strecke gebaut - bis zum Fahrplanwechsel am 14. Dezember. Und ab August 2025 kommen noch einmal neun Monate Generalsanierung auf der Strecke hinzu.
74 Kilometer Gleisarbeiten
Warum nicht beides gebündelt auf einmal? Man habe schlicht keine Zeit mehr, räumt Bahnsprecher Achim Stauß ein. 74 Kilometer Gleise und 100 Weichen müssen unbedingt jetzt instandgesetzt werden. Ein Eingriff, der nicht aufgeschoben werden kann und sich in die lange Krankenakte der rund 290 Kilometer langen Trasse einreiht.
Nach Abschluss einer großen Gleissanierung 2004 mussten bereits im Jahr 2009 erneut 260.000 Bahnschwellen ausgetauscht werden, weil der Beton brüchig geworden war. 2021 kam es dann erneut zu drei Monaten Streckenunterbrechungen.
Statt über Wittenberge fahren die Züge zwischen Berlin und Hamburg in den kommenden Monaten über die Ausweichstrecke Stendal/Uelzen. Das verlängert die Fahrzeit um eine Dreiviertelstunde - die Züge brauchen dann rund zweieinhalb Stunden für die Fahrt zwischen den beiden größten deutschen Städten.
Nun beginnt die nächste Sanierungsodyssee, gebaut wird zwischen Wittenberge und Ludwigslust, zwischen Hamburg und Büchen, sowie rund um Hagenow Land in Mecklenburg-Vorpommern. Die Kosten dafür: 220 Millionen Euro. Die Kosten für Abertausende Pendlerinnen und Pendler: Unsicherheit und mangelnde Planbarkeit. "Man kann sich nach der Arbeit nichts mehr vornehmen", sagt Pendler Hoch, "da kommt viel auf uns zu."
Fahrgastverband: "Die große Schwachstelle"
Ab heute wird der ICE-Verkehr südlich der baufälligen Hamburg-Berlin-Strecke über Stendal, Salzwedel, Uelzen und Lüneburg umgeleitet. Das Problem ist, dass die Umleitungsstrecke teilweise eingleisig ist. Für Martin Pogatzki vom Fahrgastverband Pro Bahn ist es "die große Schwachstelle, die nie behoben wurde, obwohl man sie seit Jahren kennt." Dadurch wird aus dem 30-Minuten-Takt eine Abfahrt pro Stunde.
Die Fahrzeit verlängert sich laut Bahn dadurch um 45 Minuten. Eine Alternative ist es laut Bahnsprecher Stauß mit dem ICE über Hannover nach Hamburg oder Berlin zu fahren - also einen Umstieg in Kauf zu nehmen. Denn viele Pendlerinnen und Pendler fürchten nun vor allem freitags und sonntags überfüllte Züge und anstrengende Stunden.
Menschen an der Hamburger Strecke besonders betroffen
Der Brandenburger Hoch pendelt nicht die gesamte Strecke zwischen Berlin und Hamburg, sondern "nur" zwischen Wittenberge und Berlin-Südkreuz, und das jeden Tag. Doch gerade Pendler wie er, die in der Nähe der Gleisarbeiten leben, fühlen sich fast abgeschnitten. Denn die ICE-Halte in Büchen, Ludwigslust und Wittenberge entfallen. Er kann in Wittenberge also nicht mehr mit dem schnellen ICE zur Arbeit pendeln. Immerhin: Noch kann er die Regionalbahn in Richtung Berlin nehmen. Würde er in die andere Richtung fahren, müsste er teilweise zwischen Wittenberge und Hamburg auf Ersatzbusse ausweichen.
Auch die Menschen, die südlich an der ICE-Umleitungsstrecke leben, sind betroffen: Denn zwischen Stendal und Uelzen gibt es nur ein einziges Gleis - und das ist ab heute für die umgeleiteten ICEs reserviert. Für die Regionalbahnen der dort lebenden Anrainer gibt es keinen Platz mehr. Das bedeutet: Viele kleinere Zwischenhalte werden nicht mehr angefahren. Die Menschen müssen mühsam mit dem Ersatzbus fahren. Pogatzki von Pro Bahn appelliert an die Bahn: "Es braucht jetzt die Zuverlässigkeit dieses Ersatzverkehrs - das ist das Entscheidende, was wir jetzt brauchen als Fahrgäste."
Generalsanierung ab 2025
Vom 1. August 2025 bis zum 30. April 2026 wird die Strecke erneut gesperrt und generalsaniert. Dieses Mal erstrecken sich die Bauarbeiten fast über die gesamte Länge zwischen Berlin-Spandau und Hamburg-Rothenburgsort. So werden beispielsweise Pendler zwischen Berlin und Nauen vom Schienennetz abgehängt. Auch für sie heißt es 2025 und 2026 dann: Bus fahren.
Auch Stefan Hochs Heimat-Bahnhof Wittenberge wird dann saniert. Ersatzbusse könnten auch für ihn ein Thema werden, seine Pendelzeit auf fünf Stunden am Tag und mehr anwachsen. Sein Arbeitgeber unterstütze ihm, biete ihm aktuell eine Vier-Tage-Woche an, lässt ihn Überstunden abbummeln, damit er einen Tag weniger in der Woche pendeln muss. Doch angesichts der großen Generalsanierung ab 2025 lächelt der Brandenburger nur müde: "Viel schlimmer wird es erst nächstes Jahr."