Kommentar Fundamental-Opposition gegen Brüssel
Von Michael Becker, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Wulf Bernotat, der Chef von E.ON, hätte sich wohl keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können für seine Feststellung, dass Strom in Deutschland eigentlich zu billig ist. Genau den nämlich, als Brüssel sein Energiepaket vorstellt - und das trägt die große Überschrift: Strom ist zu teuer. Der EU-Kommission in Brüssel hat der E.ON-Chef damit sozusagen eine Abschussrampe gebaut für ihre Vorschläge, bei denen es letztendlich um eines geht: den mächtigen Energiekonzernen den Kampf anzusagen - vor allem in Deutschland und Frankreich.
Konkurrenz aus Osteuropa vom Hals halten
In den vergangenen Monaten waren Männer wie Wulf Bernotat immer wieder in Brüssel - um gegen eben diese Energiepläne Front zu machen. Verständlich: Brüssel hat nichts anderes im Sinn, als den Energieriesen wegzunehmen was ihnen gehört und womit sie zur Zeit ordentlich Geld verdienen: die Leitungsnetze nämlich, mit denen die Konzerne das verteilen, was sie selbst produzieren - Strom und Gas. Das wohlgemerkt ist nicht überall in Europa so: in Großbritannien, den Niederlanden und Spanien beispielsweise sind die Leitungsnetze nicht im Besitz der Energiekonzerne. In Deutschland dagegen schon - und nicht zuletzt deshalb sind Strom und Gas bei uns auch so viel teurer als bei den anderen. Darum zahlen Sie und ich und natürlich auch die Unternehmen mehr als nötig. Deutschland hat zwar vorschriftsmäßig den Strommarkt liberalisiert - aber nicht für echten Wettbewerb gesorgt: dafür hätte man den Konzernen nämlich auch die Hoheit über die Versorgungskanäle wegnehmen müssen.
Woran man sich in Brüssel besonders stört ist, dass wir zwar offene Grenzen haben in der EU, keine Passkontrollen und freien, grenzüberschreitenden Warenverkehr - nur der Strom, der fließt alles andere als ungehindert von einem EU-Land ins nächste. Die Schnittstellen zwischen den nationalen Netzen sind nach wie vor viel zu eng - was kein Wunder ist: die Energiekonzerne halten sich auf diese Weise die billigere Konkurrenz beispielsweise aus Osteuropa vom Hals. Das alles mit dem Segen aus Berlin: die Herausbildung von starken nationalen Energieriesen galt jahrelang als strategisches Ziel.
Deutsch-französische Fundamental-Opposition
E.ON-Chef Bernotat kann bei seinen Besuchen in Brüssel selbstbewusst auftreten: denn er weiß, er hat die Bundesregierung hinter sich. Deutschland und Frankreich betreiben Fundamental-Opposition gegenüber den Brüsseler Energieplänen. Die Argumente sind zum Teil fadenscheinig: Eigentum habe eine besondere Tradition in Deutschland, deshalb könne man den Energiekonzernen ihre Netze nicht wegnehmen und sie damit quasi enteignen. Tatsächlich ist das Problem wohl eher, dass die Verflechtungen zwischen Politik und Energiekonzernen bei uns mindestens genau so dringend getrennt werden müssten wie die Versorgungsnetze von den Konzernen. Fest steht: die EU-Kommission hat ein Fass aufgemacht, das hochexplosiv ist - die Auseinandersetzung wird Jahre dauern, ob sie am Ende irgendwohin führt, ist völlig offen. Immerhin: Brüssel hat die besseren Argumente. Aber in Ländern, in denen behauptet wird, dass Strom eigentlich zu billig ist, hilft vielleicht auch das nicht.