Händler an der New Yorker Börse
Marktbericht

Börsen im Rückwärtsgang Stagflation immer wahrscheinlicher

Stand: 30.03.2022 22:14 Uhr

Auch zur Wochenmitte war der Ukraine-Krieg das alles bestimmende Thema an den Börsen. Immer stärker rücken seine wirtschaftlichen Folgen für den Westen in den Fokus.

Während die Lage in der Ukraine unübersichtlich bleibt, sorgen sich die Marktteilnehmer dies- und jenseits des Atlantiks zunehmend um die Folgen des Krieges für die Konjunktur und die Preisentwicklung. Zur Wochenmitte verdichteten sich die Hinweise, dass in diesem Jahr eine Stagflation droht, also eine Phase stagnierender Wirtschaftsaktivität bei gleichzeitig hoher Inflation.

An der Wall Street schlossen die Standardwerte des Dow Jones 0,2 Prozent tiefer. Die Technologietitel des Nasdaq-100 büßten 1,1 Prozent ein.

Der US-Anleihemarkt sendete wieder ein Rezessionssignal. Dort warfen die zweijährigen Anleihen zeitweise mehr ab als die zehnjährigen. Experten sehen in einer solchen "inversen Renditekurve" einen zuverlässigen Indikator für einen nahenden Abschwung.

Dagegen fielen die März-Daten zum privaten Arbeitsmarkt erfreulich aus: Unter dem Strich wurden 455.000 Jobs geschaffen, teilte der Personaldienstleister ADP mit. Die Zahlen lassen nicht darauf schließen, dass der Krieg in der Ukraine bisher den rund laufenden US-Jobmotor bremst. Die Zahlen sind ein gutes Omen für den Arbeitsmarktbericht der Regierung am Freitag.

Am deutschen Aktienmarkt sanken die Hoffnungen auf eine Entspannung im Ukraine-Krieg. Zudem belasteten die aktuellen Inflationsdaten sowie die enttäuschende Konjunkturprognose der sogenannten "Wirtschaftsweisen". Der DAX büßte 1,45 Prozent ein.

Die Ankündigungen Moskaus, die Kampfhandlungen in der Region Kiew zu verringern, wurden zunehmend skeptisch beurteilt. Während Russland offenbar seine Attacken in der Ostukraine verstärkt hat, bot es für morgen eine Feuerpause in der umkämpften Stadt Mariupol zur Evakuierung von Zivilisten an.

Update Wirtschaft vom 30.03.2022

Klaus-Rainer Jackisch, HR, tagesschau24

Verwirrung herrschte am Abend um die Frage der Bezahlung russischen Gases in Rubel. Laut der Bundesregierung hat Kreml-Chef Wladimir Putin Bundeskanzler Olaf Scholz zugesichert, dass europäische Unternehmen ihre Rechnungen für russisches Gas weiterhin in Euro begleichen können. Aus Russland hieß es, Putin und Scholz hätten vereinbart, dass Experten der beiden Länder sich zu der Umstellung beraten sollen. Derweil wird in Russland über eine Ausweitung der Rubel-Forderung auf andere russische Exportgüter wie Düngemittel oder Getreide diskutiert.

Die Inflationsrate ist im März mit 7,3 Prozent auf den höchsten Stand seit rund 40 Jahren emporgeschnellt. Hintergrund des sprunghaften Anstiegs sind die starken Preiserhöhungen für Energieprodukte. Der Preisdruck dürfte erheblich bleiben. In Deutschland wollen in den kommenden drei Monaten angesichts höherer Kosten so viele Unternehmen wie noch nie ihre Preise anheben. Das entsprechende Barometer des ifo-Instituts kletterte im März auf den Höchstwert von 54,6 Punkten nach 47,6 im Februar.

Gemeinsam mit den trüben Aussichten für die konjunkturelle Entwicklung verfestigt sich die Aussicht auf eine Stagflation. Die "Wirtschaftsweisen" haben wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr deutlich nach unten geschraubt. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung erwartet nun nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent, wie das Beratergremium am Vormittag mitteilte. Für das kommende Jahr wird ein Plus von 3,6 Prozent vorhergesagt.

Die Ölpreise holten einen Teil ihrer jüngsten Verluste wieder auf. Zuletzt kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent 112,70 US-Dollar. Für das morgen anstehende Treffen des Ölkartells OPEC+ rechnen Fachleute mit einer erneuten moderaten Förderausweitung. Diesen Kurs fahren die Förderländer seit vergangenen Sommer. Die Gruppe dürfte weiter die Auffassung vertreten, dass der Ölpreisanstieg vor allem durch geopolitische Risiken getrieben wurde und nicht durch einen Angebotsengpass.

Angesichts der hohen Inflation werden auch in Europa die Zinszügel weiter angezogen werden. Davon profitierte der Euro. Die europäische Gemeinschaftswährung erreichte am Abend mit 1,1170 Dollar den höchsten Stand seit Anfang des Monats.

Die BioNTech-Aktie setzte ihre jüngste Kurserholung fort. Der Mainzer Impfstoffhersteller hat im vergangenen Jahr 10,3 Milliarden Euro verdient - nach Steuern. 2020 hatte das Plus noch bei 15,2 Millionen Euro gelegen. Der Umsatz sprang von 482 Millionen Euro auf knapp 19 Milliarden Euro. Das Unternehmen kündigte außerdem eine Sonderdividende von 2,00 Euro je Aktie und einen Aktienrückkauf an.

Wie so oft, wenn sich die Börse wieder den Realitäten des Krieges zuwendet, verloren Aktien, die zuvor als Corona-Gewinner galten. Delivery Hero, die gestern noch stürmisch gefeiert wurden, büßten heute über vier Prozent ein und waren zusammen mit Continental Index-Schlusslicht.

TUI kann dank der Erholung des Reisegeschäfts einen Teil seiner Corona-Finanzhilfen zurückzahlen. Zum 1. April werde der erste Teil der vom Bund und von privaten Banken gewährten Kreditlinien um rund 700 Millionen Euro verringert, so der Reisekonzern. Der Großteil entfalle auf Kredite der staatlichen Bank KfW. "Dieser 'Rettungsschirm' war während der Pandemie und der damit verbundenen massiven Beschränkungen auf unser Geschäft wichtig", erklärte TUI. Der Staat hatte TUI in der Corona-Krise mit insgesamt 4,3 Milliarden Euro Finanzhilfe vor der Pleite bewahrt.

Die Aktionäre des Außenwerbers Ströer aus dem MDAX können nach dem Gewinnsprung des vergangenen Jahres auf eine höhere Dividende hoffen. Laut Geschäftsbericht wird eine Ausschüttung von 2,25 Euro je Anteil vorgeschlagen. Das sind 25 Cent mehr als ein Jahr zuvor. Die Zustimmung des Aufsichtsrats steht aber noch aus. Der Umsatz legte 2021 gegenüber dem Vorjahr um rund 13 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro zu. Der auf die Aktionäre entfallende Überschuss sprang von rund 35 Millionen auf 122 Millionen Euro nach oben.

Ein verhaltener Ausblick belastete die Aktie von Stratec Biomedical. Der Laborzulieferer aus dem SDAX geht wegen steigender Kosten im Zusammenhang mit knappen Transportkapazitäten und Rohstoffen von einem Ergebnisrückgang im laufenden Jahr aus. Bei stagnierenden Erlösen werde mit einer operativen Marge von etwa 16,5 bis 18,5 Prozent gerechnet. Im vergangenen Jahr hatte sie bei 18,9 Prozent gelegen. Stratec hat zuletzt stark von der Nachfrage nach Laborprodukten im Zusammenhang mit der Corona-Krise profitiert.

Der Solar- und Windpark-Betreiber Encavis hat 2021 seinen Umsatz dank stark gestiegener Strompreise um 14 Prozent auf 332,7 Millionen Euro gesteigert. Das liegt etwas über dem vor zwei Wochen genannten vorläufigen Wert. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) legte ebenfalls um 14 Prozent auf 256,4 Millionen Euro zu. Encavis blickt positiv auf das laufende Jahr. Das Ebitda soll bei über 285 Millionen Euro liegen. Die Dividende will das Management von 0,28 Euro auf 0,30 Euro je Aktie anheben.

Einer der größten Gewinner im SDAX war die Aktie des Büromöbelversenders Takkt. Das Stuttgarter Unternehmen will den Umsatz bis 2025 - auch mit Zukäufen - um 70 Prozent auf zwei Milliarden Euro steigern. Aus eigener Kraft soll der Umsatz im Schnitt um zehn Prozent pro Jahr wachsen, wie Takkt mitteilte. Das operative Ergebnis (Ebitda) will Takkt-Chefin Maria Zesch bis 2025 auf 240 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Für das laufende Jahr rechnet Takkt mit einem hohen prozentual einstelligen Umsatzwachstum und einem Ebitda von 110 bis 130 Millionen Euro.

Der Bildverarbeitungsspezialist Basler rechnet dank eines hohen Auftragsbestands und den jüngsten Signalen in allen Absatzregionen im laufenden Jahr erneut mit einem starken Wachstum. Der Umsatz soll auf 235 bis 265 Millionen Euro steigen, so das SDAX-Unternehmen. Die Rendite vor Steuern soll im laufenden Jahr bei neun bis zwölf Prozent liegen. 2021 zog der Umsatz - wie bereits bekannt - um 26 Prozent auf knapp 215 Millionen Euro an. Der Gewinn vor Steuern legte um 37 Prozent auf knapp 21 Millionen Euro zu.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 30. März 2022 um 07:42 Uhr.