Verluste nach Inflationsdaten Tech-Dämmerung in New York
Erst hatte es so ausgesehen, als könne die Wall Street die neuesten Inflationsdaten gut verdauen. Am Ende siegte doch wieder die Zinsangst, besonders bei den Technologiewerten.
Nach einer Phase rasanter Anstiege ist die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten erstmals seit August 2021 zurückgegangen. Die Verbraucherpreise stiegen im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,3 Prozent, wie das US-Arbeitsministerium am frühen Nachmittag mitteilte. Im März hatte die Rate noch bei rekordhohen 8,5 Prozent gelegen.
Die Hoffnung darauf, dass der Gipfel der rasanten Geldentwertung erreicht ist, beflügelte zeitweise die Kurse. Bis zum Handelsschluss gaben die Standardtitel ihre Gewinne aber wieder ab. Der Dow Jones schloss ein Prozent tiefer.
Deutlich nüchterner ging es an der Technologiebörse Nasdaq zu. Der Nasdaq 100 büßte 3,06 Prozent ein. Schließlich sind die wachstumsstarken Technologieunternehmen besonders stark von Zinsänderungen betroffen.
Zudem lag die Teuerung immer noch höher als von Analysten erwartet. Die Erwartung hatte im Mittel bei 8,1 Prozent gelegen.
Nach Veröffentlichung der mit Spannung erwarteten Inflationsdaten war der deutsche Leitindex DAX zunächst unter den Vortagesschluss eingebrochen, erholte sich dann aber kräftig und schloss 2,17 Prozent höher.
"Der Höhepunkt der Teuerung scheint überschritten zu sein", meinte Ökonom Ulrich Wortberg von der Helaba. Allerdings seien Hoffnungen auf einen schnellen Rückgang nicht angebracht "angesichts des fortdauernden Ukraine-Krieges und der gestörten Produktionstätigkeit in China sowie der Lieferkettenproblematik." Insofern bleibe die US-Notenbank unter Druck, die Geldpolitik weiter zu straffen.
Das Thema Inflation treibt auch die Europäische Zentralbank (EZB) um. EZB-Chefin Christine Lagarde bereitet die Finanzmärkte auf das Szenario einer Zinswende im Juli vor. Die Anleihenkäufe dürften zu Beginn des dritten Quartals auslaufen, gefolgt von einer Zinserhöhung, die womöglich "einige Wochen später" kommen könne, so Lagarde heute auf einer Konferenz in Slowenien. Zuletzt mehrten sich die Stimmen aus der Führungsetage der EZB, die auf ein baldiges Ende der ultralockeren Geldpolitik dringen.
Diesem Hintergrund musste der Euro nach mehrfachem Aufbäumen Tribut zollen. Die europäische Gemeinschaftswährung notierte am späten Abend bei 1,0510 Dollar.
Die Ölpreise erholten sich weiter von ihrem jüngsten Rückschlag. Am Markt wurden die Preisaufschläge mit der günstigeren Corona-Lage in China erklärt. Die Metropolen Peking und Shanghai meldeten zuletzt weniger Infektionen. Damit wird eine Lockerung der harten Corona-Auflagen wahrscheinlicher.
Unter den Einzelwerten an der Wall Street stand vor allem die Apple-Aktie im Fokus. Der kalifornische Technologiekonzern ist seit heute nicht mehr das wertvollste Unternehmen der Welt. Diesen Platz nimmt bis auf Weiteres der größte Erdölkonzern der Welt Saudi Aramco ein. Denn während das Papier des iPhone-Herstellers seit Wochen wegen Zins- und Wachstumssorgen unter Druck steht, ist der Kurs von Saudi Aramco an der Heimatbörse in Riad mit den hohen Ölpreisen zuletzt stark gestiegen.
Größter DAX-Verlierer war die Bayer-Aktie mit einem Minus von 6,2 Prozent. Der Pharma- und Chemiekonzern hat im US-Rechtsstreit um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat einen Rückschlag erlitten. Die US-Regierung riet dem Supreme Court - dem obersten Gericht im Land - gestern von der Annahme eines wegweisenden Falls ab. Das Verfahren könnte Signalwirkung für viele weitere US-Klagen haben. Für Bayer geht es dabei um milliardenschwere Rechtsrisiken.
Steigende Energie- und Transportkosten haben das Ergebnis von HeidelbergCement im ersten Quartal belastet. Die höheren Aufwendungen hätten nur teilweise durch Preiserhöhungen ausgeglichen werden können, erklärte der DAX-Konzern nach Börsenschluss. Das Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen sackte von Januar bis März um gut ein Viertel ab auf 145 Millionen Euro. "Das erste Quartal 2022 war kein einfaches für HeidelbergCement", sagte Vorstandschef Dominik von Achten. Der Umsatz wuchs dagegen um zwölf Prozent auf 4,4 Milliarden Euro. Trotz des schwierigen Umfelds hält der Baustoffkonzern an seinem optimistischen Ausblick fest. Der Umsatz soll - zum Teil dank Preiserhöhungen - stark steigen, das operative Ergebnis leicht zulegen.
E.ON ist wie erwartet mit einem Ergebnisrückgang ins neue Jahr gestartet. Das deutsche Netzgeschäft konnte zwar zulegen, dies wurde jedoch durch negative Effekte in anderen Ländern kompensiert. Unter anderem gab es in den ersten drei Monaten Belastungen durch höhere Beschaffungskosten. Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) ging im ersten Quartal um gut 14 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro zurück. Unterm Strich blieb ein bereinigter Konzernüberschuss von 679 Millionen Euro und damit 16 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Continental hat im ersten Quartal einen Gewinneinbruch verzeichnet. Das Nettoergebnis sackte um 45 Prozent auf 245,4 Millionen Euro ab. "Das abgelaufene Quartal wurde überschattet vom Krieg gegen die Ukraine und damit einhergehenden massiven Auswirkungen auf ohnehin bereits hohe Energiepreise sowie angespannte Logistikketten und Rohstoffmärkte", so Vorstandschef Nikolai Setzer. Der Autozulieferer hatte bereits im April seinen Ergebnisausblick gekappt.
Der Reiseanbieter TUI rechnet im laufenden Geschäftsjahr mit einer Rückkehr in die Gewinnzone. Die Pandemie hatte dem Reiseunternehmen Milliardenverluste beschert, nun gehe es aber "deutlich voran". Der Konzern werde wieder profitabel werden. Pauschalreisen und Kreuzfahrten waren während der Pandemie weitestgehend zum Erliegen gekommen. Im Geschäftsjahr 2020/21 verbuchte TUI deshalb einen Verlust von 2,48 Milliarden Euro. Die Reiselust nehme nun aber wieder deutlich zu, erklärte TUI-Chef Fritz Joussen. Für den Sommer 2022 seien bereits 85 Prozent der Buchungszahlen des Vorkrisenniveaus erreicht.
Immer wieder Gamesa: Die Belastungen durch die spanische Windenergietochter und der Krieg in der Ukraine verhageln Siemens Energy den Ausblick. Das MDAX-Unternehmen erwartet im Geschäftsjahr 2022 nun Ergebnisse am unteren Ende der bisherigen Prognosespannen. Allein der Ukraine-Krieg werde den Umsatz um 300 bis 400 Millionen Euro belasten, sagte Unternehmenschef Christian Bruch. Siemens Energy hatte im April vorläufige Zahlen für das zweite Geschäftsquartal vorgelegt. Hinzu kam nun noch ein Verlust nach Steuern von 252 Millionen Euro nach einem Gewinn von 31 Millionen Euro vor Jahresfrist. Die Ergebnisse von Siemens Gamesa seien zum wiederholten Mal enttäuschend, sagte Bruch. Die Situation bei Gamesa habe sich seit der letzten Gewinnwarnung weiter verschärft. Bruch hatte Anfang März sein bisheriges Vorstandsmitglied Jochen Eickholt als neuen Gamesa-Chef eingesetzt. Er soll den Turnaround einleiten.
Die Thyssenkrupp-Aktie gewann im MDAX 11,2 Prozent. Der Stahl- und Industriekonzern hat im abgelaufenen Quartal besser abgeschnitten als erwartet und seine Prognosen erhöht. So profitiert das Unternehmen von höheren Preisen im Materialhandel sowie im Stahlgeschäft. Das bereinigte operative Ergebnis (Ebit) soll von 796 Millionen auf mindestens zwei Milliarden Euro steigen. Zuvor hatte das Management bis zu 1,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Der Ausblick steht unter der Bedingung, dass fossile Energieträger und Rohstoffe weiter uneingeschränkt zu bekommen sind und die Rohstoff- und Energiekosten auf dem Niveau des zweiten Quartals bleiben.
Die Folgen des Ukraine-Kriegs sorgen beim Großhändler Metro für Verluste. Die Düsseldorfer mussten im abgelaufenen Quartal rund 319 Millionen Euro abschreiben, mehr als 200 Millionen davon auf ihre Aktivitäten in Russland und der Ukraine. Unter dem Strich stand daher ein Verlust von 284 Millionen Euro. In anderen Ländern lief es dagegen deutlich besser - Metro hatte erst im April dank anziehender Geschäfte mit Hotels und Restaurants sowie steigender Preise die Prognosen angehoben. Im zweiten Geschäftsquartal legten Umsatz und operativer Ertrag deutlich zu. Der Umsatz kletterte im Jahresvergleich von 5,0 auf 6,2 Milliarden Euro, das bereinigte Ebitda stieg von 114 auf 157 Millionen Euro.
Der Solartechnik-Hersteller SMA leidet unter dem weltweiten Chipmangel und konnte daher im ersten Quartal nicht so viel umsetzen wie möglich gewesen wäre. Der Umsatz sank von 240 auf 221 Millionen Euro. Das operative Ergebnis (Ebitda) ging von 20 auf 15 Millionen Euro zurück. Die Orderbücher sind indes voll: "Im ersten Quartal 2022 haben wir den höchsten Auftragseingang der vergangenen zehn Jahre verzeichnet", so Vorstandssprecher Jürgen Reinert.
Schwächster Titel im MDAX und TecDAX war Evotec. Die Papiere des Wirkstoffforschers verloren mehr als zehn Prozent auf einen neuerlichen Tiefststand seit April 2020. Wegen deutlich gestiegener Kosten ging das bereinigte Ergebnis (Ebitda) im ersten Quartal auf 18,9 Millionen Euro zurück, nach 21,1 Millionen vor einem Jahr. Nach der tags zuvor gemeldeten Abschlagszahlung von 200 Millionen Dollar aus der erweiterten Kooperation mit Bristol-Myers Squibb habe der Markt möglicherweise mit einem optimistischeren Jahresausblick gerechnet, sagte ein Analyst.
Im SDAX nahmen die Papiere von Shop Apotheke im späten Handel deutlich Fahrt auf und schlossen 19,1 Prozent höher. Ein Händler nannte als Grund einen Bericht über die Einführung des E-Rezepts im September. Noch gestern war die Aktie um ein Fünftel eingebrochen nach Meldungen, die Einführung des E-Rezepts könnte sich weiter verzögern.