Interview

Interview zur Griechenland-Krise "Viele können einfach nicht noch mehr sparen"

Stand: 22.06.2011 13:02 Uhr

Eine Atempause für Papandreou - doch während ihm im Parlament das Vertrauen ausgesprochen wurde, hat dies die Politik im Land längst verspielt. Viele Griechen verarmen und fühlen sich zu Unrecht verurteilt, wie der Chefredakteur der "Griechenland Zeitung", Stadler, im tagesschau.de-Interview erläutert.

tagesschau.de: Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat mit der gestrigen Vertrauensabstimmung Zeit gewonnen. Denken Sie, dass es die Regierung geschafft hat, das Ruder im letzten Moment rumzureißen?

Robert Stadler: Papandreou hat jetzt sicher eine wichtige Hürde genommen, um an die weiteren Kredite von EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank zu kommen. Im Vorfeld war die Situation aber viel kritischer: als es den Anschein hatte, dass seine eigene Parlamentsfraktion, die sozialistische PASOK, gegen ihn revoltieren würde. Nach einer Regierungsumbildung, die die Partei wieder ein wenig zusammengeschweißt hat, haben sich die Wogen ein wenig geglättet.

Das heißt aber nicht, dass jetzt alles geklärt und die Regierung Papandreou über den Berg ist. Denn nächste Woche steht die Abstimmung über das mittelfristige Stabilisierungsprogramm an, also die Haushaltsziele für die nächsten drei Jahre. Da gibt es noch Widerstand in den eigenen Reihen.

Zur Person

Robert Stadler ist Mitherausgeber und Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung Griechenlands. Die "Griechenland Zeitung" berichtet wöchentlich über Politik, Sport, Kultur, Wirtschaft und Tourismus. Stadler arbeitet seit 22 Jahren in Athen unter anderem als Korrespondent für deutschsprachige Medien.

tagesschau.de: Die Politik ist die eine Sache, die Meinung im Volk eine ganz andere: Auch gestern demonstrierten wieder mehr als 10.000 vor dem Parlament. Wie würden Sie die Stimmung im Land beschreiben?

Stadler: Die Stimmung ist nicht sehr gut. In Umfragen sind etwa 80 Prozent der Menschen gegen die Sparpolitik der Regierung. Gestern waren es zwar etwas weniger Demonstranten als erwartet, aber die Proteste werden nächste Woche wieder zunehmen, wenn es um die Abstimmung des Memorandums geht. Die Menschen fluchen über die Politik der vergangenen 30 Jahre. Das Misstrauen in die Politik ist in den vergangenen beiden Jahren geradezu explodiert: Neun von zehn Griechen sind weder mit der Arbeit der Regierung zufrieden, noch mit der Arbeit der großen Oppositionspartei.

tagesschau.de: Was bedeutet der harte Sparkurs der Regierung für die Menschen?

Stadler: Es gibt Statistiken, dass der Verkehr allein in Athen durch die Benzinpreise um bis zu zehn Prozent abgenommen hat. Vor zwei Jahren kostete Benzin ungefähr ein Euro, jetzt sind es 1,60 Euro. Es wird aber auch weniger für Kleidung ausgeben, die Menschen gehen weniger Essen, auch die Privatschulen - die hier weit verbreitet sind - haben weniger Schüler. Den öffentlichen Angestellten wurden bislang 20 Prozent des Lohns gekürzt und es sollen nun weitere Einschnitte kommen. Es ist klar, dass die Menschen dies nicht wollen. Beim ersten Sparpaket vor zwei Jahren gab es noch Verständnis, nun sieht das anders aus. Die Menschen sagen, dass es reicht.

"Es gibt kaum noch Perspektiven"

tagesschau.de: Wo zeigen sich die größten Probleme im Alltag?

Stadler: Die große Tragik ist die Zunahme der Arbeitslosigkeit. In Griechenland sind derzeit fast 16 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit, also fast 800.000 Menschen. Hinzukommt die Tendenz, dass die starke Rezession von derzeit fünf Prozent Minuswachstum noch zunehmen dürfte. Tausende Einzelhandelsgeschäfte haben bereits geschlossen, es gibt kaum noch Perspektiven.

tagesschau.de: Wie so häufig trifft die Krise vor allem die Schwächeren, immer mehr rutschen in Armut ab. Wie viele Menschen sind davon betroffen?

Stadler: Man geht davon aus, dass in Griechenland etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Dunkelziffer dürfte aber deulich höher liegen und die Lage wird sich verschärfen. So bekommen beispielsweise Arbeitslose derzeit rund 450 Euro monatlich - aber nur ein Jahr lang. Aber es gibt auch viele Langzeitarbeitslose, damit verstärkt sich die Armut massiv. Und das kann ich selbst im Straßenbild von Athen beobachten: In den 80er- oder 90er-Jahren gab es hier kaum Menschen, die um Geld gebettelt haben. Jetzt sieht das ganz anders aus, dies hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

"Es kommen einfach keine Kunden mehr"

tagesschau.de: Spüren Sie diese Verarmung der Menschen auch in Ihrem Alltag?

Stadler: Dazu kann ich Ihnen ein Beispiel aus meiner Nachbarschaft erzählen: Dort gab es bis vor kurzem noch einen mittelgroßen Supermarkt, der aber schließen musste. Es kamen einfach nicht mehr genug Kunden. Man sieht auch, dass immer mehr der für Griechenland so typischen Kioske mit Zeitungen und Tabakwaren dichtmachen. Oder nehmen sie meine tägliche Fahrt zur Arbeit: Da sehe ich unzählige geschlossene kleine Geschäfte, die zur Vermietung ausgeschrieben sind. Viele können einfach nicht noch mehr sparen.

tagesschau.de: Was kann die Regierung machen, um nicht noch mehr Menschen die Lebensgrundlage zu entziehen?

Stadler: Die Kabinettsumbildung hat den Menschen da ein wenig Mut gemacht. Der frühere Finanzminister war längst ein rotes Tuch für die Menschen geworden. Der neue Minister, Evangelos Venizelos, hat bei seinen ersten Auftritten versucht, mit der Troika - also EU, IWF und Europäischer Zentralbank - doch noch einige Änderungen am neuen Memorandum vorzunehmen mit dem Ziel, die Lasten etwas gerechter zu verteilen. Inwieweit das klappen wird, ist aber fraglich.

tagesschau.de: Könnten Sie das an einem Beispiel erläutern?

Stadler: Bisher galt in Griechenland, dass alle Jahreseinkommen unter 12.000 Euro nicht besteuert werden. Diese Grenze soll nun im neuen Sparprogramm deutlich herabgesetzt werden. Das soll nun wieder zurückgenommen werden.

"Die Wirtschaft darf nicht abgewürgt werden"

tagesschau.de: Teures Leben, kaum Perspektiven – jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos. Wie soll das Land so wieder auf die Beine kommen?

Stadler: Das ist die schwierigste Frage. Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erläutern: Es geisterte jetzt eine Meldung durch die Presse, dass in den europäischen Fonds für Infrastrukturprojekte etwa 22 Milliarden Euro für Griechenland bereitliegen. Diese können momentan aber nicht abgerufen werden, weil Griechenland durch die Sparpolitik nicht in der Lage ist, den Eigenanteil bereit zu stellen. Hier gibt es in der EU Überlegungen, dass diese Mittel nun doch losgeeist werden könnte, um das Wachstum hierzulande wieder anzuschieben. Was ich damit sagen will: Trotz aller Sparbemühungen darf die Wirtschaft nicht abgewürgt werden.

tagesschau.de: Was denken Sie, werden die Griechen die Krise meistern?

Stadler: Das ist ebenfalls eine Frage, die sich schwer beantworten lässt. Ich habe zum Beginn der Krise einmal geschrieben: "Operation gelungen - Patient tot". Dies darf nicht passieren. Es muss einfach reales Geld in die Wirtschaft fließen, damit auch wieder Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ich habe gestern erst wieder mit einem ausländischen Unternehmer gesprochen, der 1,5 Milliarden Euro in eine Erdgas-Pipeline in Griechenland investieren will. Aber, das ist im Moment aufgrund bürokratischer Faktoren nicht möglich. Auch in solchen Bereichen hat die Regierung noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Sparen allein wird Griechenland nicht aus der Krise bringen.

Die Fragen stellte Stefan Keilmann, tagesschau.de