Welthandel nach US-Wahl "Europa muss mit Biden hart verhandeln"
Was der neue US-Präsident für die globalen Handelskonflikte bedeutet und wieso vor allem die Chinesen ihn fürchten müssen, sagt der Ökonom Gabriel Felbermayr im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Joe Bidens Wahlsieg in den USA - wird er der Weltwirtschaft helfen?
Gabriel Felbermayr: Definitiv ja. Denn man kann mit einem Joe Biden verhandeln und Lösungen finden für die drängenden Probleme, die wir haben. Das war mit seinem Vorgänger kaum möglich. Deswegen, ganz klar: Für die Weltwirtschaft ist das die bessere Wahl.
tagesschau.de: Wenn die EU direkt nach Bidens Wahl neue Strafzölle auf amerikanische Produkte verhängt - zeigt das nicht, dass die alten Konflikte erstmal bleiben? Der Streit um die Subventionen für Airbus und Boeing ist ungelöst.
Felbermayr: Absolut. Hier geht es um ganz handfeste wirtschaftliche Differenzen. Die USA dürfen gegen Europa Strafzölle erheben im Ausmaß von 7,5 Milliarden Euro, Europa jetzt gegenüber den USA im Umfang von vier Milliarden Dollar. Es geht um viel in der Luftfahrtindustrie, deswegen muss Europa auch mit einer Biden-Administration hart verhandeln. Aber der große Unterschied ist, dass die Möglichkeit von Verhandlungen nun besteht. Und ich denke, beide Seiten werden zumindest ernsthaft versuchen, eine Lösung zu finden.
tagesschau.de: Wie könnte die aussehen?
Felbermayr: Die Entscheidungen der WTO lassen sich so lesen, dass die Europäer mehr illegale Subventionen an Airbus gezahlt haben als die Amerikaner an Boeing. Europa müsste also stärker nachgeben als die USA. Ich könnte mir vorstellen, dass am Ende die Amerikaner ihre Strafzölle reduzieren und die Europäer ganz darauf verzichten, so dass in der Differenz das WTO-Urteil umgesetzt ist. Wir werden uns dann mit den Amerikanern genauer darüber unterhalten müssen, wie wir in der Welthandelsorganisation künftig mit Subventionen umgehen wollen.
tagesschau.de: Vor allen Dingen im Streit mit China hat Trump immer eine sehr harte Linie verfolgt. Wird das anders werden unter Biden?
Felbermayr: Ich glaube, dass eine Regierung unter Biden in der Sache ebenso hart auftreten wird. Es geht ihm um den Schutz der Industrie in den USA, um Arbeitsplätze. Auch Joe Biden sind die großen Handelsbilanzdefizite der USA gegenüber China ein Dorn im Auge. Aber er wird ganz anders vorgehen, davon ist auszugehen. Er dürfte sich Alliierte suchen, sicher in Europa, aber auch in Asien, Japan, Korea und anderswo. Für China könnte es am Ende schwieriger werden. Unter Trump konnte China den Handel mit den USA anderswo kompensieren. Stellt Biden eine Koalition auf die Beine, haben die Chinesen weniger Möglichkeiten.
Spezialist für Kompromisse
tagesschau,de: Wo wird Biden in der Wirtschaftspolitik am meisten Spuren hinterlassen?
Felbermayr: Am deutlichsten ist der Unterschied zu Trump in der Klimapolitik. Dass Biden die USA bis 2050 klimaneutral machen will, ist ambitioniert. Auch in der Gesundheitspolitik könnte es ihm gelingen, die Reformen von Barack Obama weiterzutreiben und mehr Amerikanern zu Krankenversicherungs-Schutz zu verhelfen. Große Pläne hat Biden auch mit der Transport-Infrastruktur, die er erneuern will. Hier könnten ihm vielleicht am schnellsten Erfolge gelingen.
tagesschau.de: Aber was kann er ohne Mehrheit im Senat überhaupt bewegen?
Felbermayr: Der US-Präsident kann auch ohne den Kongress einiges bewegen, etwa in den außenwirtschaftlichen Beziehungen oder der Außenpolitik. Aber klar, eine republikanische Mehrheit im Kongress würde ihn ausbremsen. Gerade für diese Situation ist er jedoch der richtige Kandidat. Biden hat in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt, dass er Kompromisse suchen und finden kann.
tagesschau.de: Eine seiner ersten Amtshandlungen könnte sein, dass die USA wieder dem Pariser Abkommen beitreten. Wäre das schon ein Durchbruch für die internationale Klimapolitik?
Felbermayr: Das wäre wichtig als Symbol und ermutigend für die Europäer. Aber konkret heißt das leider noch nicht viel. Wir wissen, dass die Versprechungen, die in Paris gemacht wurden, nicht ausreichen. Wir brauchen eine konkrete, ambitionierte amerikanische Klimapolitik, und die umzusetzen wird für Biden schwierig. Es gibt gut begründete, massive Widerstände. Anders als Europa haben die Amerikaner große Öl- und Erdgasvorkommen, die wirtschaftliche Interessen bedeuten. Trotzdem ist es für die Europäer sehr wichtig, nun wieder einen Alliierten in der Klimapolitik zu bekommen.
Boom auf dem Arbeitsmarkt
tagesschau.de: Wenn mehr als 70 Millionen Menschen bei der Wahl für Trump gestimmt haben - wie viel hat das mit der Wirtschaft zu tun?
Felbermayr: Wirtschaftliche Aspekte haben wohl eine sehr große Rolle gespielt. Vor allem scheinen sie Wählergruppen stark beeinflusst zu haben, die man eigentlich den Demokraten zurechnet. Die guten Wahlergebnisse bei Latinos oder Schwarzen könnten darauf zurückzuführen sein, dass der Arbeitsmarkt in den Trump-Jahren geboomt hat. Vor allem bei Geringverdienern sind die Löhne deutlich gestiegen. Und das hat sich in manchen Staaten wie Florida oder Texas für Trump offensichtlich ausgezahlt, auch wenn die Basis dafür unter Barack Obama gelegt wurde.
tagesschau.de: Im Vorfeld der Wahl gab es viel Streit um das zweite Konjunkturpaket, Trump brach die Verhandlungen darüber ab. Wie geht es nun weiter?
Felbermayr: So wie Donald Trump aktuell agiert, ist nicht zu erwarten, dass dieses Konjunkturpaket in den nächsten Wochen kommt. Das bedeutet, dass in dieser kritischen Phase für die amerikanische Wirtschaft und die Weltkonjunktur aus den USA kein neuer Impuls zu erwarten ist. Das ist nicht gut.
Impfstoff beschleunigt Erholung
tagesschau.de: Was erwarten Sie nun für die Weltwirtschaft?
Felbermayr: Das hängt sehr stark davon ab, wie sich das Infektionsgeschehen weiterentwickelt. Vor ein paar Wochen waren wir noch recht optimistisch, was das vierte Quartal angeht. Da hatten wir für Deutschland ein Wachstum von zwei Prozent gesehen. Jetzt denke ich, dass wir bei einer schwarzen Null landen werden. Aber auch das ist mit hoher Unsicherheit verbunden. In der Weltwirtschaft haben aber, mit der großen Ausnahme Chinas, viele Schwellenländer große Probleme, etwa Indien oder die Staaten Lateinamerikas. Auch in der Eurozone wird die zweite Corona-Welle Spuren hinterlassen. Die wirtschaftliche Erholung dauert, darauf müssen wir uns einstellen. Das Vorkrisenniveau werden wir wahrscheinlich erst im vierten Quartal des nächsten Jahres erreichen. Oder sogar erst Anfang 2022. Kommt ein Impfstoff, würde das aus konjunktureller Sicht vor allem die Erholung im nächsten Jahr deutlich beschleunigen.
Das Gespräch führte Philipp Jaklin, tagesschau.de.