Interview

Interview mit Bundeswirtschaftsminister Brüderle Brasilien birgt enorme Chancen für deutschen Export

Stand: 01.05.2010 18:36 Uhr

Brasilien ist ein Boom-Land und damit einer der entscheidenden Wachstumsmärkte. Davon soll auch der deutsche Export profitieren. Wirtschaftsminister Brüderle rührte bei seinem Besuch die Werbetrommel. Der Wirtschaftskorrespondent des ARD-Hauptstadtstudios, Thomas Kreutzmann, hat ihn begleitet und für tagesschau.de befragt.

tagesschau.de: Wie sehr beunruhigt die Finanzkrise in Europa ihre brasilianischen Gesprächspartner?

Rainer Brüderle: Die Krise war bei jedem Gespräch ein Thema. Die Welt interessiert sich für die weitere Entwicklung Europas und des Euros. Man konnte diesen Fragen nicht ausweichen und ich wollte das auch nicht tun. Ich habe die Auffassung der Bundesregierung erläutert.

Rainer Brüderle
Interview "Rainer Brüderle" Bundeswirtschaftsminister
Rainer Brüderle ist Diplomvolkswirt und seit 1973 Mitglied der FDP. Er sitzt seit 1998 für die Partei im Deutschen Bundestag und beleitete verschiedene Ämter, derzeit ist er stellvertretender Bundesvorsitzender. Brüderle ist seit dem 28. Oktober 2009 Bundesminister für Wirtschaft und Technologie.

tagesschau.de: Welche Eindrücke haben Sie vom Gespräch mit dem portugiesischen Wirtschaftsminister, den Sie auf der Rückreise getroffen haben?

Brüderle: Es hat sich gezeigt, dass man in Portugal - analog zur Vorgehensweise in Deutschland - einen Fahrplan aufgegriffen hat. Man wird in der nächsten Woche ein Gesetz durch das Parlament bringen, das die Regierung ermächtigt, gemäß der Beschlüsse des Ministerrats der Europäischen Union zu handeln.

"Portugal ist nicht mit Griechenland vergleichbar"

tagesschau.de: Aber das Land hat doch auch eine Abwertung seines Ratings erfahren?

Brüderle: Portugal ist nicht mit Griechenland vergleichbar. Wenn man die Situation nach den Hauptkriterien des Stabilitätspakts, wie laufende Verschuldung und Gesamtverschuldung bewertet, liegt Portugal noch unter dem europäischen Durchschnitt. Regierung und Opposition haben dort auch einen Pakt geschlossen, gemeinsam ihre Angelegenheiten in die Balance zu bringen. Es sind Eingriffe bis in das Alterssicherungssystem vorgesehen, so dass man damit das Gleichgewicht des Haushaltes und die Stärkung der Wirtschaft auf den Weg bringt.

tagesschau.de: Sie wollen Exportmärkte wie Brasilien, das mit 200 Millionen Menschen inzwischen die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, für die deutsche Wirtschaft besser erschließen. Wie soll das geschehen?

Brüderle: Die Eindrücke in Brasilien haben mir gezeigt, dass wir dort auf großes Interesse stoßen. Dort stehen Mega-Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro im Vordergrund. Dafür sind deutsche Ingenieurskunst, deutsches Projektmanagement und deutsche Sicherheitsunternehmen außerordentlich gefragt. Dies gilt auch für den Transportsektor: Dort geht es unter anderem um Hochgeschwindigkeitszüge von Rio de Janeiro nach Sao Paulo. Die Brasilianer setzen sehr auf deutsche Technologie und deutsche Kompetenz und wir bringen potenzielle Partner zusammen.

"Davon träumen wir in Deutschland"

tagesschau.de: Selbst im Krisenjahr 2009 hat Brasilien keinen Wirtschaftsrückgang erlebt, sondern eine "schwarze Null". Welche Aussichten hat man Ihnen für dieses Jahr genannt?

Brüderle: Für dieses Jahr rechnet das Land mit einem Plus von 6,5 Prozent. Davon träumen wir in Deutschland. Hintergrund ist eine starke Dynamik auf dem Rohstoffsektor, etwa Eisenerz oder große Ölfunde an der Küste vor Rio de Janeiro. Wir haben viele deutsche Unternehmen jeder Größe, die in Brasilien engagiert sind. Wir haben viele Brücken, weil es deutsche Auswanderer gibt. Das Land ist also für uns ganz entscheidend, um Wachstum anzuschieben.

Grünes Licht für Rüstungsexporte?

tagesschau.de: Brasilien will seine Marine ausbauen - auch, um seinen Anspruch auf unterseeische Ölvorkommen vor der Küste zu untermauern. Drei Fregatten und einige Küstenschnellboote im Gesamtvolumen von bis zu zwei Milliarden Euro will das Land ordern. Wird das nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz durchgehen?

Brüderle: Diese Aufträge wären außerordentlich hilfreich, weil wir auf unseren Werften ja eine schwierige Lage haben. Sie würden, da solche Fregatten vier Jahre Bauzeit haben, eine längere Auslastung garantieren. Insofern haben wir ein großes Interesse. Brasilien ist ja ein uns freundschaftlich verbundenes Land. Natürlich müssen die Abläufe, wie sie vorgegeben sind, eingehalten werden. Und die Gespräche haben mich bestärkt, dass Deutschland gute Chancen hat, dabei zu sein.

"Je mehr Aktivität, desto besser für Deutschland"

tagesschau.de: Vor Ihnen war ja gerade erst Außenminister Guido Westerwelle mit einer Wirtschaftsdelegation in Brasilien. Ihr liberaler Parteivorsitzender versteht sich selbst auch als Außen-Wirtschaftsminister. Ist das ein Problem für Sie?

Brüderle: Nein. Das ist ja nur hilfreich. Ich bin ja für jeden Kollegen, auch für den Außenminister, dankbar, der Kontakte herstellt. Auch unsere Kollegin Annette Schavan, die den Wissenschaftsbereich und Bildung mit vertritt, ist unterwegs, um Kontakte herzustellen. Ich war selbst auch zwölf Jahre lang Landeswirtschaftsminister und habe auch viele Außenwirtschaftsaktivitäten entwickelt. Je mehr Aktivität entfaltet wird, desto besser ist das für Deutschland.

Kriterien für Auswahl der Delegation?

tagesschau.de: Hat man nach dem Streit über zu viele FDP-nahe Teilnehmer von Westerwelles Reisegruppen die Auswahl der Teilnehmer Ihrer Delegation noch einmal geprüft ? Nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt ?

Brüderle: Das wird ausgeschrieben. Da gibt es Vorschläge beispielsweise vom BDI oder den Kammern. Wir haben einen Themenschwerpunkt gebildet, nämlich die beiden Mega-Ereignisse, die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele sowie den großen Sektor des Transportwesens. Dazu habe ich noch eine Aktion zu Energie-Effizienz und erneuerbaren Energien gestartet. Ich habe in Sao Paulo die "Casa Alemana", ein mobiles Demonstrationshaus, eröffnet. Es wird 16 Monate lang durch 13 Länder Lateinamerikas fahren und zeigen, wie man intelligent Energie sparen und sie besser nutzen kann. Deutschland ist in diesem Bereich Marktführer. Nach diesen Themenfeldern sind die Ausschreibungen und die Ansprachen an Verbände und Organisationen erfolgt. Wir fragen niemanden nach seiner Parteizugehörigkeit.

"Arbeitsplätze entstehen nicht durch rote Fahnen am 1. Mai"

tagesschau.de: Die Weltwirtschaft zieht vor allem außerhalb Europas stark an. Was muss in Deutschland passieren ?

Brüderle: Wir müssen unsere Möglichkeiten nutzen. Dazu kommt, dass wir neben der Exportoffensive auch den Binnenmarkt stärken müssen. Deshalb ist unter anderem auch die Steuerentlastung bei kleinen und mittleren Einkommen so wichtig. An der müssen wir festhalten, weil es ja eine Frage der Gerechtigkeit ist, der Leistungsfähigkeit, aber auch der Stärkung des Binnenmarktes. Unsere Nachbarn fragen ja auch: Könnt ihr nicht zusätzlich - neben euren Exportanstrengungen - mehr für den Binnenmarkt tun? Das wollen wir, aber Sie können ja auch nur dann mehr kaufen, wenn Sie mehr im Geldbeutel haben. Deshalb wollen wir das verfügbare Einkommen der Menschen erhöhen. In der sozialen Marktwirtschaft entstehen die Arbeitsplätze nicht durch rote Fahnen am 1. Mai. Sie entstehen dadurch, dass wir mehr Geld haben, um etwas zu kaufen, dessen Herstellung andere Menschen in Arbeit bringt. So funktioniert die soziale Marktwirtschaft.

tagesschau.de: Wachstum braucht auch kalkulierbare politische Rahmenbedingungen. Wir bewerten Sie das politische Krisenmanagement in der Griechenland-Krise ?

Brüderle: Wir sind auf einem klaren Kurs. Die europäische Entwicklung orientiert sich sehr an den deutschen Vorstellungen. Wir haben ja eine Situation, die man noch nicht hatte. Deshalb ist Gründlichkeit wichtig. Wir müssen uns auch vergewissern, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und wir müssen auch dem deutschen Steuerzahler gegenüber verantworten, dass das vernünftig ist. Wir haben eine Währungs- und Wirtschaftsunion, und keine Verteilungsunion.

Das Interview führte Thomas Kreutzmann, ARD Berlin