Hohe Kosten und Umsatzverluste Ein schlechtes Jahr für die Chemieindustrie
Die deutsche Chemieindustrie hat in diesem Jahr Umsatz eingebüßt. Sie klagt über gestiegene Energiekosten - und dass sich der Staat zu viel einmische. Ist der Industriestandort Deutschland angezählt?
Obwohl die Produktionsmenge der Chemischen Industrie dieses Jahr leicht gestiegen ist, sank nach Angaben des Branchenverbands VCI der Umsatz. In einer insgesamt schrumpfenden Wirtschaft mangelt es an Nachfrage. Die Verkaufspreise sinken.
Das Statistische Bundesamt veröffentlichte heute Zahlen zum deutschen Außenhandel. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sank der Export chemischer Produkte von Januar bis Oktober zwischen 2,2 Prozent (sogenannte organische Chemie) und 8,3 Prozent (anorganische Chemie).
Verbandspräsident schlägt Alarm
"Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft schrumpft wie ein Bratapfel im Ofen", sagte der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Markus Steilmann, am Morgen in Frankfurt am Main. "Unsere Mitglieder kürzen Investitionen am Standort Deutschland", berichtete Steilmann über die große deutsche Leitindustrie Chemie.
Die Branchenvertreter nennen zwei große Probleme: zu teure Energieträger und überbordende Aktivität des Staates bei Statistik, Regulierung und Genehmigungen.
Industrie warnt vor großflächigem Stellenabbau
Langfristig dürfte es für energie- und rohstoffintensive Grundstoffproduktion in Deutschland immer weniger Platz geben, heißt es vom VCI. Noch werden knapp eine halbe Million Menschen von deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen beschäftigt. Wenn gestrichen wird, fallen Arbeitsplätze weg.
Die oberen Tarifgruppen, sagte VCI-Präsident Steilmann, würden zum Spitzensteuersatz besteuert - es handelt sich also um Einkommen nach Abzug von Freibeträgen von mindestens knapp 67.000 Euro (für Alleinstehende) oder 134.000 Euro (Verheiratete).
Chemiegigant BASF schließt in Ludwigshafen Fabriken
Der Essener Chemiekonzern Evonik hatte bereits mitgeteilt, 2.000 von weltweit 33.000 Stellen streichen zu wollen. Am Morgen wurde bekannt, dass auch das Management betroffen ist. Eine komplette Führungsebene werde entfallen. Die bisher drei Geschäftssparten werden zu zwei Sparten zusammengeführt. Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass Unternehmensteile verkauft werden sollen.
Auch die BASF baut Tausende Stellen ab und schließt an ihrem Heimatstandort Ludwigshafen ganze Fabriken. Eigentlich sollen die Anlagen auf dem "Verbundstandort" miteinander arbeiten: Des einen Endprodukt ist des anderen Vorprodukt, und manch Anlage kann auch mit den Abfällen der Nachbarn etwas anfangen. Doch der alte Verbund ächzt. Mehr als jede fünfte BASF-Fabrik in Ludwigshafen gilt als problematisch; mehrere werden geschlossen, manche sollen umgebaut werden.
Stilllegen, Verkaufen, ins Ausland verlagern
Eine Umfrage unter den Mitgliedern des VCI zeigt, dass die BASF kein Einzelfall ist. Jedes sechste Chemieunternehmen plant demnach, bestimmte Produktionen stillzulegen. Jedes Fünfte will sich von Geschäftsfeldern trennen, worunter auch Verkäufe fallen.
Und jedes vierte deutsche Chemieunternehmen verlagert ins Ausland - bevorzugt nach Nordamerika, China und Südost-Asien. In Deutschland, sagt VCI-Präsident Steilmann, werde fast nur noch in Instandhaltung investiert.
Jahrelang warten auf staatliche Genehmigungen?
Die Aussichten der Branche sind schlecht. Umso drastischer stellt der VCI politische Forderungen auf. Steilmann forderte einen "wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag". "Es gilt, grüne Transformation und wirtschaftlichen Erfolg in Einklang zu bringen", sagte Steilmann. Er kritisierte nicht nur die scheidende Bundesregierung, sondern auch die EU-Kommission, die ihren "Green Deal stur durchgezogen" habe.
Beim Thema Genehmigungen sei es "fast kabarettreif", dass zum Bürokratieabbau Bürokratieabbaugesetze beschlossen würden. Obwohl die öffentliche Verwaltung wachse, dauerten Verfahren immer länger. "Ich kenne Unternehmen, die Jahre auf Genehmigungen warten", berichtete der VCI-Präsident, "nicht Wochen, nicht Monate, sondern Jahre".
Keine Details zu Parteispenden
VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup weigerte sich, konkret über die Parteispenden des Verbands Auskunft zu geben. Man habe dieses Jahr zur Europawahl den demokratischen Parteien von den Grünen bis zur CSU gespendet. Zur kommenden Bundestagswahl seien brieflich Spenden "entsprechender Summen" angekündigt worden.
Spenden ab 50.000 Euro, seit Anfang dieses Jahres ab 35.000 Euro, müssen veröffentlicht werden. Die Datenbank des Bundestages zeigt in den vergangenen fünf Jahren nur eine Großspende des VCI: 2021 bekam die CDU 100.000 Euro. "Wir hoffen auf den richtigen Ausgang der Bundestagswahl" sagte Steilmann.