Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer
interview

Wirtschaftsweise Schnitzer "Der Druck muss von den Jungen kommen"

Stand: 02.02.2023 09:24 Uhr

Hilfspakete, Sondervermögen, Rekordschulden: Wie soll das bezahlt werden? Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Schnitzer, spricht sich im Interview mit tagesschau.de dafür aus, nicht zu viele Lasten auf die kommende Generation zu schieben.

tagesschau.de: Wir haben ein Jahr mit massiven Staatseingriffen in die Wirtschaft hinter uns: Subventionen für Energiepreise, Sonderzahlungen, Förderprogramme für Umbau der Industrie. Wer soll das alles bezahlen?

Monika Schnitzer: Aktuell machen wir das, indem wir Schulden machen. Auf der einen Seite ist das gerechtfertigt. Denn wir haben eine so große Krise und brauchen mit einem Mal viel Unterstützung in kurzer Zeit - das kann man nicht in ein, zwei Jahren finanzieren.

Man sollte es aber nicht der nächsten Generation in 30, 40 oder 50 Jahren aufbürden, sondern man sollte dafür sorgen, dass diese Schulden in den nächsten Jahren zurückgezahlt werden.

tagesschau.de: Aber das passiert doch nicht.

Schnitzer: Dafür müsste man die aktuelle Generation weit stärker zur Kasse bitten.

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer
Zur Person
Monika Schnitzer ist seit Oktober 2022 die Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz auch die fünf "Wirtschaftsweisen" genannt. Sie gehört dem Gremium seit April 2020 an.

Schnitzer ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Sie promovierte und habilitierte an der Universität Bonn und war Gastprofessorin an der Boston University, am MIT, an der Stanford University, Yale University, University of California, Berkeley, und an der Harvard University. 2006 bis 2009 war sie Dekanin der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU.

In ihrer Forschung beschäftigt Schnitzer sich mit Innovation, Wettbewerb und multinationalen Unternehmen. Seit 20 Jahren ist sie in der Politikberatung aktiv. Monika Schnitzer wurde 2005 mit dem Bundesverdienstorden am Bande ausgezeichnet.

"Energiesoli" für Besserverdienende?

tagesschau.de: Das heißt praktisch? Wer soll wie zahlen?

Schnitzer: Der Sachverständigenrat hat bei den Gaspreisbremsen darauf hingewiesen, dass sie nicht zielgenau sind: Es profitieren alle. Wir sind uns aber doch einig, dass die Armen, die die hohen Heizkosten sonst nicht tragen könnten, unterstützt werden müssen.

Die Besserverdienenden brauchen das nicht. Die bekommen jetzt sogar mehr, weil sie für ihre größeren Häuser mehr Gas und Strom verbraucht haben. Wir haben deshalb einen "Energiesoli" vorgeschlagen, den die Besserverdienenden zahlen sollen.

Oder man kann den Spitzensteuersatz erhöhen - das aber nur für die Zeit, in der allgemein entlastet wird. So würde das Paket von Be- und Entlastungen zielgenauer.

tagesschau.de: Es geht Ihnen dabei nicht so sehr um Umverteilung, sondern um Schonung der kommenden Generation?

Schnitzer: Es geht tatsächlich darum, nicht so viel Schulden zulasten der kommenden Generation aufzunehmen. Das würde ja aktuell auch die Inflation noch weiter anheizen. Wir nennen das den "fiskalischen Impuls". Es ist doch nicht sinnvoll, die falschen Menschen mit höheren Staatsausgaben zu entlasten und damit die Inflation, die alle trifft, hochzutreiben.

"Für Pflege muss etwas zurückgelegt werden"

tagesschau.de: Gehen wir weg von akuten Staatsausgaben, hin zu den dauerhaft zahlenden Sozialkassen: Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung. Das wird alles immer teurer. Wer soll das bezahlen?

Schnitzer: Diejenigen, die davon profitieren! Lassen Sie mich das am Beispiel der Pflege beschreiben: Wir leben immer länger. Wir haben immer mehr Menschen, die gepflegt werden müssen. Wir können nicht erwarten, dass das die Allgemeinheit trägt.

Im Grunde muss doch jedem klar sein: Für Pflege muss etwas zurückgelegt werden. Die Pflegeversicherung macht das ja, aber die Beiträge sind begrenzt worden.

Zugleich ist sehr stark eingeschränkt worden, ab welchem Einkommen Kinder für Pflege ihrer Eltern finanziell beitragen müssen. Nur wer selbst mindestens 100.000 Euro brutto verdient, kann dazu verpflichtet werden. So ist Pflege auf Dauer aber nicht zu bezahlen.

tagesschau.de: Wie dann?

Schnitzer: Es muss eine Rücklage geschaffen werden. Wir brauchen angepasste Beiträge zur Pflegeversicherung.

Zu wenig öffentliche Diskussion?

tagesschau.de: Also höhere Beiträge?

Schnitzer: Ja, höhere Beiträge. Dann muss man wieder am sozialen Ausgleich arbeiten. Denn für manche mögen ja höhere Beiträge nicht möglich sein. Aber für die Reicheren ist das schon leistbar.

tagesschau.de: Das heißt: Sozialbeiträge hoch, für Reiche ganz besonders. Wer will denn sowas politisch durchsetzen?

Schnitzer: Der Druck muss von den jungen Menschen kommen. Wir brauchen eine junge Generation, die sich das zum Thema macht, so wie sie das beim Klimaschutz tut.

tagesschau.de: Sie gehören der Generation der Profiteure an und rechnen vor, dass es so nicht weitergeht. Den wirklich Betroffenen, der jungen Generation, scheint es weitgehend egal zu sein. Ist es nicht absurd?

Schnitzer: Ich weiß nicht, ob es den jungen Menschen wirklich egal ist oder ob ihnen die Tragweite nicht richtig klar ist. Es wird ja auch nicht wirklich öffentlich diskutiert.

Das Interview führte Ingo Nathusius, hr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. November 2022 um 23:37 Uhr.