Gespräch mit Italiens Ministerpräsident Monti "Italien muss nicht unter den Rettungsschirm"
Italiens Ministerpräsident Mario Monti wehrt sich gegen Versuche, aus seinem Land einen Euro-Wackelkandidaten zu machen. Im Gespräch mit dem ARD-Hörfunkstudio Rom verweist er auf die Anstrengungen seiner Regierung. Durch seine Vergangenheit werde Italien immer als lustiges, undiszipliniertes Land dargestellt, aber momentan sei Italien disziplinierter als viele andere europäische Länder.
ARD-Hörfunkstudio Rom: Am Wochenende hat Spanien für seine Banken Finanzhilfen bei den EU-Partnern beantragt. Und schon macht das Gerücht die Runde: Der nächste Kandidat ist Italien. Herr Ministerpräsident, muss auch Italien mit seinem gewaltigen Schuldenberg unter den Rettungsschirm schlüpfen?
Mario Monti: Ich glaube: nein. Italien hat eine hohe Staatsverschuldung, das ist nichts Neues. Wenn wir über Verschuldung sprechen, hat Italien auf der anderen Seite sehr geringe Privatschulden - im Gegensatz zu anderen Ländern. Auch Unternehmen und Familien sind wenig verschuldet. Und in jedem Fall ist die Haushaltspolitik in Italien, wie wir wissen, jetzt eine andere.
Der Staatshaushalt wird dieses Jahr mit einer nur geringen Neuverschuldung abgeschlossen, mit zwei Prozent. Und nächstes Jahr wird es einen Überschuss geben. Ich verstehe, dass man Italien durch seine Vergangenheit als lustiges, undiszipliniertes Land begreifen kann. Aber momentan ist Italien disziplinierter, als viele andere europäische Länder - und es ist auch nicht besonders lustig. Aber es unternimmt die richtigen Dinge, um ein solides Land zu werden.
ARD: Die österreichische Finanzministerin sieht das ja etwas anders: Sie geht davon aus, dass Italien Hilfe brauchen wird.
Monti: Sie hat das am Montag gesagt. Einen Tag später muss sie das wohl ein wenig überdacht haben. Denn sie hat eine Richtigstellung veröffentlicht. Ich wiederhole: Wir haben jetzt schon die Schuldenbremse in die italienische Verfassung aufgenommen - früher, als andere Länder. Außerdem haben wir der Steuerhinterziehung den Kampf angesagt, das gab es so noch nie. Im vergangenen Jahr haben wir so 13 Milliarden Euro mehr eingenommen und wir erwarten für dieses Jahr ein noch besseres Ergebnis. Also, Italien ist ein Land, das ohne viel Lärm Verständnis für den notwendigen Wandel beweist. Das Land verändert sich. Zum Beispiel wurde eine weitreichende Rentenreform angenommen - und es gab gerade mal drei Stunden Streik.
ARD: Am kommenden Wochenende sind Wahlen in Griechenland. Sollten die Griechen erneut gegen den Sparkurs stimmen, gibt es doch keine Alternative mehr zu einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone?
Monti: Also - ein Problem nach dem anderen. Ich habe den Eindruck, dass in Griechenland der Wille der Öffentlichkeit Tag für Tag größer wird, den Euro zu behalten. Die Griechen wollen das. Und die griechische Öffentlichkeit ist sich bewusst, dass der große Nutzen, weiter im Euroraum zu bleiben, auch einen Preis hat - und zwar die von der EU geforderten Stabilitätsmaßnahmen. Und Griechenland hat ja bereits mit deren Umsetzung begonnen.
ARD: Sie sind erklärtermaßen ein Befürworter von Eurobonds, also einer Art Schuldenunion. In Frankreichs neuem Präsidenten Hollande haben sie da auch einen starken Verbündeten bekommen. Auch aus Berlin hört man neuerdings Signale, die zeigen, dass der Widerstand dagegen schwächer wird. Aber die Angst der Deutschen, Holländer, Österreicher bleibt ja, dass sie am Ende für Schulden der anderen bezahlen müssen. Was sagen Sie dazu?
Monti: Zuerst einmal: Die Eurobonds oder ähnliche Formen wie der Tilgungsfonds, der von deutschen Regierungsberatern vorgeschlagen wurde, können nur Teil einer Gesamtlösung sein. Und die muss sich sehr stark auf Elemente wie zum Beispiel die Haushaltsdisziplin stützen, so wie sie von Deutschland gewollt ist, oder eine Geldpolitik, die der Inflation gegensteuert.
Aber, dass behauptet wird: "Wir sind die einzigen, die zahlen", ist kurios. Vielleicht denken die Deutschen ja, dass Italien nichts für den Zusammenhalt in Europa bezahlt. Von wegen: Italien zahlt doppelt; einmal mit seinem finanziellen Anteil, mit dem Griechenland, Portugal, Irland und jetzt auch Spanien unterstützt werden. Und dann bezahlt Italien extrem hohe Zinsen auf Staatsanleihen, Grund dafür ist die angespannte Lage auf den Finanzmärkten.
Deutschland hingegen zahlt zwar eine wesentlich höheren Anteil für die Finanzhilfen, hat aber den großen Vorteil äußerst niedriger Zinsen für die Staatsschulden. Sie sind praktisch spiegelverkehrt zu den sehr hohen Kosten für die Staatsschulden eines Landes, das, obwohl es jetzt eine solide Haushaltspolitik betreibt wie Deutschland, sehr hohe Zinsen zahlen muss. Das Land heißt Italien.
Das Wichtigste für uns Europäer ist, sich zu zwingen, nicht in Klischees und Vorurteilen zu denken - keiner ist immun dagegen. Man muss die Realität sehen. Man muss auch bedenken, wie viel Vorteile Deutschland durch die Europäische Union genießt - über gewisse Kosten hinaus. Da gilt übrigens für alle.
ARD: Am Montag gab es eine neue Umfrage hier in Italien und demnach halten 69 Prozent der Italiener den Kurs der deutschen Regierung für falsch und nur 31 Prozent sagen: Merkel hat recht mit ihrem Sparkurs. Wo reiht sich denn der italienische Ministerpräsident ein?
Monti: Der Ministerpräsident setzt sich dafür ein, dass jedermann besser die Gründe der anderen versteht. Ich verbringe meine Zeit damit, den Italienern zu erklären: Die Disziplin, der wir uns unterziehen müssen, wurde uns nicht von Europa vorgeschrieben oder gar von Deutschland. Sie wurde uns von der Vernunft vorgeschrieben.
Und etwas weniger Zeit verbringe ich damit, wenn dazu Gelegenheit ist, in Deutschland oder in anderen Ländern zu erklären, dass es nötig ist, der disziplinierten, rigorosen Haushaltspolitik, wie sie in Italien und anderen Ländern durchgeführt wird, eine Politik zur Seite zu stellen, die das Wachstum fördert. Nicht als Antithese, sondern als Ergänzung zur Haushaltsdisziplin. Und da finde ich mich in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und anderen EU-Mitgliedsstaaten. Jetzt geht es darum, sehr schnell zu konkreten Ergebnissen und europäischen Entscheidungen zu kommen.
ARD: Wenn man, so wie wir, ihre Regierung in diesen ersten sieben Monaten begleitet, dann scheint der aller erste Schwung, die erste Euphorie verflogen zu sein. Wir warten auf die großen Reformen: Arbeitsmarkt, Justiz, Verwaltung. Woran liegt es denn, dass da nichts vorwärts geht?
Monti: Ich kann diese Analyse nicht teilen. Zum Beispiel wurden in der Justiz neue Gerichte für Unternehmen eingeführt, die eine konkrete und sehr nützliche Reform der Justiz darstellen. In der öffentlichen Verwaltung haben wir das Paket zur Vereinfachung der Abläufe verabschiedet. Die Reform des Arbeitsmarktes, die von der OECD als sehr gut beurteilt wurde, ist bereits vom Senat verabschiedet worden. Das Abgeordnetenhaus muss in den nächsten Wochen noch darüber abstimmen.
Es ist ganz klar, dass man mit diesem Reformtempo nicht weitermachen kann. Klar ist auch, je näher wir dem Wahltermin im Frühjahr 2013 und dem Ende dieser Regierung kommen, wird die Frage wichtiger: Wird sich das politische System in Italien erneuern können, um effizient arbeiten zu können? Hoffen wir es: Hier sind die Parteien gefragt, jeden Zweifel diesbezüglich auszuräumen, zum Beispiel mit einer Wahlrechtsreform.
Das Interview führte Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom.