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Kritik der Ökonomen Was den Renten-Plänen der Parteien fehlt
Spielt das Thema Rente im Wahlkampf eine Rolle? Auf jeden Fall wird sich die nächste Regierung damit beschäftigen müssen. Wirtschaftsexperten halten die Ideen der Parteien für nicht weitgehend genug.
Die Rente ist sicher, die Rente ist nicht sicher - das Thema ist ein ewiger Streitpunkt, umso mehr in der heißen Wahlkampf-Zeit. Seltene Einigkeit gibt's nur in einem Punkt: dass es mit der Rente so nicht weitergeht.
Seit Jahrzehnten ist klar, dass jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Und ihre Rente muss finanziert werden - von wenigen jungen Beitragszahlenden, zu wenigen. Der Bevölkerungsanteil der Menschen im Rentenalter wird bis 2035 schnell und stark wachsen.
Eine Auswertung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass 19,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der sogenannten Babyboomer-Jahrgänge dem deutschen Arbeitsmarkt in den kommenden zwölf Jahren verloren gehen. Es kommen aber nur 12,5 Millionen jüngere Beschäftigte nach. Die Prognose basiert auf Daten des Zensus 2022 und des Statistischen Bundesamts sowie auf eigenen Berechnungen des IW.
Die Gesellschaft altert
Viele Ideen der Parteien liegen auf dem Tisch, um das System zu stabilisieren und zu verändern. Aber Moritz Kraemer, Chefvolkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg, erkennt zu wenig tiefgreifende Ideen, hauptsächlich gehe es um ein "weiter so". Zu wenig, um die strukturellen Probleme zu lösen, die aufgrund der demografischen Veränderungen kommen - also der immer älter werdenden Gesellschaft bei zu wenig nachkommenden Beitragszahlenden.
Keine Partei fordert ein höheres Renteneintrittsalter. Darauf pochen allerdings Deutschlands Arbeitgeber, die sich für eine Kopplung an die durchschnittliche Lebenserwartung aussprechen. Nach derzeit geltendem Recht wird die Altersgrenze für die Regelaltersrente ohne Abschläge bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Die Forderung nach einem höheren Rentenalter hatte schon in der Vergangenheit immer wieder heftige Reaktionen ausgelöst, unter anderem der Gewerkschaften.
Die Jüngeren brauchen Spielraum
Auch nach Einschätzung vieler Ökonomen müssen die Deutschen länger arbeiten, sonst werde es wohl nicht gehen. Volkswirt Kraemer sagt: "Machen wir es attraktiv, dass Menschen, die weiterarbeiten können auch weiterarbeiten wollen." Auch Martin Werding, einer der fünf "Wirtschaftsweisen", findet Anreize für längeres Arbeiten wichtig. "Daneben brauchen wir, und das ist das Entscheidende, Luft zum Atmen für die Jüngeren. Damit die in den nächsten 20 Jahren und so richtig erst, wenn sie eine ganze Erwerbsphase - also 40 Jahre - ergänzend vorsorgen, tatsächlich ein zweites Standbein für die Alterssicherung haben."
Und das zusätzlich zum Umlage-Rentensystem, bei dem von den Beiträgen der Beschäftigten die Altersbezüge der aktuellen Renten-Empfänger bezahlt werden. Dieses Modell werde durch die Demografie in den nächsten Jahren komplett gestresst, sagt der Wirtschaftsweise: "Wir müssen uns längerfristig auf eine Alterssicherung vorbereiten, die mit unserer schwierigen Demografie zu Rande kommt, und dazu gehört ergänzende Kapitaldeckung auf Aktienbasis mit hohen Erträgen und erträglichen Risiken."
Was die Parteien planen
Die Idee einer Aktienrente hatte die Ampel-Koalition zum sogenannten "Generationenkapital" gemacht. Umgesetzt hat die Regierung den Vorschlag nicht mehr. Dabei wird in Aktien investiert, um zusätzliche Einnahmen für das Rentensystem zu generieren.
In ihren Wahlprogrammen erwähnen SPD, die Linke und die AfD die Aktienrente nicht. Das BSW spricht sich dagegen aus. Die Union plant eine sogenannte Frühstart-Rente, bei der junge Menschen möglichst früh selbst kapitalgedeckt vorsorgen sollen. Die Grünen setzen auf einen sogenannten "Bürger*innenfonds", mit dessen Erträgen etwa geringe und mittlere Renten gestärkt werden sollen. Die FDP setzt weiterhin auf Aktien für die Kapitaldeckung der Rente.
Das seien richtige Konzepte, die aber alle viel zu spät kämen, kritisiert Volkswirt Kraemer: "Der Zug ist abgefahren, das hätte man vor 20, 25 Jahren machen müssen." Viele Menschen aus den geburtenstarken Jahrgänge stehen kurz vor der Pensionierung; jetzt sei keine Zeit mehr, Kapitaldeckung aufzubauen.
Renten-Vorbild Schweden?
Schweden gilt als Vorbild bei der Aktienrente. Die Mischung aus umlagenfinanzierter und kapitalgedeckter Altersversorgung besteht in Schweden seit einer Renten-Reform vor rund 25 Jahren.
"Die Schweden machen das aber schon seit vielen Jahrzehnten", so Kraemer. "Und die machten das schon, als die Bevölkerung noch jung war."
Die Finanzierung ist unklar
Zur Frage, wie die steigenden Ausgaben für die Renten finanziert werden sollen, finden sich in den Wahlprogrammen kaum konkrete Aussagen. Auch nicht dazu, wie sich der Renten-Beitragssatz entwickeln soll. Ein Sprung von aktuell 18,6 Prozent nahe an die 20 Prozent stehe bevor, sagt der "Wirtschaftsweise" Werding: "Das wird ein ziemlicher Schock."
Der Ökonom geht davon aus, dass in der neuen Legislaturperiode über eine Rentenreform geredet wird. Und dann gehe die Reise immer weiter. "Es kommen dann irgendwann 21, 22, 23 Prozent - die Frage ist nie, ob, sondern wann? Passiert das schon in zehn Jahren oder dauert es noch ein bisschen länger?"
Neben den Beiträgen werden aber auch die Bundesmittel für die gesetzliche Rentenversicherung steigen. Und das macht den Spielraum im Bundeshaushalt für andere Ausgaben kleiner.
Auch Volkswirt Kraemer wirft deswegen die Frage auf: "Wenn man sagt, die Jungen sollen's machen, muss man klären, wo das Geld dann herkommen soll." Und irgendwoher muss das Geld kommen. Sozialverbände wie der VdK fordern schon lange, dass auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen. Damit werde die Rentenbasis verbreitert und gestärkt.
Das Modell Österreich
An diesem Punkt geht der Blick häufig nach Österreich, wo diese Forderung schon längst Realität ist. Dort gilt seit einer große Rentenreform, dass fast alle Beschäftigten in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Eine Folge: Österreich hat ein deutlich höheres Rentenniveau als Deutschland. Laut Deutscher Rentenversicherung betrug die durchschnittliche gesetzliche Rente 2022 in Österreich monatlich 1.645 Euro, war also rund 500 Euro höher als in Deutschland.
Finanziert wird das in Österreich auch über höhere Beitragssätze und mehr Mittel vom Bund. Im Schnitt ist die Bevölkerung etwas jünger als Deutschland. Auch Selbstständige zahlen in die staatliche Rentenkasse ein, und es wird immer weniger verbeamtet.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Ein solches Modell auf Deutschland zu übertragen, wäre eine gigantische Aufgabe. Der Deutsche Beamtenbund warnt vor einer möglichen Doppelbelastung, weil die verschiedenen Finanzierungslogiken der gesetzlichen Rente und der Beamtenpensionen zusammengeführt werden müssten.
Egal, wie die nächste Regierung zusammengesetzt sein wird: Die Rente dürfte eine ihrer größten Baustellen sein. Steigende Renten- und Sozialbeiträge belasten jüngere Erwerbstätige, höhere Beitragssätze lassen auch die Lohnzusatzkosten für Arbeitgeber steigen - und Arbeit wird teurer. Die Frage der Rente bleibt also eine der Gerechtigkeit.