Deutsche Gasversorger Gerüstet für ein Embargo?
Mehrere Stadtwerke schlagen Alarm: Sie befürchten einen Gasmangel, falls es zum Embargo gegen Russland kommt. Das Problem: Die lokalen Versorger hängen von den Gashändlern ab.
In vielen deutschen Rathäusern geht die Angst um vor einer Gaskrise. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) beobachtete unlängst mit großer Sorge, dass die deutschen Gasspeicher relativ niedrige Füllstände aufwiesen. In einem Brief forderte er das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen auf, sich für Versorgungssicherheit einzusetzen.
Stadtwerke Essen bereiten sich auf Not-Szenarien vor
Schon vor dem Ukraine-Krieg warnten die Stadtwerke Essen vor einer nationalen Gasmangel-Lage. Der lokale Versorger bereite sich daher technisch auf Szenarien vor, bei denen wenig oder gar kein russisches Gas geliefert werde. Dabei spiele man durch, was passiere, wenn der Druck im Gasnetz geringer würden, erklärte ein Sprecher.
Noch fließt russisches Erdgas nach Europa und Deutschland - in den letzten Tagen sogar mehr. "Wir sehen momentan einen starken Anstieg", bestätigte Energie-Analyst Andreas Schroeder vom Marktforschungsinstitut ICIS gegenüber tagesschau.de. Über den Abnahmepunkt über die Ukraine in die Slowakei käme mittlerweile fast doppelt so viel Erdgas aus Russland wie noch vor zwei Tagen, erklärte er vor einer Woche.
Doch je länger der Ukraine-Krieg dauert und je schärfer die Sanktionen gegen Russland sind, desto größer ist die Gefahr eines Gas-Embargos. So könnte Russland als Vergeltung gegen die Sanktionen Europa den Gashahn zudrehen. Möglich wäre aber auch, dass aus politischen Gründen die EU den Gashandel mit Russland einstellt.
Bis zum Sommer keine kalten Wohnungen
Stadtwerke, Energiekonzerne und Verbände beteuern, dass ein Stopp russischer Gas-Importe kurzfristig keine dramatischen Folgen für Verbraucher hätte - zumindest bis zum Sommer. "Die Gasspeicher sind im Moment so gefüllt, dass wir uns nicht vor einem Embargo fürchten müssen", sagt Marie-Luise Wolff, Vorstandsvorsitzende des Darmstädter Versorgers Entega. "Wir kommen damit noch bis an den Sommer heran, es wird keine Wohnung kalt bleiben."
"Durch den Ukraine-Krieg erwarten wir zum jetzigen Zeitpunkt keine direkten Auswirkungen für die Energieversorgung in Frankfurt und für unsere Kundschaft", beruhigt eine Sprecherin des Frankfurter Versorgers Mainova. Auch der Mannheimer Versorger MVV sieht derzeit keinen Anlass zur Panik. "Die Mannheimer brauchen sich derzeit keine Sorgen um ihre Gasversorgung machen."
Zittern vor dem nächsten Winter
Problematisch könnte es aber im nächsten Winter werden. "Die Importe werden sich bis dahin nicht komplett kompensieren lassen", warnt Energie-Analyst Schroeder. Er befürchtet Rationierungen im nächsten Winter. Bei einer längeren Unterbrechung oder beim Ausfall der Lieferung von russischem Erdgas würde der Notfallplan Gas der Bundesregierung greifen. Dann würden so genannte geschützte Endverbraucher, also Privathaushalte, Krankenhäuser und so weiter, vorrangig versorgt werden - zu Lasten der Industrie.
"Sollten Liefermengen ausbleiben und nicht durch andere Routen ersetzt werden, so werden Lastabschaltungen zuerst in der Industrie vorgenommen, um Haushalte und andere geschützte Kundengruppen mit Gas versorgen zu können", erklärt Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands "Zukunft Gas". Besonders in den industriellen Zentren Bayerns und Baden-Württembergs wäre dann die Gasmangel-Lage spürbar.
Wie bereiten sich die Gasversorger auf den Extremfall eines Gas-Embargos vor? Haben sie einen Plan B? "Die Stadtwerke in Deutschland beschäftigen sich intensiv mit allen möglichen Szenarien und erarbeiten Notfallpläne auch für den Fall, dass Gaslieferungen aus Russland ausbleiben", erklärt ein Sprecher des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU). Ein Gas-Stopp würde vor allem die Wärmeversorgung betreffen.
Erste Stadtwerke erarbeiten Vorsichtsmaßnahmen
Für die Vorbereitung des nächsten Winters würden aber bei vielen Unternehmen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, betont Entega-Chefin Wolff. So habe die Entega ihr Einkaufsverhalten geändert und in den vergangenen Tagen alles beschafft, was sie für das gesamte Jahr benötige. "Wir haben auch Öl bestellt, um notfalls in unseren gasbetriebenen Heizkraftwerken von Gas auf Öl umstelle zu können", sagt sie in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Wie Recherchen von tagesschau.de ergaben, haben viele Stadtwerke aber noch keine umfassenden Alternativpläne in der Schublade. Die Mainova verweist auf eine vorsorgende und risikoarme Beschaffung, die die Preisausschläge an den Börsen dämpfe. Anteile der in einem Lieferjahr benötigten Mengen würden teilweise schon mehrere Jahre im Voraus gekauft und preislich fixiert.
Gashändler sind am entscheidenden Hebel
Letztlich seien die Stadtwerke und Versorger aber sehr eingeschränkt, wenn es um den Einkauf von Gas und anderen Energieträgern gehe. Denn sie seien hier abhängig von den großen Gashändlern, räumen sie ein. So beliefern die Ferngasunternehmen wie Wingas, VNG, Uniper und EWE die Stadtwerke und regionale Versorger mit Gas. Stadtwerke könnten so nur mit dem vorgelagerten Netzbetreiber diskutieren, ob physisch noch Gas fließt, wenn keines mehr aus Russland mehr komme, sagt der Energie-Experte Heiko Lohmann.
Die großen Gashändler selbst erklären, dass sie teilweise gar nicht wissen, woher die Gasmengen kommen. Zu den Herkunftsmengen, die der Energiekonzern e.on an den Handelsplätzen über die Börse oder über Großhandelspartner beziehe, gebe es keine Herkunftsnachweise, erklärte ein Unternehmenssprecher. Das bestätigen die Stadtwerke. Da die Gasbeschaffung auf den internationalen Handelsmärkten zu einem großen Teil über mehrere Stufen mit verschiedenen Vorlieferanten oder auch ohne direkten Bezug zum Verkäufer über die Energiebörse stattfinde, "ist vielfach praktisch nicht feststellbar, ob es sich um Erdgas russischer Herkunft handelt", heißt es vom Stadtwerke-Verband VKU.
LNG als kurzfristige Alternative
Mittel- und langfristig versuchen die Gashändler, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern und setzen zunehmend auf Flüssig-Erdgas LNG. "Kurzfristig gibt es deutlich mehr LNG-Schiffe", hat Andreas Schroeder, Energie-Analyst von ICIS, beobachtet. Der Uniper-Konzern, der ein Drittel seines Geschäfts in Russland erwirtschaftet, hat zuletzt seinen LNG-Handel ausgebaut.
"Unsere Kollegen aus dem Bereich Trading arbeiten intensiv an alternativen Bezugswegen zur Substitution von russischem Erdgas", erklärt ein Sprecher der Oldenburger EWE, an deren Erdgasnetz rund 600.000 Haushalte angeschlossen sind. Über zwei Drittel von ihnen sind schon jetzt nicht mehr auf russisches Erdgas angewiesen, sie beziehen L-Gas aus niederländischer und deutscher Produktion.
Dennoch tun sich noch mehrere deutsche Ferngasunternehmen schwer, ihre Strategie zu ändern. Sie sind mit russischen Gasförderern langfristige Lieferverträge von zehn bis 15 Jahren eingegangen. "Die sind nicht einfach kündbar", sagt ICIS-Analyst Schröder.
Nur die Politik kann die Notlage lindern
Sollte es zu einem russischen Gas-Embargo kommen, müsste Europa die Nachfrage um mindestens 400 TWh, also um zehn bis 15 Prozent, senken, hat der Brüsseler Think Tank Bruegel ausgerechnet. Dann müssten die LNG-Importe massiv gesteigert werden. Zudem wäre ein staatliches Maßnahmenpaket nötig. "Die politischen Entscheidungsträger sollten politische Vereinbarungen treffen, um zusätzliche LNG-Mengen zu sichern", schreibt Energieexperte Hans-Wilhelm Schiffer. Eine Task Force könnte Einkäufe koordinieren und verhindern, dass sich Firmen gegenseitig überbieten. Sollte Russland den Markt überschwemmen, würden sich wahrscheinlich Unternehmen zurückhalten, ausreichende Gasmengen zur Kompensation eines Ausfalls der russischen Lieferungen zu kaufen. Die EU sollte Unternehmen, die Gas speichern, finanziell absichern.
Russische Öl- und Kohle-Importe leichter kompensierbar
Laut Schiffer wäre es deutlich einfacher, einen Ausfall russischer Öl- und Steinkohle-Lieferungen auszugleichen. "Mit strategischen Ölvorräten könnte für drei Monate ein vollständiger Ausfall aller Importe kompensiert werden." Darüber hinaus wäre es nötig, das Angebot von Öl auf dem Weltmarkt auszuweiten. Bei der Steinkohle wären ebenfalls kurzfristig Produktionserhöhungen in wichtigen Erzeugerstaaten wie Australien, USA, Indonesien, Südafrika und Kolumbien möglich und angesichts der hohen Preise auch attraktiv für diese, meint Experte Schiffer.