Dammbruch in der Ukraine Überschwemmte Äcker, bedrohte Ernten
Vom Kachowka-Stausee hängt die Bewässerung Hunderttausender Hektar Agrarfläche ab. Die Systeme zu reparieren, könnte Jahre dauern. Die Folgen des Dammbruchs für die Landwirtschaft könnten verheerend sein.
Mehr als 10.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche sind als Folge des Dammbruchs in der Ukraine überflutet worden. Nach ukrainischen Angaben wurden 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnipro gespült. Ob die überfluteten Flächen mittelfristig wieder für Ackerbau genutzt werden können, ist offen.
Alex Lissitsa, der Vorsitzende des ukrainischen Verbands der Agrarunternehmer, sagte auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks, es werde befürchtet, dass sich auch Tierseuchen ausbreiten könnten, da kleinere Ställe mitsamt der Tiere von den Wassermassen weggeschwemmt wurden.
Hunderttausende Hektar ohne Bewässerungssystem
Besorgt sind Landwirte aber nicht nur wegen der überfluteten Flächen. Am Kachowka-Stausee hängen 31 Bewässerungssysteme für gut 580.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche. Dadurch könnten vier Millionen Tonnen Getreide verdörren, schätzt Lissitsa.
Auch vor dem Dammbruch sei mit 20 Prozent weniger Getreide aus der Ukraine zu rechnen gewesen, da weniger ausgesät wurde, sagt er. Der Experte vermag die Auswirkung auf den Weltmarkt nicht abzuschätzen, da andere Regionen beim Getreideanbau mit großer Trockenheit zu kämpfen haben und Ausfälle befürchten. Möglicherweise könnten südosteuropäische Länder wie Rumänien oder Serbien die Folgen der Ernteausfälle in der Ukraine abfedern oder ausgleichen.
Neben Getreide vor allem Tomatenanbau betroffen
Betroffen ist aber auch der Anbau von Gemüse wie Tomaten und die daran hängende Lebensmittelindustrie, die aus den Tomaten Ketchup und andere Produkte herstellt, sowie der Melonenanbau. Schon vergangene Woche warnte das ukrainische Agrarministerium, ohne Bewässerung könnte die gute halbe Million Hektar Fläche in "Wüste" verwandelt werden.
Nun wird der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyi konkreter: Indirekt könnten insgesamt 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche betroffen sein, da es sich für Landwirte nicht lohne, Felder ohne Bewässerung zu bewirtschaften, wenn ihnen das Einkommen aus den Feldern fehle, die bis vor kurzem bewässert wurden.
Solskyi vermutet, dass es drei bis sieben Jahre dauert, bis die Bewässerungssysteme wieder repariert sind. Er warnt vor einem sozialen Problem durch die Ernteausfälle. Ihm zufolge werden die Bewässerungssysteme nicht mit Wasser versorgt werden, bis der Staudamm wiederaufgebaut ist.
Bauernverband sieht keine Auswirkung auf Deutschland
Wie werden sich die Folgen des Dammbruchs auf den Agrarmarkt in Deutschland auswirken? Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilt auf BR-Anfrage mit, die Preise für Getreide seien nach dem Staudammbruch weltweit gestiegen, "die Auswirkungen auf den deutschen Agrarmarkt sind aber bislang insgesamt moderat".
Andreas Löbhard, der Marktexperte des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), rechnet wegen der ausreichenden Selbstversorgung in Deutschland nicht damit, dass der Bruch des Staudamms Einfluss auf die Nahrungsmittelerzeugung hierzulande haben wird.
Getreidepreise sinken nach starkem Anstieg 2022
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar vergangenen Jahres stiegen die Getreidepreise rapide an und erreichten im April 2022 den bisherigen Höchststand während des Kriegs, so der BBV. "Seit der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres erleben wir einen stetigen Abwärtstrend der Getreidepreise, der sich nach Auffassung des BBV kurzfristig auch so fortsetzen wird", sagte der Verbands-Experte.
Zwei Gründe nennt Löbhard für die sinkenden Preise: ein umfangreiches Angebot von Getreide aus der Schwarzmeerregion, für das die Ukraine über das Getreideabkommen und vor allem Russland verantwortlich seien. "Russland hat in der vergangenen Saison eine Rekordernte eingefahren und weist eine hohe Exportquote auf."
Der zweite Grund für die massiven Preisverfälle bei Getreide sieht er in den guten Prognosen für die kommende Ernte. Kombiniert mit gut gefüllten Lagern wirken sich die positiven Aussichten preisdrückend aus. Löbhard schätzt die Lage also deutlich optimistischer ein als der ukrainische Agrarexperte Lissitsa, der auf weniger Ernte in der Ukraine und in anderen möglicherweise von Trockenheit betroffenen Anbaugebieten verweist.