Arbeitnehmer im Rentenalter Auch mit 70 noch im Betrieb
Immer mehr ältere Menschen arbeiten - viele nicht des Geldes, sondern des Spaßes an der Arbeit und sozialer Kontakte wegen. Können Arbeitnehmer im Rentenalter die Lösung für den Fachkräftemangel sein?
Kurt Marx repariert und wartet Heizungsanlagen. Vor fast 50 Jahren hat er als Lehrling angefangen. Eigentlich könnte er bald abschlagsfrei in Rente gehen. Der Servicetechniker plant aber weiterzuarbeiten. Nicht aus finanziellen Gründen: Er möge die tägliche Herausforderung im Job, technische Fehler zu finden, sagt er. Vor allem möchte Marx in Kontakt mit Menschen bleiben. Und er weiß, wie schwer es für seinen Chef ist, Personal zu finden. "Die Ausnahme bin ich wahrscheinlich nicht, es werden ja Fachkräfte benötigt", sagt der 63-Jährige.
"Müssen schauen, wo wir die Leute her bekommen"
Sein Kollege Berthold Schneider ist 70 Jahre alt und arbeitet noch einmal die Woche im Lager des Heizungs- und Sanitärunternehmens Flach in der Nähe von Trier. Die Geschäftsführung bemüht sich gezielt darum, ältere Mitarbeiter zu halten. "Wir versuchen ein Jahr, bevor sie in Rente gehen, Gespräche mit den Mitarbeitern zu führen. Und dann hören wir schon mal, ob das gesundheitlich geht", erklärt Günter Späder, Geschäftsführer der Flach GmbH. "Oft bekomme ich als Antwort: Ich möchte keinen Stress mehr, ich möchte nicht mehr so viele Stunden machen." Aber so ein, zwei Tage in der Woche könnten sich viele vorstellen.
Geschäftsführer Späder hebt die Erfahrung und die Ruhe der älteren Mitarbeiter positiv hervor; gleichzeitig geht das Unternehmen diesen Weg auch, um überhaupt an knappes Fachpersonal zu gelangen. "Durch den Facharbeitermangel müssen wir einfach schauen, wo wir die Leute her bekommen." Aktuell sind fünf Prozent der rund 80 Mitarbeiter der Flach GmbH eigentlich schon im Rentenalter. Und die Geschäftsführung geht davon aus, dass sich die Zahl noch erhöhen wird.
Alle verfügbaren Potenziale ausschöpfen
Die Entwicklung bei dem Heizungs- und Sanitärunternehmen aus Schweich bei Trier steht beispielhaft für einen bundesweiten Trend. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist die Arbeitsmarktbeteiligung älterer Arbeitnehmer in den vergangenen 20 Jahren in einem Ausmaß gestiegen, das zuvor kaum vorstellbar gewesen sei. Nach den aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gab es im September vergangenen Jahres mehr als 3,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, die 60 Jahre und älter sind. Das sind mehr als eine Million mehr als fünf Jahre zuvor. Es gab zuletzt rund eine halbe Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die 65 Jahre oder älter sind.
Für die Deutsche Industrie- und Handelskammer steht fest: Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssten alle verfügbaren Potenziale genutzt werden. "Ältere Beschäftigte leisten bereits einen wichtigen Beitrag, auch jenseits des Renteneintrittsalters", betont Anne Zimmermann von der DIHK. Hier habe sich der Anteil der Erwerbstätigen in kurzer Zeit stark erhöht. 2011 arbeiteten noch zehn Prozent der 65- bis 69-Jährigen; im Jahr 2021 habe der Anteil bei 17 Prozent gelegen.
Praxis der Frühverrentungen beendet
Die Gründe dafür, dass ältere Menschen vermehrt einer Arbeit nachgehen, liegen für Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf der Hand. Das Renteneintrittsalter erhöhe sich schrittweise auf 67 Jahre. Außerdem sei die Frühverrentungspraxis der 1990er-Jahre beendet. "Arbeitskräfte sind heute so knapp wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr, deshalb versuchen viele Betriebe, ihre Leute möglichst lange zu halten." Als Motiv für Erwerbstätigkeit im Ruhestand nannten bei einer Befragung im Jahr 2018 mehr als 90 Prozent der Rentner soziale Motive wie Spaß an der Arbeit und Kontakte zu anderen Menschen; bei 43 Prozent spielten auch finanzielle Motive eine Rolle.
Für Arbeitsmarktforscher Weber liegt in Zeiten des demographischen Wandels das größte noch zu hebende Arbeitskräftepotenzial im Inland bei der Gruppe der Älteren. "Wenn die Menschen im Alter von 60 bis 69 Erwerbsquoten hätten wie die fünf Jahre Jüngeren, würde man im deutschen Arbeitsmarkt knapp zweieinhalb Millionen Arbeitskräfte gewinnen", so Weber. Er formuliert daher Forderungen an Wirtschaft und Politik: "Es müssen betriebliche und übergreifende Konzepte entwickelt werden, welche Tätigkeitsprofile Ältere übernehmen und wie sie rechtzeitig in diese Richtung qualifiziert werden sollen." Ab 50 Jahren brauche es noch einmal eine Weiterbildungswelle für die letzten anderthalb Jahrzehnte des Berufslebens.
Das Know-how der Älteren wird mehr geschätzt
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer würde gern das Potenzial älterer Beschäftigter noch stärker nutzen und will daher die finanziellen Vorteile bekannter machen. So ließen sich durch die Weiterarbeit und Beitragszahlung nach Erreichen der Regelaltersgrenze zusätzliche Rentenansprüche sowie Zuschläge erzeugen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erkennt auch einen langsamen Wandel in den Betrieben, dass die Arbeitsleistung älterer Menschen heute weit mehr geschätzt werde. "Die Betriebe sind jedoch weiter gefordert, die Rahmenbedingungen für ein längeres Arbeiten zu verbessern", betont eine Sprecherin und verweist auf arbeitsmedizinische Empfehlungen des Ministeriums, wie ein Arbeitsumfeld geschaffen werden könne, in dem Beschäftigte bis zum Rentenalter und darüber hinaus erwerbstätig sein könnten.
Es gibt natürliche Grenzen
Das Potenzial älterer Arbeitnehmer hat aber auch natürliche Grenzen - bei körperlich anstrengenden Berufen zum Beispiel. Darauf verweist Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz. Außerdem korrelierten Krankheiten mit dem steigenden Alter. Ältere Menschen über 60 könnten einen Beitrag leisten, sagt Sell. "Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, damit lösen wir diesen grundsätzlichen Fachkräftemangel, der in den kommenden Jahren unseren Alltag bestimmen wird."
Nach Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bieten Betriebe, die rentenberechtigte Mitarbeiter halten möchten, vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten und geeignete Arbeitsinhalte. So macht es auch die Firma Flach aus Schweich bei Trier. Ihr 70-jähriger Mitarbeiter Schneider teilt seine Erfahrung gern mit jüngeren Kollegen. Ihm tue die Anerkennung und der Austausch mit den Kollegen gut, erzählt er. Aber er arbeitet nur noch einen Tag in der Woche. Mehr arbeiten wolle er nicht, denn er möchte Zeit für Hobbys und Reisen haben.