"Best Ager" Neuanfang mit Mitte 50
In der Corona-Pandemie verloren viele Menschen ihre Arbeit. Im Alter jenseits der Lebensmitte ist ein Neuanfang nicht einfach. Einige haben den Schritt in die Selbständigkeit gewagt - mit Erfolg.
Angelika Klaes bietet ihren Kundinnen und Kunden einen ganz besonderen Service: Sie bastelt den Traumurlaub nach den Vorgaben ihrer Kundschaft. "Sie rufen bei mir an oder schicken eine Mail und schreiben mir ihre Wünsche, was sie gerne für einen Urlaub machen möchten. Dann fange ich schon an, das ein bisschen vorzubereiten und fahre anschließend zum Kunden und berate ihn dann bei ihm zu Hause", beschreibt sie ihren Job.
Mobile Reisekauffrau nennt sie das. 14 Jahre hat sie vorher in der Leichlinger Innenstadt als Angestellte in einem kleinen Reisebüro gearbeitet. Aber durch Corona lief das Geschäft nicht mehr. Im Juli 2020 muss ihre Chefin das Reisebüro schließen, heute ist in dem Ladenlokal ein Friseur. Klaes hatte plötzlich keine Arbeit mehr.
Jobverlust zwingt zum Neuanfang
Schon seit 30 Jahren ist die Leichlingerin Reiseverkehrsfachfrau. Obwohl die Rahmenbedingen alles andere als gut sind, wagt sie dann im Januar 2021 mit Mitte 50 den Schritt in die Selbstständigkeit. Immer wieder hatte sie sich die Frage gestellt, ob sie das in ihrem Alter wirklich wagen soll:
Mit 30 wäre ich sicherlich lockerer gewesen. Ich hatte mir meine letzten zehn Berufsjahre anders vorgestellt. Plötzlich war da ganz was Neues.
Ihr wurde aber auch bewusst, wie sehr sie ihren Beruf liebt. "Und hier war die Selbstständigkeit der einzige Weg. Denn in Corona-Zeiten hätte ich in keinem Reisebüro eine Stelle bekommen."
"Dieses Jahr läuft es richtig gut"
Zunächst meldete sie sich sechs Monate lang arbeitslos und konnte anschließend einen Gründungszuschuss beantragen. Über Social Media-Kanäle wie Instagram und Facebook versuchte sie, auf ihr Programm aufmerksam zu machen. Außerdem verteilt sie klassische Flyer.
Inzwischen hat sich ihr Geschäft in der Region etabliert, und Kundinnen und Kunden werden auch über Mund-zu-Mund- Propaganda auf ihr Angebot aufmerksam. "Letztes Jahr war eigentlich so das Anlaufjahr, wo es noch alles ein bisschen langsam ging und der Umsatz noch nicht so passte, aber ich muss sagen: Dieses Jahr läuft es richtig gut", freut sie sich.
Neuanfang mitten in der Pandemie
Matthias Gölitz aus Solingen arbeitet als Industriedesigner für ein mittelständisches Unternehmen, als die Pandemie ausbricht. In seinem Job ist er bis dahin fast ständig unterwegs. Den Entschluss, in seinem Berufsleben noch einmal neu durchzustarten, fasst der Solinger im März 2020, mitten in der Hochphase der Pandemie - da ist er Ende 50. In seinem vorherigen Job als Industrieberater haben Konkurrenzdruck und Stress stark zugenommen. Als Corona über die Welt hereinbricht, wird ihm das alles zu viel:
Was dann dazu geführt hat, eigentlich einmal komplett drüber zu gucken und zu überlegen, ob ich das den Rest meines Lebens noch machen oder doch noch mal einen anderen Weg gehen will.
Privat hat Matthias Gölitz gerade eine Trennung hinter sich, muss die Immobilie, die als Altersvorsorge gedacht war, verkaufen. Der Erlös ermöglicht ihm den beruflichen Neustart.
E-Bikes statt Industrieberater
E-Bikes im Bergischen zu verkaufen, scheint ihm ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Und so setzt er alles auf eine Karte: Er kündigt seinen Job, investiert alles Geld, das er hat und macht sich selbständig als Franchise-Unternehmer mit E-Bikes. Mit 57 Jahren nimmt er zusätzlich noch einmal einen Kredit auf. Die Bank gibt ihn bereitwillig, da sie an das Geschäftsmodell glaubt. Allerdings muss er einen Gesundheitscheck machen. "Da wurde alles abgefragt, was in dem Alter relevant ist. Als Geschäftsmann ist das für mich aber nachvollziehbar. Die brauchen ja auch Sicherheit", erklärt Gölitz.
Er investiert mehr als eine Million Euro, beispielsweise für die Ausstattung seines Ladens und die Miete. Inzwischen hat er neun Mitarbeiter. Einfach ist ihm dieser Schritt trotzdem nicht gefallen. "Da waren schon manche Nächte dabei, wo ich ins Grübeln geraten bin, ist es die richtige Entscheidung, was passiert wenn es schiefgeht", erinnert er sich.
Der Erfolgsdruck lässt ihn immer wieder nachts wach liegen - doch auf der anderen Seite ist die neue Aufgabe auch wie ein Kick: "Ich habe mir gedacht, jetzt gebe ich nochmal richtig Gas, das hat viel Energie freigesetzt." Im Januar 2022 eröffnet er seinen Laden, inzwischen läuft das Geschäft und er ist froh, diesen Schritt gegangen zu sein.
"Den Mut haben, es zu wagen"
Reiseberaterin Klaes will auch andere motivieren, den Schritt in die Selbständigkeit auszuprobieren. "Man muss einfach den Mut haben, es zu wagen", sagt sie. "Man muss sich bekannt machen, am Ball bleiben, dann klappt das." Inzwischen verkauft sie in guten Zeiten jeden Tag eine Reise und erfüllt damit viele Urlaubsträume.
Am meisten beschenkt sie sich damit aber selbst. Der neue Job habe ihr ein ganz neues Selbstwertgefühl gegeben. Jeden Tag sagt sie sich aufs Neue: "Ich schaffe das, ich kann das, ich bin für mich selbst verantwortlich".