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Trend "Cloud Gaming" Geht das Zeitalter der Spielekonsolen zu Ende?

Stand: 23.08.2023 16:38 Uhr

Abo-Modelle und das Streaming von Spielen werden für die Gaming-Branche immer wichtiger. Was bedeutet das für Hersteller von Spielekonsolen wie Nintendo, Sony oder Microsoft?

Von Thomas Spinnler, ARD-Finanzredaktion

Gaming gehört für viele Millionen Menschen in Deutschland zu den normalen Freizeitbeschäftigungen. Einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom zufolge geben 53 Prozent der Bundesbürger ab 16 Jahren an, zumindest ab und zu Video- oder Computerspiele zu spielen. Im Schnitt geben sie der Umfrage zufolge dafür 26 Euro im Monat aus. Mit welchen neuen Produkten die Spielebranche ihre Kundschaft locken möchte, können sich Interessierte in den kommenden Tagen auf der Computerspiel-Messe Gamescom ansehen, die heute in Köln beginnt.

Felix Falk, Geschäftsführer Verband der deutschen Games-Branche, zur Eröffnung der weltgrößten Spielmesse Gamescom in Köln

tagesschau24, 23.08.2023 12:00 Uhr

Neues Geschäftsmodell

Die Branche ist ein sehr dynamischer Wirtschaftszweig mit dreistelligen jährlichen Milliardenumsätzen. Immer noch sehr beliebt bei Spielerinnen und Spielern sind die Konsolen von Nintendo, Microsoft oder Sony. Doch ein neues Geschäftsmodell könnte sich bald etablieren, das die Eintrittsbarrieren auch für anspruchsvollere Spiele senkt und den Konsolenmarkt unter Druck setzt: das sogenannte "Cloud Gaming" - also Spiele, die auf ausgelagerten Server-Computern liegen und auf dem PC, Tablet oder Smartphone gespielt werden.

"Internetzugang, Bildschirm, Controller - mehr ist für das 'Cloud Gaming' nicht nötig", so Sebastian Klöß, Bereichsleiter Consumer Technology beim Digitalverband Bitkom, gegenüber tagesschau.de. "Denn dabei benötigen die Spielerinnen und Spieler selbst für aufwändige Blockbuster-Spiele keine leistungsstarken Prozessoren und Grafikkarten mehr. Stattdessen greifen sie via Internet auf die Rechenpower von Rechenzentren zu." Die Spiele können sie per Abonnement nutzen, etwa vergleichbar mit dem Video-Streaming.

Große Spieleauswahl, monatlicher Fixpreis

Dass "Cloud Gaming" ein wichtiger Faktor für die Branche wird, zeigen aktuelle Marktdaten aus Deutschland: Nach einer gemeinsamen Studie von PwC Deutschland und dem game-Verband der deutschen Spielehersteller nutzten im vergangenen Jahr bereits 8,6 Millionen Menschen ab 16 Jahren Cloud-Dienste in Deutschland. Auch international gilt "Cloud Gaming" als Wachstumsmarkt.

Besonders bei jüngeren Gamerinnen und Gamern sei es immer beliebter, erklärt Werner Ballhaus, Global Entertainment & Media Sector Leader und Leiter Technologie bei PwC Deutschland. Vor allem neue Bezahlmodelle machten "Cloud Gaming" attraktiv, so der Experte gegenüber tagesschau.de: "Für die Abonnentinnen und Abonnenten gibt es eine große Spieleauswahl zum monatlichen Fixpreis, für die Anbieter Kundenbindung und monatliche Einnahmen. Außerdem wird der Markt von den Big-Tech-Unternehmen vorangetrieben."

Andere Anbieter wittern ein Geschäft

Dieses Potenzial haben inzwischen auch Anbieter außerhalb der Games-Branche entdeckt. Aber ob das Geschäftsmodell trotz guter Prognosen der Experten wirklich funktioniert, ist keineswegs sicher. "Der 'Cloud Gaming'-Markt ist durch starken Wettbewerbsdruck gekennzeichnet, und nicht alle Initiativen sind erfolgreich", beschreibt Çiğdem Uzunoğlu, Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur, die Situation in der Branche.

Das zeigt auch das Scheitern des Google-Streamingdienstes Stadia, der im Januar dieses Jahres eingestellt wurde. Trotzdem wagt jetzt der Videostreaming-Dienst Netflix den Schritt in die Gaming-Branche. Zunächst testet das US-Unternehmen ein kleines Cloud-Angebot in Großbritannien und Kanada.

Der Test umfasst zu Beginn lediglich zwei Spiele, die unter anderem auf TV-Geräten von Samsung und LG gespielt werden können. Streaming-Boxen unter anderem von Amazon können genutzt werden, Windows-PCs und Apples Mac-Computer werden unterstützt.

Probleme mit der Infrastruktur

Es gibt auch noch technische Gründe dafür, dass "Cloud Gaming" an Grenzen stößt. "Aktuell ist die Infrastruktur für flächendeckendes 'Cloud Gaming' mit ausgelagerter Rechenleistung in Form von 5G- beziehungsweise Breitband-Verbindungen noch nicht gegeben", erklärt der PwC-Fachmann Ballhaus. Im Gegensatz zum Videostreaming gehe der Datentransfer beim "Cloud Gaming" in beide Richtungen, denn es gebe Up- und Downloads. Das könnte zu Verzögerungen beim Spielen führen - je nach Netzwerkqualität und Serverleistung.

Für die technisch zum Teil höchst anspruchsvollen Spieler ist das ein wesentlicher Faktor. "Wer zum Beispiel bei einem Autorennspiel ständig in die Leitplanke kracht, weil seine Steuerbefehle zu spät übertragen wurden, wird am 'Cloud Gaming'' schnell das Interesse verlieren", unterstreicht Klöß.

Konsolen millionenfach verkauft

Aktuell funktioniert das Geschäft mit den Spielekonsolen überdies noch glänzend. Vor allem die Playstation 5 verkauft sich bestens. Jüngsten Angaben des Managements zufolge erwartet Sony in diesem Jahr einen Absatz von 25 Millionen Konsolen. Seit dem Start der Konsole im Jahr 2020 sind bereits mehr als 40 Millionen Einheiten verkauft worden - trotz mittlerweile behobener Lieferprobleme.

Für Microsoft läuft das Geschäft zwar nicht ganz so gut so, aber auch die Xbox Series X des US-Herstellers ist bereits mehr als 20 Millionen Mal über den Ladentisch gegangen. Anlässlich der Spielemesse Gamescom ist darüber spekuliert worden, ob Nintendo dort den Nachfolger der überaus erfolgreichen Switch-Konsole präsentieren könnte.

"'Cloud Gaming' eher Ergänzung als Ersatz"

Auch die Nutzerzahlen zeigen, wie beliebt die Spielekonsole derzeit noch ist. Die Anzahl der Konsole-Spielenden sei in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich von 15,9 Millionen im Jahr 2019 auf zuletzt 18,9 Millionen gestiegen, so Felix Falk, Geschäftsführer des game-Verband, gegenüber tagesschau.de. Ist es also zu früh, um das Ende der Spielekonsole zu verkünden? Falk meint: ja. "Die bisherige Entwicklung zeigt, dass 'Cloud Gaming' die vorhandenen Spiele-Plattformen wie die Konsole und den PC eher ergänzt als ersetzt."

Denn bei Spielekonsolen kommen Falk zufolge viele Vorteile zusammen, die Gamerinnen und Gamer schätzen: "Sie bieten viel Leistung für einen vergleichbar geringen Preis und sind zudem auf das Spielen optimiert. Sie werden in der Regel am großen Fernseher im Wohnzimmer betrieben und sind damit ideal, um mit anderen zusammen zu spielen."

So sieht es auch Branchenkennerin Uzunoğlu von der Stiftung Digitale Spielekultur: "Es spricht vieles dafür, dass Spielekonsolen weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Marktes bleiben." Außerdem betrieben Sony und Microsoft mit PlayStation Now beziehungsweise dem Xbox Cloud Gaming eigene Cloud-Dienste, auch auf der Nintendo Switch seien bestimmte Titel als Cloud-Version abrufbar. "Spielekonsolen lassen Spielenden aktuell also die Wahl, wie sie ihre Games beziehen wollen, und wer hat nicht gerne die Wahl?"

Kontrolle über Preise und Daten

PwC-Experte Ballhaus nennt weitere Gründe, die für eine Zukunft der Konsole sprechen: Aus Herstellersicht gebe die Kontrolle über Endgerät und Plattformen mehr Möglichkeit, auch die Hoheit über Inhalte, Preise oder Userdaten zu behalten. Auch für die Spieler sei das Thema nicht unwichtig: Konsolen gäben den Spielerinnen und Spielern die Kontrolle über ihre Spielbibliothek, ohne von Dritten abhängig zu sein. "Bei 'Cloud Gaming'-Diensten könnte der Zugriff auf Spiele von den Geschäftsentscheidungen des Dienstanbieters abhängen."

Auch Ballhaus erwartet deshalb, dass Konsolen trotz des Aufstiegs des "Cloud Gaming" im Markt bedeutend bleiben: "Es ist möglich, dass die Zukunft eine Kombination aus 'Cloud Gaming'-Diensten und traditionellen Konsolenplattformen bringt, um die Bedürfnisse verschiedener Spieler abzudecken."

"Cloud Gaming" habe zwar das Potenzial, sowohl Spielkonsolen als auch Gaming-PCs überflüssig zu machen, urteilt Bitkom-Fachmann Klöß. "Ob sich diese Technologie aber innerhalb einer Konsolengeneration durchsetzt, ist eine völlig offene Frage."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. August 2023 um 17:17Uhr.