Nach Bilanzskandal EU-Kommission prüft Wirecard-Desaster
Die EU-Kommission will nach dem Bilanzskandal bei Wirecard untersuchen, ob die BaFin bei der Aufsicht über den Zahlungsdienstleister versagt hat. Finanzminister Scholz kündigte eine Reform der Aufsichtsmechanismen an.
In den Bilanzskandal beim Zahlungsanbieter Wirecard schaltet sich nun auch die EU-Kommission ein. Sie werde die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) um eine Untersuchung bitten. Es gehe um die Frage, ob die deutsche Finanzaufsicht BaFin bei der Kontrolle über Wirecard versagt und gegebenenfalls gegen EU-Recht verstoßen habe, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in einem Interview mit der "Financial Times".
"Wir werden die ESMA bitten, zu prüfen, ob es aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben hat, und wenn ja, eine mögliche Vorgehensweise festlegen", sagte er. Es müsse geklärt werden, was schief gelaufen ist. Er erwarte von der ESMA eine Antwort Mitte Juli.
Wirecard hatte am Donnerstag angesichts eines 1,9 Milliarden Euro schweren Lochs in der Bilanz einen Antrag auf Insolvenz gestellt. Erstmals in der mehr als 30-jährigen Geschichte des DAX kollabiert damit ein Mitglied des deutschen Leitindex. Die Aktie legte heute wieder eine Talfahrt hin und wurde zeitweise bei 1,88 Euro gehandelt.
Scholz kündigt Reform der Aufsicht an
Bundeskanzlerin Angela Merkel wertet den Bilanzskandal als besorgniserregenden Fall. Ziel müsse es jetzt sein, Schaden vom Finanzplatz abzuwenden und Schwächen zu beheben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die zuständigen Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Justiz sollten regulatorische Fragen überprüfen.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz will als Konsequenz die Aufsicht verändern. Die Strukturen müssten "durchleuchtet, mögliche Fehler rasch identifiziert und sofort abgestellt werden", sagte der SPD-Politiker. Das Finanzministerium werde dazu in den nächsten Tagen ein Konzept ausarbeiten. "Die BaFin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können", so Scholz. Wirecard sei ein Skandal, der seinesgleichen suche. Das müsse ein Weckruf sein.
Der Aufsichtsbehörde BaFin stärkte Scholz aber den Rücken. "Ich bin dem BaFin-Chef für seine klaren Worte in dieser Angelegenheit dankbar und erwarte natürlich auch entsprechende Taten." Felix Hufeld hatte selbstkritisch von einem Desaster gesprochen. Am nächsten Mittwoch wird er im Finanzausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen müssen.
Strafanzeige gegen Wirtschaftsprüfer
Langjährige Abschlussprüfer des Konzerns geraten derweil immer stärker ins Visier. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) stellte wegen der Vorgänge rund um Wirecard Strafanzeige gegen zwei amtierende und einen ehemaligen Abschlussprüfer der Ernst & Young GmbH (EY).
Man habe große Zweifel, dass EY als Abschlussprüfer geeignet sei, hieß es. Die Aktionärsvereinigung werde daher zunächst für die von der SdK vertretenen Investoren auf zukünftigen Hauptversammlungen gegen eine Bestellung von EY stimmen.
Jahrelang geprüft und nichts gemerkt
EY hatte mehr als ein Jahrzehnt lang die Zahlen von Wirecard geprüft und die Bilanzen testiert. Erst bei der Prüfung der 2019er-Bilanz bemerkten die Prüfer, dass Bankbestätigungen zu Treuhandkonten auf den Philippinen gefälscht waren. Sie sprachen von einem ausgeklügelten, weltumspannenden Betrugssystem, mit dem sie und Anleger hinters Licht geführt worden seien.
Ermittlungen gegen Ex-Vorstände
Der Konzern geht davon aus, dass die verschwundenen Milliarden bei zwei philippinischen Banken gar nicht existieren. Die Staatsanwaltschaft München wirft dem vergangene Woche zurückgetretenen Wirecard-Chef Markus Braun vor, mit weiteren mutmaßlichen Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben.
Auch Ex-Vorstand Jan Marsalek ist wegen des Zusammenbruchs des Zahlungsdienstleisters im Visier der Strafverfolger. Marsalek war für das operative Tagesgeschäft verantwortlich und wurde Anfang der Woche fristlos entlassen.
Der philippinische Justizminister Menardo Guevarra teilte nun mit, Marsalek sei am Dienstag auf die Philippinen eingereist und habe das Land am Mittwochmorgen Richtung China wieder verlassen. Das zeigten Daten der Einwanderungsbehörde.