Schutz vor Katastrophen Lassen sich Erdbeben vorhersagen?
Präzise Erdbebenvorhersagen sind unmöglich. Doch es gibt kurzfristige Anzeichen, die Menschen in Erdbebengebieten vorwarnen können, sich in Sicherheit zu bringen.
Von Stefan Troendle und Lilly Zerbst, SWR
Das schwere Beben in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien hat gezeigt: Trotz wissenschaftlicher Fortschritte ist eine genaue Vorhersage von Erdbeben noch nicht möglich. Denn für ein starkes Erdbeben gibt es in der Regel keine verlässlichen Vorläuferphänomene, sagt Erdbebenforscher Torsten Dahm vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam im SWR.
So funktionieren Erdbeben-Frühwarnsysteme
Bei einem Erdbeben entstehen vor allem zwei Arten von Wellen: die schnellen und für Menschen kaum wahrnehmbaren Primärwellen (P-Wellen) und die etwas langsameren Sekundärwellen (S-Wellen), die die Zerstörungen bei einem Beben verursachen. Zwischen dem Eintreffen dieser beiden Wellen können je nach Entfernung vom Epizentrum des Bebens ein paar Sekunden bis zu einer Minute liegen. Auch die Tiefe des Bebens spielt dabei eine Rolle.
Wenn nun die Sensoren eines Alarmsystems P-Wellen in einer bestimmten Stärke entdecken, schlagen sie vollautomatisch Alarm. Oft reicht die Zeit dann noch, um Sirenen auszulösen, Züge und Liftsysteme anzuhalten, Gasleitungen abzusperren oder Ampeln auf Rot zu schalten, bevor es anfängt, richtig zu beben. Angewandt werden solche Systeme beispielsweise in Mexiko, Japan und an der US-amerikanischen Westküste.
Frühwarnung mithilfe von Smartphones
Dass der Alarm konventioneller Frühwarnsysteme mittlerweile nicht mehr nur per Sirene, sondern auch über das Handy an die Betroffenen übermittelt wird, ist nichts Neues. Doch Forschende der University of California, Berkeley haben auch den Versuch gestartet, die Bewegungssensoren von Smartphones zu nutzen, um Erschütterungen flächendeckend zu registrieren. Melden sich viele Handys zur gleichen Zeit, deutet das auf ein Beben hin.
Viele Erdbeben entstehen entlang tektonischer Plattengrenzen. Dort verschieben sich Teile der Erdkruste relativ zueinander. Dabei können sich die Erdmassen auch verhaken. Dann bauen sich Spannungen auf. Werden die zu groß, geben die verhakten Gesteinsmassen nach und verschieben sich ruckartig: Es entsteht ein Erdbeben.
Tierische Warnsysteme
Für eine Warnung im Bereich von Stunden oder sogar Tagen vor dem Beben studieren Forschende auch das Verhalten von Tieren - mit ersten Erfolgen. In Italien brachte es ein Erdbebenforscher zu einer gewissen Berühmtheit, der am Freitag, den 4. April 2009, ein schweres Erdbeben in der Region Sulmona in den Abruzzen vorhergesagt hatte. Der Forscher hatte vermehrten Austritt des Edelgases Radon gemessen, das vor größeren Beben oft aus der Erde austritt. Zudem hatte er ein merkwürdiges Verhalten von Kröten beobachtet, die sich fünf Tage vor dem Beben von ihren Laichplätzen zurückzogen.
Italiens oberster Katastrophenschutzchef Bertolaso beschimpfte den Wissenschaftler noch am gleichen Abend öffentlich als Vollidioten. Zwei Tage später als vorhergesagt bebte die Erde dann doch, aber im rund 50 Kilometer entfernten L'Aquila. Das Beben der Stärke 6,3 forderte damals mehr als 300 Tote.
Ziegen suchen Deckung
Merkwürdiges Verhalten gibt es auch bei Säugetieren, zum Beispiel bei Ziegen, die immer einige Stunden vor Vulkanausbrüchen am Ätna auf Sizilien Deckung in einem Wald gesucht haben. Das beobachtete der Verhaltensbiologe Martin Wikelski von der Universität Konstanz. Er hat sein Vorhersagemodell sogar patentieren lassen.
Um Erdbeben mithilfe von Tieren frühzeitig und zuverlässig erkennen zu können, bedarf es aber noch vieler Daten: "Wir brauchen ein großes Ereignis nach dem anderen, das sie voraussagen. Denn je öfter sie es voraussagen, desto besser wird es - also wie beim Wetterbericht", so Wikelski im SWR.
Seismografen können Erdbebenwellen erfassen
Erdbebenvorhersagen bleiben ungenau
Fazit: Frühwarnsysteme liefern keine Vorhersagen - sie weisen nur darauf hin, dass innerhalb sehr kurzer Zeit ein Beben kommen wird. Versuche, die Beben langfristig vorauszusagen gibt es viele - genau sind sie alle nicht.
Die sicherste Methode zur Erdbebenvorhersage ist bislang noch die Kartierung gefährdeter Gebiete. "Heute hat man die Möglichkeit, dass man Erdbebennetze aufbauen und damit quantitativ gut alle Ereignisse aufzeichnen kann, auch kleine Erdbeben", erklärt der Seismologe Dahm. Die Vorhersagemodelle können sich durch die größer werdenden Datenmengen dann stetig verbessern und präzisere Aussagen über die Häufigkeit von Erdbeben in einem Gebiet treffen.
Dadurch können Forschende recht genau sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Erdbeben an einer bestimmten Stelle in einem bestimmten Zeitraum ereignen wird. Diese Zeiträume liegen allerdings noch immer in einer Größenordnung von bis zu 100 Jahren, so Dahm.
Neue Forschungszweige
In Zukunft könnten die Verknüpfung von seismologischen und geodätischen Messungen die Erdbebenvorhersage verbessern. Anhand von Vermessungsdaten lassen sich nämlich auch langsame Bewegungen entlang von Plattengrenzen überwachen, beispielsweise wenn sich ein Gebiet über längere Zeit anhebt. So lässt sich ein Spannungsaufbau vor großen Beben erkennen, auch wenn es keine seismische Aktivität gibt. Diese Daten könnten in den Augen von Dahm echte Game Changer werden. Bisher seien solche Daten in den Modellen nicht berücksichtigt worden.