Corona-Erkrankungen Ist die nächste Infektionswelle da?
Coronawelle oder doch eine Erkältungswelle. Was geht gerade um in der Gesellschaft? Immunologe Watzl erklärt, es gebe im Moment einen ganz großen Mix an Grippe, Corona und anderen Viren.
tagesschau.de: Herr Watzl stecken wir in der nächsten Coronawelle?
Carsten Watzl: Wenn man sich die Zahlen anguckt, haben wir aktuell eine Inzidenz von 50, das heißt ganz klar: Nein, wir stecken nicht in der nächsten Coronawelle. Es ist natürlich so, dass wir diese Zahl deutlich unterschätzen. Aber wenn man sich die schweren Verläufe anguckt, muss man sagen Nein, wir verpassen hier nichts. Andere Erkältungserkrankungen sind aktuell deutlich häufiger als Corona.
tagesschau.de: Aber wie glaubwürdig sind denn eigentlich diese Zahlen im Moment? Die Testzentren haben fast überall geschlossen, die meisten Menschen testen sich eigentlich kaum noch?
Watzl: Wenn ich eine Inzidenz von 50 angebe, ist die natürlich massiv unterschätzt. Man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer etwa zehnfach höher ist. Dann wären wir bei einer Inzidenz von 500. Im Vergleich in der Erkältungssaison haben wir aktuell eine Rate von akuten Atemweginfektionen von rund acht bis neun Prozent. Würde man das in eine Inzidenz übersetzen, würde das bedeuten, wir liegen bei einer Inzidenz von 8000 bis 9000 für die allgemeinen Erkältungsviren.
Coronawelle oder Erkältungswelle?
tagesschau.de: Das heißt also, es ist eine Erkältungswelle.
Watzl: Richtig. Wir sind in einer Erkältungswelle. Corona ist ein Teil davon. Aber andere Viren, andere normale Erkältungsviren spielen auch eine Rolle. Wir haben im Moment einen ganz großen Mix an Grippe, an RSV, aber auch an Corona und anderen Viren.
tagesschau.de: Und wie sieht es bei den Krankheitsverläufen aus? Gibt es noch immer schwere Verläufe?
Watzl: Auch jetzt sterben noch Menschen an Corona. Wenn man sich das alles aufgeschlüsselt anguckt, betrifft das aber überwiegend die wirklich Hochbetagten. Bei den über 80-jährigen ist die Rate am höchsten und das sind auch Leute, die sehr viele Vorerkrankungen haben, deren Immunsystem nicht mehr so gut funktioniert.
Fortschritte bei der Grundimmunisierung
tagesschau.de: Wie ist denn das Immunsystem der Menschen nach diesen drei Jahren Pandemie und den Hygienemaßnahmen wie Masketragen aufgestellt?
Watzl: Wenn man sich die Immunität gegen das Coronavirus anguckt, dann haben wir in den letzten drei Jahren wirklich deutliche Fortschritte gemacht. Wir haben aktuell eine Immunität in der Bevölkerung aufgrund der Impfung, aber auch durch die Infektionen, die sehr hoch ist. 98 Prozent der Menschen haben wirklich eine gewisse Immunität gegen dieses Virus. Bei dieser Immunität kann es sein, dass sie mich nicht mehr so gut vor einer reinen Ansteckung schützt, gerade wenn sich das Virus etwas verändert. Aber diese Grundimmunität schützt mich in den allermeisten Fällen vor der schweren Erkrankung. Viele Menschen infizieren sich noch mit Corona, aber die wenigsten werden schwer krank. Das sind überwiegend Menschen mit Vorerkrankungen.
Bei den anderen Erkältungsviren habe ich auch eine gewisse Immunität. Die muss ich aber alle paar Jahre wieder auffrischen. Und weil wir die Hygienemaßnahmen in der Corona-Pandemie hatten, haben wir uns diese Auffrischungen nicht mehr so gut geholt.
Im letzten Dezember hatten wir zum Beispiel sehr große Nachholeffekte. Da hatten wir schon sehr untypisch eine sehr hohe Welle an Erkältungskrankheiten. Die Welle die wir jetzt sehen ist eigentlich vergleichbar mit den Wellen von vor Corona. Diese acht bis neun Prozent Atemwegsinfektionen, die wir haben, sind typisch für diese Jahreszeit. Die haben wir auch 2018 und 2019 schon gesehen.
Training des Immunsystems
tagesschau.de: Ist das Immunsystem in diesen drei Jahren etwas eingeschlafen oder träger geworden?
Watzl: Auch wenn man jetzt zwei Jahre lang Maske getragen hat ist das Immunsystem nicht schlapp geworden. Es kann immer noch gut funktionieren, aber die Immunität ist ja sehr spezifisch. Das heißt, wenn ich mich einmal mit einem Erkältungsvirus infiziert habe, dann bin ich gegen dieses Virus für eine gewisse Weile immun, aber nicht gegen andere Erkältungsviren. Und diese Immunität haben wir in den letzten zwei Jahren nicht aufgefrischt. Deshalb war unser Immunsystem, wenn es jetzt um die Abwehr von solchen Erkältungsviren geht, in Bezug auf die Immunität nicht mehr so gut aufgestellt, weil einfach dieses spezifische Training gefehlt hat. Und deshalb können wir aktuell wieder mehr von diesen Infektionen durchmachen, um uns wieder diese Immunität aufzufrischen.
Impfempfehlung für Ältere und Vorerkrankte
tagesschau.de: Wenn man als gesunder Mensch drei Mal geimpft ist und vielleicht auch schon einmal infiziert war- sollte man sich dann jetzt nochmals impfen lassen?
Watzl: Die meisten Menschen haben ihre Grundimmunität durch drei Impfungen bekommen. Viele von denen haben sich auch zusätzlich noch infiziert, das nennt man dann eine hybride Immunität, also Immunität aus Impfung und Infektion. Das gibt aktuell den besten Schutz. Das heißt, wenn man schon dreimal geimpft ist, auch wenn man noch nicht infiziert ist und keine Vorerkrankungen hat, braucht man sich kein viertes Mal impfen zu lassen. Man wird sich irgendwann infizieren, aber die Infektion wird eher mild verlaufen. Man muss damit nicht ins Krankenhaus.
Es gibt immer noch die Impfempfehlung für Hochbetagte und Menschen mit Vorerkrankungen, sich ein viertes Mal impfen zu lassen. Das haben aber die meisten auch schon gemacht. Da macht eine vierte Impfung Sinn. Und gerade bei dieser Gruppe wird es wahrscheinlich so sein, dass wir im nächsten Herbst vor der nächsten Corona- und Erkältungssaison vielleicht noch eine Auffrischungsimpfung machen. Die generelle Bevölkerung ist aber glaube ich erst mal durch.
Bereits infizierte Zellen werden durch T-Zellen, umgangssprachlich auch T-Killerzellen, einfach zerstört. Eine Ausbreitung der Krankheit im Körper wird verhindert.
Der zweite wichtige Teil der Immunreaktion sind sogenannte Gedächtniszellen. Solche gibt es sowohl bei den für Antikörperbildung verantwortlichen B-Zellen als auch bei den T-Zellen. Nach einer Infektion bildet der Körper diese Gedächtniszellen, die Information über einen Erreger wie SARS-CoV-2 in sich tragen. Bei einer erneuten Infektion können sie innerhalb eines Tages die Immunreaktion starten, Antikörper produzieren und spezifische T-Zellen bilden. So kann das Virus schnell bekämpft werden. Auch bei SARS-CoV-2 scheint das so zu sein, vermuten Forscherinnen und Forscher. Sie konnten zeigen, dass Genesene T-Gedächtniszellen bilden, die lange im Körper verbleiben.
Masken - noch immer eine gute Wahl
tagesschau.de: Wie viel weiß die Forschung eigentlich, was die Impfung in Bezug auf Long Covid bringt?
Watzl: Es gibt schon Studien dazu. Die zeigen, dass wenn man sich nach einer Impfung infiziert, das Risiko für Long Covid geringer ist, als wenn man sich als Ungeimpfter infiziert. Man kann also sagen, dass man als Geimpfter ein geringeres Risiko hat, an Long Covid zu erkranken.
tagesschau.de: Wenn Menschen jetzt trotz Impfung nicht krank werden möchte, wie schützen sie sich am besten?
Watzl: Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren gesehen, dass die Hygienemaßnahmen - gerade das Maske tragen - sehr gut wirken. Wenn ich mich jetzt absolut nicht infizieren möchte und auch nicht leicht erkranken möchte, weil ich gerade zum Beispiel in den Urlaub möchte oder einen ganz wichtigen Termin habe, dann kann ich mich selber natürlich am besten schützen, wenn ich eine FFP2-Maske trage oder große Ansammlungen von Menschen in Innenräumen meide. Und das hat in der Vergangenheit sehr gut funktioniert. Das funktioniert jetzt immer noch gut. Man muss ein bisschen mehr aufpassen, weil natürlich die anderen Menschen jetzt auch keine Maske mehr tragen. Das heißt, man muss sich selbst besser schützen: deshalb, die FFP2 -Maske wirkt auch jetzt noch.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.