Ein Arzt untersucht ein Kind (Archivbild: 12.02.2021)

Folgen von Corona-Infektionen Rätsel um PIMS-Erkrankungen bei Kindern gelöst

Stand: 12.03.2025 18:10 Uhr

Die Ursache für das rätselhafte Entzündungssyndrom PIMS als Folge einer Coronainfektion bei Kindern war lange unklar. Jetzt haben Forschende einen Zusammenhang mit einem anderen Virus gefunden.

Von Nina Kunze, SWR

Als im Frühjahr 2020 die erste Corona-Welle über die Welt rollte, häuften sich Berichte über ein rätselhaftes Entzündungssyndrom bei Kindern. Zunächst wurde es mit dem sogenannten Kawasaki-Syndrom in Verbindung gebracht, später bekam es einen eigenen Namen: PIMS, für Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome. Bis jetzt war die Ursache des Entzündungssyndroms unklar.

Jetzt haben Forschende der Charité und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin einen Zusammenhang mit einem anderen Virus gefunden: dem Epstein-Barr-Virus, das auch Pfeiffersches Drüsenfieber auslöst. Die Ergebnisse haben sie in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Mysteriöses Krankheitsbild

PIMS tritt vier bis acht Wochen nach einer Corona-Infektion auf und äußert sich durch Entzündungen im gesamten Körper - eine Überreaktion des Immunsystems. Häufige Symptome sind hohes Fieber, Hautausschläge und eine Herzschwäche, jedes zweite Kind landet auf der Intensivstation.

Im Laufe der Pandemie erkranken allein in Deutschland etwa 1.000 Kinder daran. Was genau die Beschwerden auslöst, war zunächst ein Rätsel, wie sich der Kinderrheumatologe Tilmann Kallinich erinnert: "Es trifft wirklich Kinder, die vormals ganz gesund waren und bei denen wir auch bei detaillierten Untersuchungen keine Ursachen gefunden haben, wie zum Beispiel ein zugrundeliegender Gendefekt."

Kallinich ist Leiter der Sektion Rheumatologie an der Charité Berlin und einer der Autoren der Studie. Ein erster Anhaltspunkt sei gewesen, dass bei betroffenen Kindern eine bestimmte Art von besonders angepassten Zellen des Immunsystems auffällig oft vorkam - ein Hinweis darauf, dass ihr Immunsystem ein ganz bestimmtes Ziel angreift.

Spurensuche führt zu einem bestimmten Botenstoff

Um herauszufinden, welches Ziel das sein könnte, arbeitete das Ärzteteam der Charité mit dem Immunologen Mir-Farzin Mashreghi vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin zusammen. Mashreghi und sein Team fanden im Blut erkrankter Kinder einen Botenstoff, der auch Wochen nach der Corona-Infektion das Immunsystem unterdrückt.

Der Botenstoff heißt in Fachkreisen TGF-beta und wird normalerweise ausgeschüttet, wenn eine Infektion bereits so gut wie überstanden ist. Das signalisiert dem Körper, dass die Gefahr vorbei ist und das Immunsystem heruntergefahren werden kann. Bei Kindern mit PIMS war jedoch auch noch Wochen nach der Infektion eine hohe Menge des Botenstoffs im Blut zu finden.

Immunsystem gerät aus dem Gleichgewicht

Die Vermutung des Forschungsteams: Wenn das Immunsystem durch den Botenstoff zu stark heruntergefahren wird, könnte das anderen Viren die Chance geben, sich zu vermehren. Weitere Untersuchungen deuteten auf das Epstein-Barr-Virus (EBV) hin, auch bekannt als Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers.

Fast jeder Mensch infiziert sich im Laufe seines Lebens damit, häufig ohne es zu bemerken. Doch das Virus schlummert weiter im Körper und kann, ähnlich wie Herpes-Viren, reaktiviert werden. Genau das war bei den PIMS-Patienten der Fall, wie der Immunologe Mashreghi und sein Team zeigen konnten: "EBV kann sich unkontrolliert vermehren und führt dazu, dass das Immunsystem mehr und mehr entzündungsfördernde Faktoren produziert."

Reaktiviertes Virus wird nicht ausreichend bekämpft

Der Körper der Kinder stellt zwar die richtigen Immunzellen her, um das Epstein-Barr-Virus zu bekämpfen - was die anfängliche Beobachtung der Charité-Ärzte erklärt. Doch das reicht nicht aus, um das Virus in den Griff zu bekommen. Die Folge: Eine überschießende Entzündungsreaktion - oder anders ausgedrückt: Das Krankheitsbild PIMS.

Ein hohes Level des Botenstoffs TGF-beta in Folge einer Coronainfektion kann also Wochen später zu einer Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus führen und einen Entzündungsschock im Körper auslösen.

Erkenntnisse auch für andere Langzeitfolgen relevant

Diese Erkenntnis eröffnet auch neue Therapieoptionen, da man TGF-beta mit Medikamenten gezielt blockieren kann. Auch andere Corona-Folgen wie Long Covid bei Erwachsenen ließen sich so möglicherweise verhindern, schätzt der Charité-Arzt Tilmann Kallinich.

Denn auch bei Long Covid hätten Studien gezeigt, dass im Blut von Betroffenen deutlich mehr Antikörper gegen EBV vorliegen. Ob die Blockade des Botenstoffs tatsächlich PIMS und andere Corona-Folgeerkrankungen verhindern kann, soll nun in klinischen Studien untersucht werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das SWR 2 Wissenschaftsmagazin "Impuls" am 13. März 2025 um 16:00 Uhr