Vorstoß der Amtsärzte Was medizinisch für eine Siesta spricht
Mittags geht unsere Leistungsfähigkeit zurück - und bei großer Hitze drohen zudem gesundheitliche Gefahren. Kann eine Siesta dagegen helfen? Was passiert beim Mittagsschlaf im Körper und welche Erfahrungen gibt es aus Südeuropa?
Wie verändert Mittagshitze unsere Leistungsfähigkeit?
Hitze macht dem Körper auf verschiedene Arten zu schaffen, vor allem wenn jemand dabei arbeiten muss. So zeigte beispielsweise eine Studie aus dem Jahr 2018, dass hohe Temperaturen das Denkvermögen beeinträchtigen - wir können uns also schlechter konzentrieren oder brauchen länger für normale Aufgaben.
Auch dehnen sich die Adern aus und mehr Blut wird in die äußeren Blutgefäße gepumpt. Das kann zu einem sinkenden Blutdruck führen und zu einer höheren Herzfrequenz, erklärte der Vorsitzende der Amtsärzte in Deutschland, Johannes Nießen, im Deutschlandfunk: "Das Blut muss dann mehr transportiert werden. Wenn es im venösen Pooling, so heißt das im Fachjargon, versackt, dann steuert der Körper dagegen, indem er das Herz schneller schlagen lässt. Und das kostet Kraft und mindert die Leistungsfähigkeit."
Die größte Gefahr aber ist die Austrocknung, sagt Hans Drexler, Arbeits- und Umweltmediziner gegenüber tagesschau.de. Denn viele Menschen, die bei Hitze in der Sonne arbeiten, trinken nicht genug. "Und wenn der Durst sich meldet, haben wir bereits einen Flüssigkeitsmangel", so Drexler. Deshalb sollten wir im Sommer am besten kontinuierlich Wasser trinken. Und natürlich können auch Sonnenstich, Hitzschlag und Hitzekollaps eine Folge von Arbeit in der Sommersonne sein.
Wie kann eine Siesta schützen?
Eine Pause über die Mittagsstunden könnte die Belastung für den Körper reduzieren. Gerade für Menschen, die im Freien arbeiten wie Dachdecker, Straßenarbeiter oder Erntehelfer, könnte das eine Entlastung sein. Und nicht nur das: So ließe sich möglicherweise auch die Zahl der Unfälle reduzieren. "Denn die meisten Arbeitsunfälle und die meisten Fehler in der Produktion passieren zwischen 13 und 16 Uhr", erklärt Drexler. Der Grund: "Der Mensch hat zwei natürlich Leistungstiefs, eines in der Nacht und eines um die Mittagszeit."
Aus Sicht des Experten hätte eine Siesta aber auch einen anderen Vorteil. Denn nicht nur die Hitze setzt den Menschen zu, sondern auch die UV-Strahlung der Sonne. Diese kann die Haut schwer schädigen: "Hautkrebs ist die häufigste Berufskrankheit am Bau und der häufigste Berufskrebs. Es gibt mehr als 5000 anerkannte Fälle pro Jahr", so Drexler. Deshalb wäre es für Menschen, die im Freien arbeiten - laut Drexler zwischen zwei und drei Millionen in Deutschland -, ratsam, von früh morgens bis etwa 11 Uhr und dann erst wieder ab 15 Uhr zu arbeiten.
Ist schlafen während der Siesta ratsam?
Die Siesta ist nicht zu verwechseln mit einem dreistündigen Mittagsschlaf. Es geht vor allem darum, dem Körper eine Ruhephase zu gönnen. Das bedeutet auch, man sollte die Siesta nicht nutzen, um schwer einzukaufen oder gar Sport zu machen.
Allerdings kann ein kurzer Schlaf, ein sogenannter Powernap, durchaus Vorteile bringen, erklärt der Schlafmediziner Michael Feld. "Der Mensch hat zwei natürliche Tiefs, eins nachts zwischen 2 und 4 Uhr und das andere um die Mittagszeit herum. Dann ist der Körper am empfindlichsten und die Körperkerntemperatur am niedrigsten - da sollten wir also schlafen." In der Mittagszeit reicht ein kurzer Schlummer von etwa 20 Minuten, sonst komme man in die Tiefschlafphase und hinterher nur schwer wieder auf die Beine.
Viele fühlen sich nach einem solchen Nickerchen fitter und leistungsbereiter. Aber nicht nur das: Ein Powernap kann auch langfristig die Gesundheit schützen. Feld verweist auf eine Studie von 2007 aus Griechenland, die 23.000 Menschen untersuchte. Dabei kam heraus, dass jene, die systematisch Mittagsschlaf machten, ein knapp 40 Prozent geringeres Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen hatten. Gerade im Hochsommer, wenn der Nachtschlaf wegen der Wärme und der langen Tage oft schlechter ist, kann ein kleiner Mittagsschlaf dem Körper helfen, sich zu erholen und neue Energie zu tanken.
Und auch das Gehirn könnte profitieren. So zeigt eine aktuelle britische Studie anhand von fast 400.000 Datensätzen einen Zusammenhang zwischen Mittagsschlaf und Gehirnvolumen: Menschen, die regelmäßig ein Nickerchen machten, hatten ein größeres Gehirnvolumen. Ein regelmäßiger Powernap könnte also helfen, die geistige Fitness zu bewahren und Demenz vorzubeugen.
Welche Vorschläge gibt es nun?
Der Vorsitzende der Amtsärzte in Deutschland, Johannes Nießen, hatte Anfang der Woche angeregt, im Hochsommer eine längere Pause über die besonders heißen Mittagsstunden zu machen. "Wir sollten uns bei Hitze an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren: Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen, ist ein Konzept, das wir in den Sommermonaten übernehmen sollten", sagte er.
Wie lange genau oder zu welcher Uhrzeit die Pause eingelegt werden solle, war nicht Teil des Vorschlags. Auch nicht, wie die Arbeitnehmer die Siesta verbringen sollten, also ob mit Mittagsschlaf oder nicht. Es ging Nießen wohl vor allem darum, eine Diskussion anzustoßen, denn: "Es bedarf eines Kulturwandels, dass wir jetzt lernen müssen, mit diesen erhöhten Temperaturen umzugehen", so Nießen.
Der Vorstoß stieß auf viel Zustimmung, sowohl bei Arbeitgebern und Gewerkschaften als auch bei Politik und Wissenschaftlern. Allerdings betonten viel Experten, dass individuelle Lösungen gefunden werden müssen. "Wenn man die Möglichkeit hat, im klimatisierten Büro zu arbeiten, ist man von nicht ganz so in Mitleidenschaft gezogen", sagte auch Nießen dem Deutschlandfunk. Anders sei es "beim Dachdecker, der der Sonne ausgesetzt ist, und dann möglicherweise, wenn er Schwindel bekommt, vom Dach fällt".
Wie nutzen die Menschen in Südeuropa die Siesta?
Die Läden sind verrammelt, die Straßen leer, das ganze Land döst in der Mittagshitze - so stellen sich wohl viele die Mittagszeit in Spanien vor. Doch das ist zumindest teilweise ein Mythos. Zum einen ist die Siesta längst nicht mehr so weit verbreitet, erklärt ARD-Korrespondent Reinhard Spiegelhauer: "In einer Umfrage vor ein paar Jahren hat nicht mal jede und jeder Fünfte angegeben, ein Mittagsschläfchen zu halten."
Das liegt zum einen daran, dass in den Großstädten die Geschäfte meistens durchgängig geöffnet bleiben. Auch große Industriebetriebe können es sich in Zeiten der Globalisierung nicht mehr leisten, die Bänder für drei Stunden ruhen zu lassen. Zum anderen gibt es gerade in der Landwirtschaft viele schlecht bezahlte Jobs, auch dort können oder wollen die Menschen kaum eine mehrstündige Pause mitten im Tag einlegen.
Zudem ist die spanische Siesta laut Forschern eine relativ junge Erfindung, die wenig mit der Sommerhitze zu tun hat. "Nach dem Ende des Bürgerkrieges mussten viele zwei Jobs machen, um die Familie durchzubringen. Einen morgens, einen nachmittags. Dazwischen ging es eben zum Essen nach Hause", so Spiegelhauer. Der spanische Ausdruck geht übrigens auf das lateinische sexta hora zurück, also die sechste Stunde nach Sonnenaufgang.